„Noch existierten keine Privatsender und keine DFL, die des Kommerzes wegen die Kickerei in absurde Bedeutungshöhen jazzen.“
Das schreibt der Autor Bernd-M. Beyer in seiner wunderbaren Zeitreise „71/72, Die Saison der Träumer, Schieber, Spieler und Rebellen“ in der er sowohl vom Fußball, als auch von der sehr bewegten Zeit in diesen Jahren schreibt. 1971 wird nicht umsonst „aufmüpfig“ zum Wort des Jahres. In seinem Buch verwebt Beyer auch die Lebensgeschichte zweier jung gestorbener Träumer: Stan Libuda und Rio Reiser. „An Gott kommt keiner vorbei. Nur Libuda“, stand auf einigen Gelsenkirchener Mauern - während Reiser sang: „Reißen wir die Mauern ein, die uns trennen. Kommt zusammen, Leute, lernt euch kennen“. „Der Traum ist aus“ hatte letzterer damals in anderem Zusammenhang ebenfalls getextet. Der Traum vom romantischen Fußball scheint inzwischen jedenfalls tatsächlich ausgeträumt. Als Paul Breitner, der mit der „Peking-Rundschau“ unterm Mao-Poster posiert hatte, in der WG von Rio Reisers Band Ton Steine Scherben in Berlin-Kreuzberg auftauchte, weil die ihm ihr Album „Keine Macht für Niemand“ geschickt hatten, schlief Rio, der sich nicht für Fußball interessierte, tief und fest. Für denjenigen, der sich an die Zeit noch erinnern kann, bleibt der damalige Fußball mit Netzer, Breitner und Co. - trotz darauf folgender WM Titel - das fußballerische Maß aller Dinge, gerade weil einen der heutige durchkommerzialisierte Hochglanz-Fußball um Ronaldo selten so richtig anfasst. Das Spiel im Wembley Stadion von 1972, zwei Tage nach dem Misstrauensvotum gegen Willy Brandt und die darauffolgende Europameisterschaft bleiben unvergessen. Das Gute und Schöne schien zu siegen. Doch es war auch die Zeit des Fußballbundesligabestechungsskandals und der vielen „Hater“, die sich hauptsächlich über die Frisuren der Nationalspieler ausließen. Damals noch mit der Deutschen Bundespost, Internet gab es noch nicht. Bundestrainer Schön sammelte die Briefe. Man wünschte sich den akkuraten Haarschnitt der Weltmeister von 1954 zurück. Ähnliches geistert ja auch heute durch das Internet, wenn man sich die Hautfarbe der Spieler von 1974 zurückwünscht. „Fake News“ hieß es damals noch nicht, aber was dem „Volksverräter“ Brandt vorgeworfen wurde, war genau das: Pure Hetze. Schon damals tat sich die Bildzeitung diesbezüglich besonders hervor. Zwei der Hauptopfer wurden später zu Nobelpreisträgern gekürt. Neben Willy Brandt, dem „Vaterlandsverräter“ wurde auch Heinrich Böll, der „Helfershelfer“ der Terroristen vom Nobelkomitee ausgewählt. Während ehemalige SS-Männer hohe Funktionärsposten hatten, wurde verfemten jüdischen Nationalspielern keine Erinnerung zuteil. Zumindest wird 1972 der letzte überlebende jüdische Nationalspieler Gottfried Fuchs nicht zu einem Länderspiel eingeladen. Das Präsidium des DFB, in dem einige ehemalige Nazis saßen, lehnte den Vorschlag vom ehemaligen Bundestrainer Sepp Herberger ab, um keinen „Präzedenzfall“ zu schaffen. Beyers Buch umfasst hauptsächlich bundesrepublikanische Geschichte aus dem Zeitraum von der Enthüllung des Bundesligaskandals im Juni 1971 bis zum 5. September 1972, als palästinensische Terroristen das Olympische Dorf in München überfielen und das gut gemeinte Veranstalterkonzept der fröhlichen Spiele zunichte machten. Eine Gesellschaft war jedenfalls in Bewegung geraten und es ist eigentlich kaum zu glauben, dass einige Jahre später in der in Mogadischu befreiten „Landshut“-Maschine Horst-Gregorio Canellas saß, der im Juni 1971 den Bundesligabestechungsskandal ausgelöst hatte; und dass dieser Canellas danach sagte: „Mogadischu hatte noch menschliche Züge. Der Skandal war schlimmer, viel schlimmer.“ Ernst Reuß Bernd-M. Beyer, 71/72, Die Saison der Träumer, Schieber, Spieler und Rebellen, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2021, 352 Seiten, 22 Euro.
Der Autor zahlreicher historischer Studien und Professor an der Polnischen Akademie der Wissenschaft Dariusz Libionka, erwähnt anfangs in dem nun auf deutsch übersetzten Buch „Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement“ den Antisemitismus im russischen Zarenreich und in Polen sowie Hitlers Aufstieg zum glühenden Antisemiten. Im Kapitel „An der Schwelle zur „Endlösung“ schreibt er:
„Die in der Weimarer Republik gezählten knapp 600 000 jüdischen Deutschen machten noch nicht einmal ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die meisten von ihnen wohnten in Städten und waren zum großen Teil assimiliert. Sie engagierten sich in zahlreichen, völlig unterschiedlich agierenden religiösen und kulturellen Institutionen. Tausende Juden hatten während des Ersten Weltkriegs in den deutschen Armeen gedient. In nur wenigen Jahren zerstörte die Politik des NS-Staates die Existenzgrundlage der jüdischen Gemeinschaft.“ Es kommt im Deutschen Reich bereits 1935 zu den Nürnberger Gesetzen und den darauf folgenden Reaktionen von Nachbarländern. Libionka führt daher weiter aus: „Aus Angst vor der jüdischen Flüchtlingswelle aus Deutschland und Österreich, von wo aus sich Tausende auf den Weg machten, verschärften viele Länder ihre Einwanderungsbestimmungen. Auch Polen gehörte zu diesen Ländern.“ Was daraufhin folgt ist die „Polenaktion“, das Attentat auf den deutschen Botschaftssekretär in Paris, massive Hetze gegen Juden und Minderheiten als „Parasiten“, was durchaus Parallellen in der heutigen Zeit hat und zu den Novemberpogromen, euphemistisch als Kristallnacht bezeichnet. Schließlich der Krieg, die Besetzung Polens und die Errichtung von Ghettos sowie des „Generalgouvernements“, dem von den Deutschen 1939 bis 1945 besetzten und nicht unmittelbar annektierten polnischen Gebiet. Danach folgte das „Unternehmen Barbarossa“, also der Überfall auf die Sowjetunion. Bis Ende 1941 waren die Mehrzahl der Häftlinge in Auschwitz Polen, dann begann die „Endlösung der Judenfrage“. Mit der „Aktion Reinhardt“ wurden Juden dorthin deportiert und dort, aber auch in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka grausam umgebracht. Der millionenfache Massenmord war eine der verheerendsten und von Deutschen gründlich organisierten Auslöschungssaktionen in der Geschichte der Menschheit. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht begannen lokale Pogrome an jüdischen Mitbürgern nicht nur von SS-Einsatzgruppen, sondern auch von oder unter Mithilfe der einheimischen Bevölkerung, so wie in Lemberg oder im polnischen Jedwabne. Das alles wird in dem Buch ausgesprochen lesenswert aufbereitet und mit weniger bekannten Fotos aus jener Zeit illustriert. Zum Schluss berichtet Libionka von polnischen „Gerechten unter den Völkern“, aber auch von willfährigen einheimischen Mördern und vom weiteren Lebensweg einiger deutscher Täter. Vom oft traurigen Schicksal, der wenigen in ihre Heimat zurückkehrenden überlebenden Juden im Nachkriegspolen berichtet er nicht. Ernst Reuß Dariusz Libionka, Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement, Aus dem Polnischen von Steffen Hänschen,Metropol Verlag, Berlin 2021, 371 Seiten, € 24.00
Als der Fußball nach Deutschland kam, wurde er zumeist als „Fußlümmelei“ abgewertet und abgelehnt. Turnen und der eher militärische Drill waren damals in Deutschland angesagt. Fußball galt als durch und durch „undeutsch“. Man rümpfte die Nase über den proletenhaften Sport aus England. Da in einigen dieser deutschen Turnvereine bereits um die Jahrhundertwende Juden nicht erwünscht gewesen sind, waren aber gerade Fußballvereine für jüdische Mitbürger besonders attraktiv.
Die Bayern aus München, der „Club“ aus Nürnberg oder die Eintracht aus Frankfurt wurden von Juden mitgegründet. Auch an der Entstehung des DFB waren Juden entscheidend beteiligt. Am bedeutsamsten diesbezüglich wurde Walther Bensemann, der ebenfalls jüdischen Glaubens war. Der reisefreudige Mann war an der Gründung zahlreicher Fußballvereine in Süddeutschland beteiligt. Er organisierte die ersten internationalen Begegnungen und hatte sich den Namen Deutscher Fußball-Bund ausgedacht. 1920 gründete er außerdem den „Kicker“. Auch heute noch die „Bibel“ für den deutschen Fußballfan. Nur wenige Wochen nach Hitlers Machtantritt wurden Juden aus den bürgerlichen Vereinen ausgeschlossen. Sie wurden zu Sündenböcken eines gnadenlosen Regimes, dem ein großer Teil der aufgehetzten Bevölkerung willig folgte. Bensemann wurde fortgejagt. Er starb 1934, kurz nach der geglückten Emigration in die Schweiz. Auch dem jüdischen Nationalspieler Gottfried Fuchs, der den bis heute unerreichten Rekord von zehn Toren in einem Spiel der Nationalmannschaft aufgestellt hatte, gelang die Auswanderung nach Kanada. Anders erging es jedoch dem jüdischen Nationalstürmer Julius Hirsch, der 1943 im KZ Auschwitz ermordet wurde. Er galt als einer der besten Stürmer seiner Zeit und war auch Olympia-Teilnehmer. Als erstem Fußballer gelang es ihm, mit zwei Vereinen Deutscher Meister zu werden: 1910 mit dem Karlsruher FV und 1914 mit der SpVgg Fürth. In seinem zweiten Länderspiel gegen die Auswahl der Niederlande schoß er als erster deutscher Nationalspieler vier Tore in einem Spiel. Hirschs Schicksal wurde auch in der Nachkriegszeit noch lange verschwiegen. Erst nach vielen Jahrzehnten begannen unabhängige Sporthistoriker damit, sich seiner Person ausführlicher zu erinnern. Seit 2005 vergibt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den „Julius-Hirsch-Preis“. Dieser wird besonders für Aktivitäten verliehen, die sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen wenden. Bereits zwei Monate nach der Machtübernahme der Nazis unterstrichen einige der teilweise von Juden mitgegründeten Vereine in einer gemeinsamen Erklärung, „insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen“ mit den neuen Machthabern „freudig und entschieden“ zusammenzuarbeiten. Mit dabei waren Kaiserslautern, Eintracht Frankfurt, der „Club“ und Fürth, die Bayern und die „60er“. Dies alles geschah laut Historikern im vorauseilenden Gehorsam „ohne dass die nationalsozialistische Regierung darauf gedrängt hatte“. Hirsch kam seinen Rausschmiss durch Austritt zuvor und schrieb an seinen Verein: “Ich lese heute im Sportbericht Stuttgart, dass die großen Vereine, darunter auch der KFV, einen Entschluss gefasst haben, dass die Juden aus den Sportvereinen zu entfernen seien. Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV, dem ich seit 1902 angehöre, meinen Austritt anzeigen. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass es in dem heute so gehassten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene deutsche Juden gibt.“ Aus den berühmten Nationalmannschafts-Sammelalben des Kicker Sportmagazins wurden die Porträts der beiden jüdischen Nationalspieler fortan verbannt. Nach den vielen Demütigungen unternahm Hirsch 1938 einen Selbstmordversuch. Später ließ sich seine Frau von ihm scheiden, um zumindest die gemeinsamen Kinder zu retten. Was für eine verzweifelte und traurige Entscheidung! Für Hirsch bedeute dies das Ende der von den Nazis privilegierten „Mischehe“. Im Februar 1943 wurde dem 50-jährigen Julius Hirsch mitgeteilt, dass er sich zu einem Transport zum „Arbeitseinsatz“ am Hauptbahnhof einzufinden habe. Von dort wurde er gemeinsam mit elf weiteren badischen Juden nach Auschwitz deportiert, wo er wahrscheinlich umgehend vergast wurde. In den dortigen Eingangsbüchern wurde er nicht mehr erwähnt. Sein letztes Lebenszeichen war eine Postkarte von unterwegs, die erst am 3. März in Dortmund abgestempelt wurde: „Meine Lieben. Bin gut gelandet, es geht gut. Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse euer Juller“ Seine beiden 22 und 17 Jahre alten Kinder wurden dennoch später in das KZ Theresienstadt deportiert. Beide wurden jedoch am 7. Mai 1945 durch die Rote Armee befreit. Seine Frau nahm nach dem Krieg den Namen Hirsch wieder an, sprach aber bis zu ihrem Tod nicht über das tragische Schicksal. Seine Tochter schreibt im Prolog: „Am 1. März 1943 habe ich meinen Vater Julius Hirsch zum Hauptbahnhof in Karlsruhe gebracht und von dort wurde er abtransportiert, in einem normalen Zugabteil Es war eines der schrecklichsten Erlebnisse meines Lebens. Es war ein strahlend schöner Tag. Noch heute kann ich nicht begreifen, dass an diesem Tag die Sonne scheinen konnte! Wir haben nicht geglaubt, dass wir ihn nie mehr wiedersehen werden. (...) Er hing an Deutschland, er war für Deutschland - wie auch seine Brüder im Ersten Weltkrieg. Nie dachte er, dass man ihn so behandeln würde. Hirsch wurde 1950 vom Amtsgericht Karlsruhe für tot erklärt. Gleichzeitig wurde eine „Entschädigung“ in Höhe von 3 450 DM ausgezahlt. Die meisten Täter, wie der für die Deportation verantwortliche Gestapochef, machte im Nachkriegsdeutschland Karriere. Dies und noch viel mehr schildern zwei Bücher aus dem Verlag Die Werkstatt. Darin wird nicht nur detaillierte Fußballgeschichte nahegebracht, sondern vor allem auch ein Stück Zeitgeschichte aus dem finstersten Kapitel der deutschen Historie und einige verfemte Fußballer geehrt. 1972 wollte der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger den letzten Überlebenden Gottfried Fuchs als Gast des DFB zu einem Länderspiel anlässlich der Eröffnung des Olympiastadions in München einladen. Das Präsidium des DFB, in dem einige ehemalige Nazis saßen, lehnte dies ab, um keinen „Präzedenzfall“ zu schaffen. Ernst Reuß Werner Skrentny, Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet, Biografie eines jüdischen Fußballers, 2., aktualisierte und überarbeitete Auflage, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2016, 352 Seiten, 24,90 € Henry Wahlig, Lorenz Peiffer, Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland, Eine Spurensuche, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2015, 576 Seiten, 44,90 €.
Am 22. Juni 1941 beginnt der deutsche Überfall auf Russland mit dem Vormarsch dreier Heeresgruppen. Rumänien, Italien, die Slowakei, Finnland und Ungarn schließen sich dem Deutschen Reich an. Der dem Angriff zugrunde liegende „Barbarossaplan“ spielt auf Kaiser Friedrich I. an, der im 12. Jahrhundert einen Kreuzzug gegen die „Ungläubigen“ angeführt hatte. Das „Unternehmen Barbarossa“, begann am Sonntag dem 22. Juni 1941 um 3 Uhr 30 früh. Da vom 22. bis 24. Juni die Tage am längsten sind, konnten die deutschen Landser bei Tageslicht auch am weitesten marschieren. Hitler und seine Generäle hatten einen Blitzkrieg von längstens vier Monaten geplant. Vorgesehenen dafür waren mehr als 3 Millionen Soldaten. Die Sowjetunion wurde zu Beginn überrannt. Das Ende ist wohlbekannt.
Drei Heeresgruppen überquerten im Schutze der Morgendämmerung die erst im Herbst 1939 frisch festgelegten Grenzen. Hitler und Stalin hatten zuvor in ihrem Pakt Polen unter sich aufgeteilt und die Grenzen neu gezogen. Der „Nichtangriffspakt“ hielt also nicht sonderlich lange und war von beiden Seiten auch nicht wirklich ernst gemeint. Sowohl Hitler als auch Stalin rechneten früher oder später mit Krieg zwischen den beiden Ländern. Stalin erwartete den Angriff allerdings nicht so früh. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn er verschlief den Angriff, weil keiner seiner Untertanen sich traute, den Tyrannen zu wecken. Jedenfalls war die Rote Armee auf diesen Angriff noch nicht vorbereitet. Ernst Reuß
Bundesarchiv, Bild 146-1974-099-19 / Kempe / CC-BY-SA 3.0
Samaryi Guraryi / Самарий Гурарий Ustinov / Александр Устинов Bundesarchiv, Bild 101I-209-0090-28 / Zoll / CC-BY-SA 3.0
Der erstmals 1322 schriftlich erwähnte Ort Mizocz beziehungsweise Misotsch ist heute eine Siedlung in der Westukraine mit etwa 3500 Einwohnern.
Kurz nach dem am 23. August 1939 im Moskauer Kreml unterzeichneten Nichtangriffspakt zwischen dem Deutschen Reich und der UdSSR, wurde das damals polnische Mizocz durch die Sowjetunion besetzt. Mit dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 begann bereits neun Tage nach Vertragsunterzeichnung der Zweite Weltkrieg. Nicht einmal zwei Jahre danach - am 22. Juni 1941 - wurde der Nichtangriffspakt gebrochen und die deutsche Wehrmacht startete das „Unternehmen Barbarossa“. Die UdSSR wurde überfallen. Drei Heeresgruppen überquerten im Schutze der Morgendämmerung die erst im Herbst 1939 neu festgelegten Grenzen. Hitler und seine Generäle hatten einen Blitzkrieg von längstens vier Monaten geplant. Die Sowjetunion wurde zu Beginn überrannt. Auch Mizocz wurde von den Deutschen besetzt. Die nicht geflüchteten jüdischen Bewohner von Mizocz hatten von da an nicht mehr lange zu leben. Zuerst wurde ein Ghetto errichtet und die jüdischen Bewohner als Zwangsarbeiter missbraucht. Am 12. Oktober 1942 wurde das Ghetto jedoch von deutschen Polizisten und ukrainischen Freiwilligen umzingelt, um es zu liquidieren. Zwei Tage lang widersetzten sich die jüdischen Bewohner, bevor sie am 14. Oktober kapitulierten. Vielen war unterdessen die Flucht in die Wälder gelungen, was den meisten leider wenig nutzte, denn sie wurden von Angehörigen der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung aufgespürt und umgebracht. Der Rest wurde mit Lastwagen zu einem Graben gebracht. Dort wurden etwa 1500 jüdische Männer, Frauen und Kinder exekutiert. Zuvor mussten sich die in kleineren Gruppen ankommenden Menschen entkleiden und zu den bereits erschossenen Opfern legen. Zeugnis davon sind die Fotos eines aus dem Sudetenland stammende deutschen Polizisten, die 2015 im tschechischen Nationalarchiv ausfindig gemacht wurden. Eine Ausstellung und der dazugehörige Katalog zeigen erstmals den Holocaust zwischen Ostsee und Schwarzem Meer 1941-1944, bei dem über zwei Millionen Menschen Opfer von Massenerschießungen durch die SS und deutsche Polizisten sowie deren einheimische Helfer wurden. Etwa ein Drittel aller Holocaustopfer wurden also erschossen oder in Gaswagen ermordet. Die Eingangstafel der Ausstellung markiert mit schwarzen Punkten die Orte, in denen mehr als 500 Menschen exekutiert wurden. Es sind sehr, sehr viele schwarze Punkte. Ernst Reuß
Als der Fußball nach Deutschland kam, wurde er zumeist als „Fußlümmelei“ abgewertet und abgelehnt. Turnen und der eher militärische Drill waren damals in Deutschland angesagt. Fußball galt als durch und durch „undeutsch“. Man rümpfte die Nase über den proletenhaften Sport aus England. Da in einigen dieser deutschen Turnvereine bereits um die Jahrhundertwende Juden nicht erwünscht waren, waren aber gerade Fußballvereine für jüdische Mitbürger besonders attraktiv.
Bayern, der Club oder die Eintracht aus Frankfurt wurden von Juden mit gegründet. Auch an der Entstehung des DFB waren Juden entscheidend beteiligt. Am bedeutsamsten wurde Walther Bensemann, der ebenfalls jüdischen Glaubens war. Der reisefreudige Mann war an der Gründung zahlreicher Fußballvereine in Süddeutschland beteiligt. Er organisierte die ersten internationalen Begegnungen und hatte sich den Namen Deutscher Fußball-Bund ausgedacht. 1920 gründete er außerdem den „Kicker“. Auch heute noch die „Bibel“ für den deutschen Fußballfan. Nur wenige Wochen nach Hitlers Machtantritt wurden Juden aus den bürgerlichen Vereinen ausgeschlossen. Sie wurden zu Sündenböcken eines gnadenlosen Regimes, dem ein großer Teil der aufgehetzten Bevölkerung willig folgte. Bensemann wurde fortgejagt. Er starb 1934, kurz nach der geglückten Emigration in die Schweiz. Auch dem jüdischen Nationalspieler Gottfried Fuchs, der den bis heute unerreichten Rekord von zehn Toren in einem Spiel der Nationalmannschaft aufgestellt hatte, gelang die Auswanderung. Anders erging es jedoch dem jüdischen Nationalstürmer Julius Hirsch, der 1943 im KZ Auschwitz ermordet wurde. Aus den berühmten Nationalmannschafts-Sammelalben des Kicker Sportmagazins wurden die Porträts der beiden Nationalspieler fortan verbannt. Bereits zwei Monate nach der Machtübernahme der Nazis unterstrichen einige - teilweise von Juden mit gegründete - Vereine in einer gemeinsamen Erklärung, „insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen“ mit den neuen Machthabern „freudig und entschieden“ zusammenzuarbeiten. Mit dabei waren Kaiserslautern, die Eintracht aus Frankfurt, der „Club“ und Fürth, die Bayern und die „60er“. Dies alles geschah laut Historikern im vorauseilenden Gehorsam „ohne dass die nationalsozialistische Regierung darauf gedrängt hatte“. Inzwischen ist eine vom DFB unterstützte Recherche mit dem Titel „Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland. Eine Spurensuche“ erschienen. Die Studie hat einen Umfang von fast 600 Seiten und ist vor Kurzem im Göttinger Verlag Die Werkstatt erschienen. Ernst Reuß Henry Wahlig, Lorenz Peiffer, Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland, Eine Spurensuche, 576 Seiten, 17 x 24 cm, Hardcover, 1. Auflage Dezember 2015, 44,90 €.
Erika Summ, geborene Ohr, wurde als Tochter eines Schäfers 1921 im Hohenloher Land im heutigen Baden - Württemberg geboren. Sie erlebt dort eine scheinbar idyllische Kindheit auf dem Dorf in der Nähe von Künzelsau. Allerdings war die Idylle geprägt von harter Arbeit der Eltern, aber auch der Kinder. Ihr Bruder stirbt bei einem Arbeitsunfall. Anfang der dreißiger Jahre bricht der Nazispuk auch ins dörfliche Leben ein. Ihr Vater hatte zusammen mit seinem Bruder einen Gutshof erworben, der wenig Gewinn abwirft und die Nazis teilen das Gut unter mehreren Familien auf. Erika muss als schlecht bezahlte Magd arbeiten. Sie will aber keine Magd sein, wird Pfarrersköchin und macht schließlich eine Ausbildung zur Rotkreuzschwester. Ende 1942 muss sie in den Krieg ziehen und für eine schwer erkrankte Frontschwester einspringen.
ine abenteuerliche und lebensgefährliche Reise nach Shitomir in der Ukraine beginnt. Dort pflegt sie verwundete und verstümmelte Frontsoldaten und begleitet die vielen Sterbenden. In Shitomir sieht sie so einiges. Die Front kommt näher und schon Ende 1943 beginnt der Rückzug des Lazaretts über Polen, Ungarn, die Slowakei und Tschechien, bis Erika schließlich kurze Zeit in amerikanischer Gefangenschaft gerät. Erika Summ ist 2019 im hohen Alter von 98 Jahren verstorben. Sie war am Sonntag, den 30. Mai 2021, 23.45 Uhr, in der ZDF-Dokumentation „Unsere Mütter, unsere Großmütter. Frauen im Krieg“ zu sehen (in der Mediathek). Dort berichtet sich auch von Verbrechen hinter der Front in der Ukraine. Im Buch tut sie das nicht. Nur einmal erzählt sie eine Episode, dass ein Mann am polnischen Kloster von Tschenstochau erschossen wurde, wo sie ihr Lazarett aufgebaut hatten. „Aber anders war an den Mann nicht heranzukommen“, meint sie lapidar. Über das ungarische Pécs schreibt sie: „Die Einwohner waren uns anfangs nicht sehr wohlgesonnen, denn wenige Tage zuvor waren hier alle Juden abtransportiert worden, aber das erfuhren wir erst nach und nach.“ Recht naiv auch ihre Beobachtung, als ein älterer Einheimischer abgeführt weil, weil er mehr über die anrückende Front wusste, als von den deutschen Okkupanten gewünscht. Nah waren ihr nicht die Einheimischen, sondern die deutschen Besatzer und selbstverständlich die Patienten. Sie war eine junge, einfache Frau an der Front, die tat was ihr aufgetragen wurde, ohne ernsthaft das Warum ihres Erlebens zu hinterfragen. Trotzdem zeitgeschichtlich interessant und mit privaten Bildern schön illustriert. Ernst Reuß Erika Summ, Schäfers Tochter: Die Geschichte der Frontschwester Erika Summ. 1921-1945 (Sammlung der Zeitzeugen), Zeitgut Verlag, Berlin 2014, 192 S., 12,80 € |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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