Cambridge-Historiker Richard Evans beleuchtet in seinem Buch „Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien.“ diverse Fake News und zeigt wer sie in die Welt gesetzt hat und wem sie nutzten. Die Fallbeispiele, die Evans ausbreitet, sind altbekannt und schon häufig aufbereitet, enthalten diesbezüglich daher wenig Neues.
Es geht um die „Protokolle der Weisen von Zion“, über die „Dolchstoßlegende“, den Reichstagsbrand, der Flug von Rudolf Heß nach Schottland bis zu Hitlers Überleben und seiner geglückten Flucht aus dem Führerbunker. Evans kommt zum Schluss: „Verschwörungstheoretiker legen eine außerordentliche Detailversessenheit an den Tag, die sich häufig darin äußert, dass sie winzige Belege über alle Gebühr aufblasen und ihre Behauptungen mit Pseudogelehrsamkeit, quasiakademischen Dokumenteneditionen und endlosen Fußnoten untermauern. Bei der Untersuchung echter Belege akzeptieren sie auch nicht die geringste Unstimmigkeit oder kleinste Abweichung, wie sie etwa durch fehlerhafte Berichte oder durch geringfügige Diskrepanzen bei Zeitangaben entstehen können“ Fehlen Dokumente, um eine Verschwörungstheorie zu belegen, werden sie fabriziert, wie in den „Weisen von Zion“. Schon Zeitgenossen war klar, dass es sich bei den „Protokollen“ um eine Fälschung handelte. Das änderte aber nichts an der Wirkung dieser Fake News, zeigt aber auch, dass Verschwörungstheorien keine trumpsche Erfindung des 21. Jahrhunderts sind. Sie funktionieren immer ähnlich, und es kommt weniger darauf an, ob die Verbreiter solcher Theorien selbst daran glauben, sondern wie sie sie zu Instrumenten für ihre Politik machen. Nichts passiert aus Zufall, alles in der Geschichte ist Ergebnis geheimnisvoller Machenschaften - diese Vorstellung ist so alt wie die Geschichte selbst. Gerade jetzt, in Zeiten von Populismus und Fake News, finden Verschwörungserzählungen immer mehr Anhänger und entziehen sich dabei allen Regeln der Wissenschaft. Diese Erzählungen sind alle so oder so ähnlich schon mal dagewesen, haben sich aber durch die sozialen Medien neue weitgehend unkontrollierbare Verbreitungswege geschaffen. Ernst Reuß Richard J. Evans: „Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien. Wer sie in die Welt gesetzt hat und wem sie nutzen – Von den ‚Protokollen der Weisen von Zion‘ bis zu Hitlers Flucht aus dem Bunker“, Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt, DVA, München 2021, 368 Seiten, 26 Euro.
Die erste von einem nichtalliierten Gericht ausgesprochene Todesstrafe im Nachkriegs-Berlin betraf den im Bezirk Friedenau wohnenden 56-jährigen Oberpostinspektor Karl Kieling, der noch Ende April 1945 einen Mann auf offener Straße erschoss. Kieling, der am 19. März 1889 in Halle an der Saale zur Welt gekommen war und seit geraumer Zeit in Berlin-Friedenau lebte, hatte vom Fenster seiner Wohnung aus ein Handgemenge zwischen einem Zivilisten und einem uniformierten NSDAP-Mitglied beobachtet. Als Amtsperson galt Kieling unabkömmlich und hatte Berlin, im Gegensatz zu vielen anderen, nicht verteidigen müssen. Er fühlte sich aber ob seines Amtes dennoch genötigt, etwas für seinen Parteifreund zu tun. Vergeblich versuchte seine Frau, mit der er wohl am Mittagstisch saß, ihn davon abzuhalten.
Kieling war einer der vielen Mitläufer, die Hitler zum Machterhalt dringend brauchte. Kurz nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, trat er am 1. April 1933 in die Partei ein, gehörte der Kreisleitung an und diente ihr in Friedenau als „Leiter des Reichsbundes der Deutschen Beamten“. Mit Kriegsbeginn erhielt er von seiner Partei auch eine Handfeuerwaffe (Walther PKK) übereignet. Es war der 24. April 1945, und der Geschützlärm der sowjetischen Panzer war schon mehr als deutlich zu hören, als Kieling den Arbeiter Erich Werner vor seinem Haus aus nächster Nähe niederschoss. Dies geschah drei Tage vor dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin-Friedenau. Der 24. April war auch der Tag, an dem 15 mit Genickschüssen gerade exekutierte Leichen in einem Park in Moabit gefunden wurden. Dort, wo heute der Hauptbahnhof ist, waren in der Nacht zuvor 16 politische Gefangene des Moabiter Gefängnisses Lehrter Straße in den nahe gelegenen Park geführt und 15 von ihnen ermordet worden. Einer von ihnen überlebte mit einem Kopfschuss. Kieling war schon zum Ort des Geschehens unterwegs, als ein Schuss fiel. Laut Zeugenaussagen kam er mit weit aufgerissenen Augen und knallrotem Gesicht, die Pistole in der Hand, angerannt, als alles eigentlich schon vorbei war. Doch keiner konnte ihn mehr aufhalten. Auf der Straße stritten sich der in Friedenau als Denunziant bekannte NSDAP-Zellenleiter Finke und der leicht angetrunkene Arbeiter Werner, der 1942 von Finke denunziert worden war, weil er unvorsichtigerweise geäußert hatte, der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen. Werner wurde deswegen „nur“ zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. In der Schlussphase des Krieges hätte das aber schon das Todesurteil wegen Defätismus bedeuten können. Zwischen den beiden Männern kam es zu einer lautstarken Auseinandersetzung, und Finke wurde durch einen Schuss leicht an der Hand verletzt. Mehrere Zeuginnen hatten den Streit mitbekommen und griffen ein, um zu schlichten. Ganz anders als Kieling, der offenbar kurzen Prozess machen wollte. Als er mit der Waffe in der Hand auf die Gruppe zugerannt kam, riefen die Frauen ihm zu, dass die Sache erledigt sei und er nicht schießen solle, aber Kieling brüllte laut Anklageschrift: „Der Hund muss erledigt werden, er hat einen politischen Leiter angeschossen.“ Finke und sein Kontrahent Werner standen sich ruhig gegenüber, als sie wohl erstaunt den offensichtlich wütend heranstürmenden Kieling sahen. Werner blieb regungslos, was Kieling jedoch nicht davon abhielt, ihm aus kurzem Abstand in den Bauch zu schießen. Er war bei Abgabe des Schusses etwa einen Meter von ihm entfernt. Die Kugel zerriss Werners Leber, und er starb wenig später im Krankenhaus an seinen Verletzungen. Laut einer Zeugenaussage wollten die beiden anderen Protagonisten den Transport des Schwerverletzten ins Krankenhaus noch verhindern und meinten, dass der „Hund“ aufgehängt werden müsse. In den letzten Kriegstagen wäre das sicherlich kein Einzelfall gewesen. Erstaunlicherweise erklärte sich nach der Tötung Erich Werners, der der KPD nahegestanden haben soll, kein sowjetisches Militärtribunal für den Fall zuständig, um schnellen Prozess zu machen. Man verwies auf die deutsche Strafjustiz. Zuständig war das gerade erst neu entstandene Bezirksgericht Friedenau. Ernst Melsheimer, der später in der DDR Karriere als Generalstaatsanwalt machen sollte, war der zuständige Oberstaatsanwalt. Seit 4. Juni 1945 saß Kieling in Untersuchungshaft. Am 27. Juni 1945, kurz vor dem Einzug der Amerikaner und Briten in die Berliner Westsektoren, wurde Kieling vom Amtsgericht Friedenau nach der alten Fassung des § 211 StGB angeklagt und zum Tod verurteilt. Laut Augenzeugen soll es ein fairer Prozess gewesen sein. Die dreistündige Hauptverhandlung fand öffentlich im überfüllten Großen Bürgersaal des Rathauses Friedenau statt, was wohl dem Mangel an geeigneten Gerichtssälen geschuldet war. Die Sympathien der Zuschauer waren klar verteilt, und die Emotionen kochten hoch, als der behandelnde Chefarzt des Krankenhauses aussagte, dass er von Werners Kontrahenten Finke aus dem Operationssaal geholt und aufgefordert worden war: „Operieren Sie den Mann so, dass er stirbt!“ Kielings Anwalt legte Berufung bei der zweiten und letzten Instanz, dem Stadtgericht Berlin, ein. Damit wird es kompliziert. Inzwischen hatten nämlich die Amerikaner in Berlin ihre Zone besetzt, und Kieling war Einwohner des amerikanischen Sektors. Er wurde ins amerikanische Gerichtsgefängnis in Lichterfelde gebracht, wo man sich weigerte, ihn zur Berufungsverhandlung ans Stadtgericht im sowjetischen Sektor zu überstellen. Dort bestätigte man das Urteil allerdings der Einfachheit halber auch ohne ihn. Nun waren die Amerikaner zuständig, für die § 211 StGB in der Fassung von 1941 galt, da er kein spezieller NS-Paragraf sei. Der amerikanische Stadtkommandant annullierte das vorhergehende Urteil und das nunmehr zuständige „Landgericht II“ in Berlin-Zehlendorf verurteilte Kieling nur wegen Totschlags zu acht Jahren, was in der Stadt bei vielen Menschen für heftige Empörung sorgte. Das im sowjetischen Sektor Kammergericht, als höchste Instanz in Berlin hob das Urteil des Landgerichts II wieder auf und ordnete eine erneute Verhandlung aam Kriminalgericht Moabit an, wo am 20. Februar 1946 erneut entschieden wurde und diesmal kam das Gericht eindeutig zu dem Schluss, dass ein niedriger Beweggrund vorliege und damit das Merkmal für Mord eindeutig feststehe. Das Kammergericht lehnte eine weitere Revision von Kielings Anwalt ab, Gnadengesuche wurden ebenfalls abschlägig beschieden. Karl Kieling starb am 21. August 1946 im Spandauer Gefängnis unter dem Schafott. (zitiert aus: Ernst Reuß, Endzeit und Neubeginn. Berliner Nachkriegsgeschichten, Metropol Verlag, Berlin 2022, 282 Seiten, S. 27 ff.)
Wunderbar ironisch sowie geistreich geschrieben von Wolfgang Kemp und bereits 2016 erschienen im zu Klampen Verlag, ist ein Buch, das wieder sehr aktuell ist: „Der Oligarch“.
Was ist ein Oligarch? Woher kommt er und wo lebt er? Kemp berichtet ausgesprochen amüsant vom Tun russischer und ukrainischer Oligarchen, die ihr Vermögen in der wilden sowjetischen Umbruchszeit der Jelzin-Jahre vor allem mit Rohstoffhandel gemacht haben. Heute haben sie ihr Geld offshore in den Steuerparadiesen dieser Welt deponiert und besitzen Villen in London und an den begehrtesten Orten dieser Welt. Kemp weiß was den Oligarchen antreibt, nämlich der „Wille zur Yacht“, wobei der Länge der Yacht eine entscheidende Rolle „als unabdingbarer Ausweis seiner ökonomischen Potenz“ zugemessen wird. Die längste ist nach Kemps Erkenntnissen die 162 Meter lange Eclipse von Roman Abramowitsch, obwohl er nicht der reichste Oligarch ist. Maßlose Gier treibt den Oligarchen natürlich auch an, dabei wurde mit finanztechnischen Tricks und einer ausgeprägten Skrupellosigkeit ein Vermögen angehäuft, das dann für bombastisch glitzernden Kitsch und kostspieligen Frauen verprasst wird. Bei Präsident Putin, der wohl ähnlich tickt, sind schon einige in Ungnade gefallen, wenn sie ihm nicht bedingungslos folgten. Donald Trump, der gute Verbindungen zu Putin und den Oligarchen pflegte, gilt selbst nicht als Oligarch. Ein kenntnisreiches und amüsantes Essay, das sich durchaus zu lesen lohnt und zu manchem Schmunzler anregt. Ernst Reuß Wolfgang Kemp, Der Oligarch, zu Klampen Verlag, Springe 2016, 176 Seiten, 18,00 €
Der Ort Srebrenica steht für das kaltblütige Massaker an mehr als 8 000 wehrlosen muslimischen Männern und Jugendlichen aus Bosnien. Das Massaker gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Am Abend des 11. Juli 1995 befanden sich in Potočari, nahe Srebrenica, bis zu 25 000 bosniakische Flüchtlinge. Tausende drängten sich auf einem UN-Blauhelm-Gelände, während der Rest sich auf benachbarte Felder verteilte. Die einmarschierenden Truppen der bosnischen Serben, selektierten die Menschenmassen unter den Augen der dort stationierten niederländischen UN-Soldaten. Frauen, Kinder und Männer wurden getrennt abtransportiert. Fast alle männlichen bosniakischen Gefangenen wurden zwischen dem 13. und 17. Juli in sorgfältig durchgeführten Massenexekutionen getötet.
Wie konnte es im Juli 1995 dazu kommen? Mitten im „aufgeklärten“ Europa, in einer Sicherheitszone der Vereinten Nationen? Matthias Fink, Autor und Journalist, beschreibt minutiös den Hergang des unerträglichen Geschehens. Fast tausend Seiten, voller Unmenschlichen, die sehr stark an Judenpogrome im Zweiten Weltkrieg erinnern. Täter und Opfer kannten sich teilweise. Sie waren in dieselben Schulen gegangen oder hatten jahrelang in denselben Dörfern gelebt. Der Hass wurde von nationalistischen Politikern geschürt. Die „Türken“, wie sie von den bosnischen Serben bezeichnet wurden, also muslimische Bosniaken, die nichts anderes als die „Islamisierung des Abendlandes“ im Sinne gehabt hätten, mussten aus deren Sicht eliminiert werden. Kommt einem bekannt vor. Offensichtlich kann sich Geschichte durchaus wiederholen. Beim Dankgottesdienst anlässlich des kurz nach dem Massaker erfolgten „militärischen Sieges“ in einer nahen christlichen Kirche ließ der Bischof die versammelte Gemeinde wissen: „Gott hat sich unserem Volke zugeneigt, und der Himmel war uns nie näher als jetzt. Wir fühlen, dass Gott mit uns ist. Wir spüren, dass die Hand Gottes uns führt, denn [...] ist es nicht ein Wunder und die Gnade Gottes, dass hier in drei Tagen mutige serbische Krieger serbisches Land, das seit der Zeit der Osmanen besetzt war, befreit haben? Dass dort, wo das altehrwürdige Kreuz geleuchtet hatte, sie den Schandfleck des Halbmonds entfernen?“ Fink lässt keinen Zweifel an der Schuld der bosnisch-serbischen Truppen und ihren Befehlsgebern, der als Hauptverantwortlicher für das Massaker geltende Ratko Mladić wurde im November 2017 zu lebenslanger Haft verurteilt, dokumentiert aber auch das Versagen der Staatengemeinschaft und verschweigt nicht die Verbrechen, die auf das bosniakische Konto gehen. Das akribisch recherchierte und umfangreiche Buch ist eine, anhand von Zeugenaussagen plastische und sehr erschreckende Schilderung der Mordtaten. Die Gebeine des 14jährige Mirnes Osmanovic wurden erst 14 Jahre später in einem Massengrab entdeckt. Die Mutter, die zwischendurch in Deutschland als Flüchtling geduldet war, erfuhr 2011 davon. Sie hatte nicht nur ihn, sondern auch ihren Mann bei dem Massaker in Srebrenica verloren. An die 8 500 Opfer wurden seit Ende des Bosnienkrieges exhumiert. Etwa 7 000 Leichen konnten bislang namentlich zugeordnet werden. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien stufte das Verbrechen in Srebrenica als Völkermord ein. Ernst Reuß Matthias Fink, Srebrenica, Chronologie eines Völkermords oder Was geschah mit Mirnes Osmanovic, 992 Seiten, gebunden, 20 Abb., 12 Karten, Hamburger Edition 2015, 45 € |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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