Am 9. November 1923 marschierte Adolf Hitler mit seinen Anhängern auf die Feldherrenhalle zu. Nach dem Vorbild des „Marschs auf Rom“ seines späteren Verbündeten Benito Mussolini sollten Verbände der Reichswehr zusammen mit antidemokratischen Wehrverbänden nach Berlin marschieren und dort die Macht im Deutschen Reich übernehmen.
Hitlers Auftritt war schon bei einer Versammlung am Abend zuvor martialisch. Er stieg auf einen Stuhl, feuerte mit einer Pistole in die Decke und warnte davor, dass das Versammlungslokal von der SA umstellt sei. Danach verkündete er, dass die „nationale Revolution“ ausgebrochen sei und es ihre Aufgabe wäre „den Vormarsch in das Sündenbabel Berlin anzutreten, um das deutsche Volk zu retten“. Die Proklamation der soeben gegründeten „provisorischen Deutschen National-Regierung“ lautete: „Die Regierung der Novemberverbrecher in Berlin ist heute für abgesetzt erklärt worden. Eine provisorische deutsche Nationalregierung ist gebildet worden, diese besteht aus General Ludendorff, Adolf Hitler, General von Lossow, Oberst von Seißer.“ Der sogenannte Hitler-Ludendorff-Putsch wurde allerdings am nächsten Tag blutig gestoppt. Hitler entkam durch Flucht mit Hilfe eines Sanitätsautos und versteckte sich in einem Landhaus am Staffelsee. Kurze Zeit später wurde er jedoch in Haft genommen und seine Partei im ganzen Deutschen Reich verboten. Leider nur bis zum 27. Februar 1925. Fünf Monate nach dem gescheiterten Putschversuch wurde Adolf Hitler zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Er war zusammen mit anderen Angeklagten (siehe Bild vom Tag der Urteilsverkündung) des Hochverrats beschuldigt worden. Festungshaft war ein privilegierter Freiheitsentzug, denn Festungshäftlingen billigte man eine „ehrenhafte Gesinnung“ zu. Hitler saß seine Festungshaft in Landsberg am Lech ab, wo zwischendurch auch ein bekannter bayerischer Fußballmanager einsaß. Hitler wurde bereits am 20. Dezember 1924 vorzeitig entlassen. In der Haft entstand „Mein Kampf“ und erschien im Juli 1925. Was danach geschah ist allgemein bekannt. Hitler übernahm 1933 die Macht und setzte die Welt in Brand. Ernst Reuß Bildnachweis: Bundesarchiv, Bild 102-00344A / Heinrich Hoffmann / CC-BY-SA 3.0
Sven Felix Kellerhoff versucht sich an einer umfassenden Gesamtdarstellung der NSDAP. Zwei Drittel des Buches handeln vom Aufbau und Aufstieg dieser Partei bis Januar 1933. Der Rest handelt von den zwölf Jahren bis zum Ende der NSDAP, mit den bekannten Folgen. Spätestens 1945 war alles anders. Nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.
Der Chronist der 78. US-Division fasste die Erfahrungen seiner Kameraden mit der deutschen Bevölkerung nach der Befreiung in einem Satz zusammen: „Es gab keine Nazis, auch keine Ex-Nazis, und nicht einmal irgendeinen Nazi-Sympathisanten.“ Dies stellten einige Besatzer nach dem Krieg fest, doch in den Jahrzehnten zuvor gab es Nazis zuhauf. Mit bis zu 8,5 Millionen Mitgliedern war die NSDAP die größte Partei, die es in der deutschen Geschichte gab. Kellerhoff beschreibt in seinem Buch akribisch, interessant und lesenswert die Anfänge, die Machtergreifung und den Untergang der Partei. Neben anderen Quellen nutzt Kellerhoff erstmals auch 683 subjektive Berichte von NSDAP-Sympathisanten, die ein amerikanischer Soziologe bereits 1934 mittels eines Preisausschreibens gesammelt hatte. Schon der Beginn der Partei war bemerkenswert. Kellerhoff schreibt: „Anfang Januar 1920 war Hitler noch nicht mehr als der beste Redner einer winzigen Gruppierung mit knapp 200 zahlenden Mitgliedern. Das Potenzial für eine aggressive Rechtspartei in München war hingegen weit größer.“ Dies habe sich zum Beispiel am 7. Januar 1920 gezeigt als der „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ in den größten Bierausschank Münchens eingeladen hatte. Thema des Abends sollte „Die Judenfrage“ sein. Als Redner war ein wenig bekannter Funktionär angekündigt und dennoch strömten fast 7 000 Besucher in den überfüllten Saal. Tausende andere versuchten ebenfalls eingelassen zu werden. Offenbar war es das Thema, das die Leute interessierte. Laut Kellerhoff schimpfte der Redner auf die „Stinkbande“ und auf die „Vaterlandsverräter“. Er forderte, den „jüdischen Saustall“ aufzuräumen und erntete frenetischen Beifall sowie Zwischenrufe wie „Am Marienplatz gehören sie alle aufgehängt!“. Hitler, der ebenfalls anwesend war, ergriff später das Wort und steigerte die Hasstiraden seines Vorredners mühelos. Es war einer der Wegmarken zur Gründung der NSDAP, die offiziell im Februar 1920 erfolgte, um der „Verjudung“ Berlins entgegenzutreten. Parallelen zu heutigen Zeiten kann man durchaus ziehen, auch wenn Kellerhoff nicht explizit darauf hinweist. Der Hass auf die Juden und auf „die da oben“ war der Kitt, der die unterschiedliche Interessen zusammenhielt und aus einer anfangs belächelten Partei, nach heftigen internen Querelen, ein Monstrum schuf. Ernst Reuß Sven Felix Kellerhoff, Die NSDAP, Eine Partei und ihre Mitglieder, 441 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Stuttgart 2017, 25,00 EUR |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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