Das Buch „Politische Justiz 1918-1933“ ist die Neuauflage eines juristischen Klassikers von Heinrich Hannover und seiner 2009 verstorbenen Ehefrau Elisabeth Hannover-Drück. Er als politisch engagierter Strafverteidiger und sie als Historikerin, schreiben über politische Prozesse in der Weimarer Republik. Das ist nicht nur Strafrechtsgeschichte, sondern auch Zeitgeschichte und für Juristen eigentlich ein Muss.
Das Buch wurde bereits 1966 im S. Fischer Verlag veröffentlicht. Hannover schreibt dazu in seinem Vorwort: „Ich war als Strafverteidiger in politischen Strafprozessen gegen Kommunisten und anderen Gegnern der Adenauer – Politik darauf aufmerksam geworden, dass sich in diesen Verfahren der 1950er- und 1960er-Jahre deutsche Geschichte wiederholt.“ Die juristische Legende Fritz Bauer hielt 1967 in einem Artikel in der „Zeit“ fest: „Zu den beliebtesten Lebenslügen unserer deutschen Umwelt gehört die Annahme, der nazistische Unrechtsstaat habe anno 1933 begonnen. Das Autorenteam Hannover weiß und beweist, daß der Nationalsozialismus nicht über Nacht gekommen ist, übrigens auch nicht über Nacht wieder verschwand.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Bereits lange vor 1933 war die Justiz auf dem rechten Auge blind. Das endete auch nicht 1945, sondern wirkt bis heute fort. Schmähungen der Republik und Beleidigungen von Politikern waren in der Weimarer Republik an der Tagesordnung und wurden von der Justiz nicht hinreichend verfolgt. Die Autoren zeigen Beispiele auf und man fühlt sich dabei an das Hier und Jetzt erinnert. Historisch beginnt das Buch mit Noskes Schießbefehl und gelangt über die Münchner Räterepublik zum Kapp-Putsch. Standgerichte und willkürliche Erschießungen waren an der Tagesordnung. Meist kamen die Täter mehr als glimpflich davon, während den Angehörigen der Opfer mitunter nicht mal eine Rente gewährt wurde, Später folgen dann die politischen Morde, die mit allzu milden Urteilen für die Täter geahndet wurden. Die Autoren beschreiben neben wenig bekannten Taten, auch die Morde an Walther Rathenau und Matthias Erzberger, dessen Mörder auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg von der Nachkriegsjustiz freigesprochen wurden. Ein Blausäureattentat auf Philipp Scheidemann, der inzwischen nicht mehr in der Regierung, aber Oberbürgermeister seiner Geburtsstadt Kassel, war, ging glimpflich aus. Massiv verhöhnt wurde das Opfer auch noch nach der Tat, lange vor der Erfindung des World Wide Web. Die Parallelen zu heute sind beklemmend. Die Fememörder Martin Bormann und Rudolf Höß gehörten später zum NS-Adel. Während Journalisten und „Whistleblower“ von der Justiz verurteilt wurden, hatten Mörder eher wenig zu befürchten. Die Vorgeschichte der NS-Zeit macht deutlich, dass die Drangsalierung politisch Andersdenkender und Minderheiten von breiten Schichten des Bürgertums getragenen wurde. Republikfeindschaft und Antisemitismus waren an der Tagesordnung. Nicht dieses Treiben, sondern die Freiheit von Kunst und Kultur wurde von der Justiz eingeschränkt. Der 1925 geborene Heinrich Hannover, stritt einst für kommunistische Widerstandskämpfer der Nazi-Diktatur und verteidigte die Wortführer der Studentenbewegung. Auch und erst recht heute sorgt er sich immer noch um die Demokratie und ihre Justiz. Ernst Reuß Heinrich Hannover / Elisabeth Hannover-Drück, Politische Justiz 1918–1933, Metropol Verlag, Berlin 2019, 368 Seiten, 22 €
Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, warnt eindringlich vor einem Aus des INF-Vertrages. Es bestehe die Gefahr eines neuen Wettrüstens, worunter die Sicherheit aller Länder leidet. Gorbatschow hatte das Abrüstungsabkommen 1987 mit US-Präsident Ronald Reagan unterzeichnet.
In seinem neuen Buch „Was jetzt auf dem Spiel steht“, widmet er sich den neuen Gefahren in der Welt – und auch den deutsch-russischen Beziehungen. Die USA wolle mit dem Ausstieg aus dem Abkommen ihr Streben nach „absoluter militärischer Überlegenheit“ fortsetzen, sagt er und sieht dadurch eine „ganze Lawine von Problemen“ auf die Welt zukommen. Die Nato und die EU würden seit Jahrzehnten in die Interessensphäre Russlands vordrängen. Dreißig Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sei der Frieden in der Welt wieder in Gefahr. Die alten Feindbilder des Kalten Krieges kehrten zurück, vor allem wegen der Krim-Frage. Gorbatschow unterstützt Putin dabei und meint, dass die Krim schlicht vergessen wurde, als sich die Sowjetunion 1991 auflöste. 1954 sei die Halbinsel Krim gegen den Willen der Menschen der ukrainischen Sowjetrepublik übertragen worden. Die Sowjetunion war damals noch intakt. Zuletzt widmet er sich in seinem Buch Deutschland, dem er, dreißig Jahre nach dem Mauerfall, noch heute besonders verbunden ist. Sein Schlusswort: „Wir können und müssen für normale, gute Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sorgen. Hier sind vor allem unsere politischen Führer gefragt. Aber es gibt auch eine Verantwortung, die bei jedem Einzelnen von uns liegt. Das Wohlergehen Europas hängt davon ab, und in der heutigen, globalen Welt, das des gesamten Planeten.“ Er appelliert: „Sagen wir uns: Wir können! Wir müssen!“ Ernst Reuß Michail Gorbatschow, Was jetzt auf dem Spiel steht, Mein Aufruf für Frieden und Freiheit, Hardcover,, Siedler Verlag, München 2019, 186 Seiten, 18 €
Martin Niemöller war sieben Jahre lang „persönlicher Gefangener“ von Adolf Hitler und nach dem Krieg das Gewissen der jungen Bundesrepublik. Er wurde als engagierter Pazifist zu einer Ikone der 68er Bewegung.
Allerding hatte Niemöllers Leben durchaus auch andere Facetten. Benjamin Ziemann, Professor für Neuere deutsche Geschichte, beschreibt in seiner Biographie „Martin Niemöller. Ein Leben in Opposition“ sämtliche Aspekte seines Lebens. Der 1892 geborene Martin Niemöller wurde Marineoffizier und studierte erst nach dem Ersten Weltkrieg Theologie. Geläutert? Nein! Er engagierte sich während des Studiums in rechtsradikalen und antisemitischen Parteien und Verbindungen, wählte ab 1924 die NSDAP und begrüßt die Machtergreifung Hitlers. 1936 betete er noch zu Führers Geburtstag, kritisierte aber gleichzeitig die staatliche Kirchenpolitik der Nationalsozialisten, weswegen er letztendlich im KZ landete. Als Niemöller nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Widerstandskämpfer gefeiert wurde, war er selbst davon am meisten überrascht. Dass der ehemals überzeugte Berufsoffizier sich sogar zum Präsidenten der Deutschen Friedensgesellschaft wählen ließ, ist genauso erstaunlich wie sein Einsatz für die Studentenbewegung. Widersprüche und Brüche prägten sein Leben. Ernst Reuß Benjamin Ziemann, Martin Niemöller. Ein Leben in Opposition, DVA, München 2019, € 39,00
Dass die Renten in den Ländern der ehemaligen DDR im Schnitt deutlich höher als im Westen sind, klingt angesichts dessen was man immer so hört erst mal erstaunlich – aber es stimmt und liegt an den längeren Erwerbsbiographien im Osten. Wolfgang Thierse meint daher auch zu Recht, die Ostdeutschen müssten „doch auch anerkennen, dass sie Teil des bundesdeutschen Sozialsystems geworden sind, ohne vorher entsprechen einzahlen zu müssen.“ 2018 erhielten laut Deutscher Rentenversicherung ostdeutsche Männer 1198, westdeutsche 1095 Euro, ostdeutsche Frauen 928, westdeutsche Frauen lediglich 622 Euro. Jobs im Osten waren vor der Wende sicher und Frauen meist erwerbstätig.
Aufgeschrieben hat das der ehemalige Spiegel-Redakteur Norbert Pötzl in seinem Buch: „Der Treuhand-Komplex: Legenden. Fakten. Emotionen“ und räumt dabei mit einigen Fake News auf, die oft die „Wurzel allen Übels“ - die Treuhand-Anstalt betrifft. Der Autor recherchierte direkt im Treuhand-Archiv und zeichnet ein anderes Bild, als das gewöhnlicherweise Geschilderte. Pötzl warnt vor einem falschen ostdeutschen Opfernarrativ. Die Treuhand war eine Idee des Runden Tisches der DDR und nahm nach der Volkskammerwahl im März 1990 ihre Arbeit auf. Pötzl analysiert auch die Rolle ostdeutscher Beteiligter bei der Privatisierungspraxis, die größer ist als allgemein angenommen. Beispielsweise haben auch die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer im Verwaltungsrat der Treuhand mitgestimmt, sich danach aber über die Entscheidungen regelmäßig echauffiert und trugen zum Treuhand-Bashing bei. In den ersten Jahren der Treuhand saßen an den regionalen Schaltstellen mehrheitlich DDR-Bürger, vor allem alte SED Kader. 3718 von 12 000 Betrieben wurden letztendlich von der Treuhand liquidiert, was den Erwartungen der letzten beiden DDR-Regierungen entsprach. Die DDR-Wirtschaft war sehr marode, was auch der Regierung de Maizière bekannt war. Bundeskanzler Kohl versprach damals - wider besseres Wissen - „blühende Landschaften“ und trug damit ebenfalls zur Legende bei. Ob dies aus wahltaktischen oder psychologischen Gründen geschah ist umstritten. Sicher wurden auch Fehler gemacht und manch einer – nicht nur aus dem Westen - verdiente sich eine goldene Nase. Gerade diese Fälle wurden und werden natürlich ausführlich medial beleuchtet. Das führt zu einer Verzerrung der Wahrnehmung und viele gefühlte Wahrheiten haben nichts mit den Fakten zu tun, wie Pötzl an Einzelbeispielen eindringlich darlegt. Er berichtet nicht nur über misslungene Transaktionen der Treuhand, sondern auch über deren Erfolge. Populistische Politiker, nicht nur von der AFD, haben das Klischee der armen abgehängten ostdeutschen Opfer, die von Westdeutschen und der Treuhand ausgeplündert wurden, lange Jahre bedient. Offenbar verfängt das, denn auch in Regionen, denen es sehr gut geht, erreicht die AFD eine gewaltige Masse an Wählern. Viele Analysten führen das dennoch auf die traurigen Erfahrungen der Ostdeutschen mit der dämonisierten Treuhand zurück. Gerade jetzt möchte die Linke im Bundestag erneut ein Untersuchungsausschuss zur Treuhand einrichten. Dafür ist bisher nur die AFD. Die Stimmung im Osten sei schlechter als die Lage, meint der Autor. Die Arbeitslosigkeit war vor 20 Jahren noch zehn Prozent höher als im Westen gewesen, heute sind es keine zwei Prozent mehr. Nichts ist schwerer als mit Mythen aufzuräumen. Pötzl versucht es trotzdem und wird wahrscheinlich dafür auch einiges an Gegenwind bekommen. Das Buch regt sicherlich zum debattieren an. Ernst Reuß Norbert F. Pötzl: „Der Treuhand-Komplex: Legenden. Fakten. Emotionen“, kursbuch.edition, Hamburg 2019, 256 Seiten, 22 Euro
Der britische Historiker Antony Beevor hat erneut ein umfangreiches Werk zum Zweiten Weltkrieg verfasst. Sein Buch „Berlin 1945: Das Ende“ wurde in 24 Sprachen übersetzt und war in vielen Ländern ein Bestseller. Er bleibt ein hervorragender Erzähler mit enormem Wissen, auch wenn er die Detailtreue mitunter etwas übertreibt. Auch das kleinste Scharmützel und die daran teilnehmenden Truppen und Offiziere werden ausführlich beschrieben. Beevor war Berufsoffizier in der britischen Armee, was man an seiner heroischen Erzählweise merkt, die man als Militär wohl eher nachvollziehen kann. Zuletzt beschäftigte er sich mit der Ardennen-Offensive, nun mit dem kurz zuvor stattfindenden „Kampf um die Brücken über den Rhein“. Bei Arnheim sollte einen Brückenkopf über den Rhein errichtet werden. Zahlreiche Bücher und Filme haben das Thema bereits behandelt. Operation Market Garden vom 17. bis zum 27. September 1944 war das größte Luftlandeunternehmen des 2. Weltkriegs mit 40 000 hinter den deutschen Linien abgesetzten Fallschirmjägern. Beevor berichtet chronologisch minuziös über das Geschehen. Fotos und Kartenmaterial lockern das Ganze ein wenig auf. Die Alliierten rechneten bei Arnheim lediglich mit wenig Widerstand, doch der erbittert kämpfenden Wehrmacht gelingt einer ihrer letzten Siege: Es gibt unter den Alliierten 18 000 Gefallene während die Wehrmacht 8 000 Opfer zu beklagen hatte. Jedoch waren auch zahllose Opfer unter der holländischen Zivilbevölkerung zu beklagen, denn die deutschen Besatzer übten Rache und stoppten alle Lieferungen in die Niederlande. Der Westen der Niederlande wurde von Lebensmittel- und Kohlenlieferungen abgeschnitten. Im sogenannten „Hungerwinter“ 44/45 sollen mehr als 18 000 niederländische Zivilisten umgekommen sein.
Ernst Reuß Antony Beevor, Arnheim, Der Kampf um die Brücken über den Rhein 1944, C. Bertelsmann Verlag, München 2019, Hardcover mit Schutzumschlag, 544 Seiten, € 28,00 |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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