Die Tatsache, dass Konrad Adenauer Nazis um sich duldete, ist kein Geheimnis. Es verwundert daher nicht, dass Adenauer sich in seiner Regierungszeit stark dafür einsetzte NS-Kriegsverbrecher aus den Gefängnissen herauszuholen, wobei Kriegsgefangene und verurteilte Kriegsverbrecher in einem Atemzug genannt wurden. Alte Seilschaften in Ministerien und Ämtern halfen ihren alten Kameraden ganz offiziell und ganz erheblich in rechtlicher und materieller Hinsicht. Verwunderlich ist jedoch, dass dies auch noch unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft geschah und man dabei die rechtsrevisionistische Diktion als auch die Argumentation der „Kriegsverbrecherlobby“ einfach übernahm. Warum das so war versucht der Historiker und Journalist Felix Bohr in seinem Buch „Die Kriegsverbrecherlobby - Bundesdeutsche Hilfe für im Ausland inhaftierte NS-Täter“ herauszufinden. Ein kaum bekanntes Kapitel bundesdeutscher Vergangenheitspolitik.
Amnestieforderungen standen ab 1949 ganz oben auf der Agenda der Regierung Adenauers. „Sie waren von nationalem Interesse, auch weil sie dem Willen eines Großteils einer Gesellschaft entsprachen, in der etwa elf Millionen aus der Gefangenschaft heimgekehrte Soldaten einen wichtigen politischen Faktor darstellten.“, schreibt der Autor. Er fährt fort: „Dass es in ganz Europa Hunderte verurteilter NS-Täter gab, werteten viele Bundesbürger nicht als eine Konsequenz der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, sondern als ein Ergebnis der angeblichen Siegerjustiz ehemaliger Feindstaaten und der Alliierten. Das kollektive Verdrängen der deutschen Schuld ging in der einstigen Volksgemeinschaft einher mit einer Überakzentuierung des selbst erfahrenen Leids.“ Die „Schlussstrichmentalität“ war schon damals vorherrschend. Kein Wunder viele Bürger waren in NS-Verbrechen involviert. Verständnis gab es eher für die Täter, als für die Opfer des „Dritten Reiches“. Die Kriegsverbrecherlobby bestand meist aus alten Kameraden: dem „Verband Der Heimkehrer“, der „Stillen Hilfe“, der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“, aber auch aus Kirchenvertretern, Bundestagsabgeordneten und Diplomaten. Während Opfer des NS-Regimes um gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigung kämpften, gab es für die „Kriegsgefangenen“ umfassenden Beistand. Nach dem Eichmannprozess ging man von Seiten des Staates von offener zu verdeckter Hilfe über, aber man unterstützte die in Haft befindlichen Kriegsverbrecher trotzdem über den sonst üblichen Rechtsschutz hinaus. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren auch in zahlreichen westeuropäischen Ländern NS-Kriegsverbrecher inhaftiert, wurden aber meistens entlassen, als die Bundesrepublik sich den westlichen Bündnissen anschloss. Lediglich in Italien und den Niederlanden blieben fünf Deutsche im Gefängnis. In Italien saß Herbert Kappler, der für eines der größten Massaker in Italien verantwortlich war. Im März 1944 ließ er 335 willkürlich ausgewählte italienische Geiseln erschießen, darunter einen 15-Jährigen. Einige davon ermordete er eigenhändig durch Genickschuss. Zuvor ließ er schon mehr als tausend römische Juden nach Auschwitz deportieren, nachdem er zuvor 50 Kilogramm Gold von den Gemeindevorstehern der jüdischen Gemeinde erpresst hatte. Für seine Taten war er 1948 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Verfahren gegen andere Beteiligte des Massakers wurden im nächsten Jahrzehnt von deutschen und italienischen Behörden unter den Tisch gekehrt. Kappler wurde damit zur Symbolfigur deutscher Kriegsverbrechen in Italien, aber auch zum „Märtyrer“ bei seinen Unterstützern. 1977 wurde er wegen einer Krebserkrankung in ein römisches Krankenhaus verlegt, woraus ihm, mit Hilfe seiner während der Haftzeit geehelichten Helferin und nunmehrigen Ehefrau, die Flucht gelang. In den Niederlanden saßen die nach dem Ort ihrer Inhaftierung bezeichneten. „Vier von Breda“. Sie hatten die Deportation von mehr als 100 000 niederländischen Juden und deren Ermordung zu verantworten, teilweise auch eigenhändig gemordet. Als einer von ihnen 1966 schwer erkrankt aus humanitären Gründen aus der Haft entlassen wurde, hatte es großen Unruhen in den Niederlanden gegeben. Die anderen blieben daher in Haft. Einer starb 1979 im Gefängnis, die Übriggebliebenen wurden erst 1989 aus der Haftanstalt entlassen. Willy Brandt hatte schon als Außenminister der Großen Koalition versucht die Begnadigung von Kriegsverbrechen zu erreichen. Es war nicht zuletzt Willy Brandts „Status als ehemaliger Exilant, der ihm einen hohen moralischen Anspruch und vergangenheitspolitisches Standing verlieh.“, schreibt der Autor. Den führenden Akteuren der Sozialdemokraten seien dabei alle vergangenheitspolitische Instrumente recht gewesen, um sich als staatstragende Partei zu etablieren. Es gab also durchaus innenpolitische Gründe für dieses Tun. Bei Brandt seien auch persönliche Motive ausschlaggebend gewesen. Der als „Vaterlandsverräter“ verumglimpfte Kanzler, wollte dieses Bild zurechtrücken. Möglicherweise sei sein Verhalten aber auch seiner Empathie geschuldet gewesen. Er soll Mitleid gehabt haben. Im Buch wird er mit den Worten zitiert: „Diese Kerle sind Schweinehunde, aber die sitzen so lange, die holen wir mal raus.“ Doch gelingen sollte das auch ihm nicht. Laut Schlusswort des Autors gilt es gerade jetzt die Kriegsverbrecherlobby und deren Erbe kritisch zu reflektieren, da geschichtsrevisionistische Überzeugungen wieder laut geäußert werden und im Bundestag vertreten sind. Alexander Gauland wurde in diesem nationalkonservativen Milieu politisch sozialisiert. Ernst Reuß Felix Bohr, Die Kriegsverbrecherlobby - Bundesdeutsche Hilfe für im Ausland inhaftierte NS-Täter, Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, 558 Seiten, 28,00 €
Stephan Taltys Buch „Black Hand - Jagd auf die erste Mafia New Yorks“ ist zwar kein historisches Sachbuch im eigentlichen Sinn, aber eine spannende, faktenorientierte Schilderung von Zeitgeschichte mit einer gewissen erzählerischen Freiheit. Das Buch ist dennoch durchaus empfehlenswert für denjenigen, der Einblicke in die jüngere Entstehungsgeschichte der Stadt New York gewinnen will. Es soll mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle verfilmt werden. Star der Geschichte ist Joseph Petrosino, der als Kind zusammen mit seiner Familie eingewandert war und der später im New York City Police Department (NYPD) eine eigene Abteilung gründete und den mafiösen Strukturen in der italienischen Gemeinde zu trotzen versuchte. Es ist allerdings nicht der erste Film, der die Abenteuer des Leutnants Petrosino zum Inhalt hat; im Internet findet sich sogar noch einen Stummfilm aus dem Jahre 1912.
Aufgewachsen in Little Italy hatte er sich zuvor als Schuhputzer und Straßenfeger verdingt, bevor er als inzwischen polizeiliche anerkannte Respektsperson Mafiagrößen auf offener Straße verprügelte. Berüchtigt waren damals vor allem die Angehörigen der sogenannten „Schwarzen Hand“. Erpressungen, Morde, Entführungen und Bombenattentate der „Schwarzen Hand“ beziehungsweise deren Trittbrettfahrern, blieben meist ungesühnt, solange es innerhalb der italienischen Communitiy blieb. Dort blieb man sich meist selbst überlassen, während bei wohlhabenderen Bürgern das NYPD sofort einschritt. Petrosino musste mit seinen wenigen Männern mit vielen Schwierigkeiten kämpfen und so mancher Stein wurde ihm in den Weg gelegt. Aber genau deswegen wurde er ein Star, vor allem für die kleinen Leute in den Vierteln, die er versuchte mit äußerst harter Hand zu schützen. Das Buch ist ein Heldenepos, das die negativen Seiten der durchaus angedeuteten Polizeiwillkür und Korruption weitgehend außer Acht lässt, aber mit Themen aufwartet, die auch heute noch aktuell sind. Es geht um Migration und um Armutsflüchtlinge, zu denen man heute Wirtschaftsflüchtlinge sagt. Es geht um Ausländerkriminalität und um Diskriminierung. Italiener waren nicht wohlgelitten in der damaligen Zeit und auch die Forderung nach Einwanderungsstopp oder Obergrenzen hörte man schon damals. Mit nur 49 Jahren wurde der frischgebackene, stolze Familienvater 1909 bei einer Ermittlungsreise in Sizilien in eine Falle gelockt und ermordet. Kurz danach nahmen 250 000 Menschen an seiner Beerdigung in Manhattan teil. Die Täter wurden nie gefasst. Ernst Reuß Stephan Talty, Black Hand - Jagd auf die erste Mafia New Yorks, Aus dem amerikanischen Englisch von Jan Schönherr, suhrkamp taschenbuch 4924, Klappenbroschur, Berlin 2018, 318 Seiten, 14,95 €
Der als Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten in Berlin geborene Kurt Eisner, war der erste Ministerpräsident des Freistaats Bayern.
Als einer der Anführer der Novemberrevolution vom 7. November 1918 in München, rief der Intellektuelle die bayerische Republik als „Freistaat“ aus und wurde zum Ministerpräsidenten gewählt. Der Sturz des letzten bayerischen Königs war perfekt, „Freistaat“ sollte „frei von der Monarchie“ bedeuten. Lange blieb er jedoch nicht im Amt, denn schon am 21. Februar 1919 wurde er in München auf dem Weg in den Landtag vom rechtsgerichteten Anton Graf von Arco auf Valley ermordet. Kurz zuvor hatte dieser, der selbst jüdische Vorfahren hatte, sein Motiv schriftlich festgehalten: „Eisner ist Bolschewist, er ist Jude, er ist kein Deutscher, er fühlt nicht deutsch, untergräbt jedes vaterländische Denken und Fühlen, ist ein Landesverräter.“ In der Landeshauptstadt wurde sechs Wochen nach Eisners Ermordung die Bayerische Räterepublik ausgerufen, die von rechtsnationalistischen Freikorps- und Reichswehrverbänden äußerst blutig niedergeschlagen wurde. Viele Anhänger der Räterepublik wurden dabei ermordet oder von Standgerichten zum Tode verurteilt. Während Eisners Mörder von der nunmehrigen bayerischen Landesregierung zu einer „ehrenhaften Festungshaft“ begnadigt worden war, weil seine Tat aus „glühender Liebe zum Vaterland“ begangen worden sei, galt Eisner lange Zeit als Paria. Seiner Witwe wurde die übliche Unterstützung für Hinterbliebene von Staatsbediensteten verweigert, sie musste in der Nazizeit nach Frankreich emigrieren und beging 1940 Selbstmord, als die Nazis auch dort einmarschierten. Auch lange nach dem Zweiten Weltkrieg galt das Mordopfer Eisner noch als Geächteter. 50 Jahre nach seiner Ermordung protestierte die CSU gegen die Benennung einer Münchner Straße zu Ehren des ersten bayerischen Ministerpräsidenten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts war Eisner Mitglied der SPD und Redakteur des Vorwärts gewesen. Von 1907 bis 1910 war er dann Chefredakteur der Fränkischen Tagespost, bevor er nach München umzog, um als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften zu arbeiten. Als überzeugter Pazifist trat er – wie viele SPD-Mitglieder - während des Ersten Weltkriegs aus seiner Partei aus und trat der USPD bei. Bevor Eisner zum ersten Ministerpräsidenten in Bayern ernannt wurde, kam er - als Organisator des Munitionsarbeiterstreiks in München - am 31. Januar 1918 ins Gefängnis. Die dort in den folgenden 8 ½ Monaten angefertigten Notizen sind nun kommentiert und historisch eingeordnet im Rahmen der „Kurt Eisner–Studien“ im Metropol Verlag erschienen. Weiter Studien werden hoffentlich folgen. Ernst Reuß Kurt Eisner: Gefängnistagebuch (Kurt-Eisner-Studien Band 1 - Hrsg.: Jacob, Baddack, Ebert, Pöschl), Berlin 2016, Broschiert, 224 Seiten, 19 Euro.
Johann Gottfried Kinkel war ein Theologe, Schriftsteller, Kirchenlieddichter und demokratisch gesinnter Politiker. 1849 nahm Kinkel am badisch-pfälzischen Aufstand teil. Er wurde allerdings von den Preußen nach der Einnahme der Festung Rastatt verhaftet und vom preußischen Kriegsgericht zu lebenslanger Festungshaft verurteilt. Im Mai 1850 wurde er in das Zuchthaus Spandau überführt und galt als Märtyrer der Revolution. „Kinkel-Komitees“ sammelten Geld um seine Familie zu unterstützen.
Kinkels Freund Carl Schurz war der Verhaftung in Rastatt nur durch eine Flucht über einen Abwasserkanal entkommen und wollte nun seinem Freund auf andere Weise helfen. Schurz ging heimlich nach Berlin um seinen Freund zu befreien, was ihm in der Nacht vom 6. auf den 7. November 1850 mit Unterstützung eines Gefängniswärters auch gelang. Sie flohen gemeinsam nach Warnemünde und reisten von dort nach Edinburgh und dann über London nach Paris. Kinkel wurde in London schließlich Professor für Literaturgeschichte, später dann Professor für Kunstgeschichte in Zürich wo er 1882 mit 67 Jahren starb. Schurz dagegen ging 1852 in die USA und war dort bald einer der einflussreichsten Führer der frisch gegründeten Republikanischen Partei, die sich gegen die Sklaverei aussprach. Die deutschen „Forty-Eighters“, so wurden sie in den USA genannt, waren eine durchaus ernstzunehmende Minderheit von Neuimmigranten. Schulz wurde ein bedeutendes Sprachrohr dieser deutschen Immigranten und machte Karriere. Daher ernannte ihn der neugewählte US-Präsident Abraham Lincoln bei seinem Amtsantritt zum Botschafter in Spanien. Schurz kehrte jedoch schon im Januar 1862 während des Bürgerkrieges nach Amerika zurück, um in die Unionsarmee einzutreten, wo er, der ungediente Einwanderer, innerhalb kurzer Zeit zum Generalmajor und Divisionskommandeur aufstieg. Er befehligte zumeist deutsche Freiwillige. Nach dem Bürgerkrieg wurde er 1869 in Missouri Senator, 1877 wurde er sogar Innenminister der USA. Bis zu seinem Tode betätigte er sich in der US-amerikanischen Politik. Carl Schurz starb 1906 in New York im Alter von 77 Jahren. Sein Mitstreiter Mark Twain, mit dem er gegen die imperialistische Politik der USA politisierte, verfasste seinen Nachruf. Ernst Reuß
In Österreich wird das eigene Land gerne als das erste Opfer der faschistisch -nationalsozialistischen Aggressionspolitik angesehen. Dem war allerdings nicht ganz so. Es handelt sich dabei eher um eine Lebenslüge der österreichischen Demokratie, an der man wegen der daraus resultierenden unzureichenden Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus noch heute zu knabbern hat. Bereits vor dem Anschluss im Jahre 1938 gab es in Österreich faschistische Tendenzen, die der ehemalige Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien Emmerich Tálos als Austrofaschismus bezeichnet. Ein Begriff, der auch im heutigen Österreich unter Historikern nicht unbedingt goutiert wird.
Bereits 1933 hatte sich in Österreich ein autoritäres Herrschaftssystem etabliert, das sich stark an Mussolinis faschistischem Italien anlehnte, vom Vatikan unterstützt wurde und meist als Ständestaat bezeichnet wird. Man hatte alle Wahlen ausgesetzt, die KPÖ und die NSDAP wurden verboten, was kurze Zeit später auch den Sozialdemokraten widerfuhr. Eine staatlich kontrollierte Einheitsgewerkschaft wurde eingeführt. Die Regierung wurde mit allen Befugnissen ausgestattet und das Parlament ausgeschaltet. Die Justiz wurde gleichgeschaltet. Das Standrecht und damit die Todesstrafe wurden wieder eingeführt. Politische Häftlinge wurden in Lagern eingesperrt. Im nationalsozialistischen Deutschland war das nicht anders. Allerdings wurden in Österreich keine antijüdischen Rassegesetze erlassen, aber das Regime unternahm keinerlei ernsthafte Anstrengungen, um antisemitische Übergriffe zu unterbinden. Der stark vorhandene Antisemitismus in der Bevölkerung nahm dadurch schnell weiter zu. Von manchen wurde die diktatorische österreichische Regierung als das kleinere Übel angesehen. Man versuchte die Eigenständigkeit gegen den konkurrierenden deutschen Faschismus zu behalten, was aber letztendlich erfolglos blieb. Durch Anbiederung an Deutschland wollte man die Unabhängigkeit bewahren. Kanzler Dollfuß meinte, die „braune Welle“ nur dann aufhalten zu können, wenn man das, was die Nazis versprachen, selber macht. Ein schwerer Irrtum, an den sich heutzutage viele Politiker erinnern sollten. Dollfuß, der seine Theorie umzusetzen versuchte, sollte seinen Irrtum bald bitter bereuen, denn schon 1934 wurde er in seinem Amtssitz durch Nazis ermordet. Bis Juli 2017 hing ein Gemälde von ihm im Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei und alljährlich gab es dort Gedenkveranstaltungen. Unter dem Jubel der meisten österreichischen „Arier“ kam es schließlich schon im März 1938 zum „Anschluss“ und der dumpfe, braune Ungeist setze sich in Wien endgültig durch. Schon in den nächsten Tagen wurden wohlhabende Juden gezwungen, das Kopfsteinpflaster mit Zahnbürsten zu reinigen. Am Heldenplatz jubelten tausende fanatisch jubelnde Anhänger ihrem neuen Führer Adolf Hitler zu. Schon sein Autokonvoi von München nach Wien glich einem Jubelkorso für einen Heilsbringer. Der „Führer“ wurde auf seinem Weg frenetisch gefeiert und mit Blumen beworfen. Tálos resümiert, dass die politisch selbstgewählte Abhängigkeit vom italienischen Faschismus nur kurzfristig zur Sicherung der Selbständigkeit Österreichs beitrug und eine Schwächung der internationalen Stellung Österreichs zur Folge hatte: „Sobald sich Italien und Deutschland 1936 annäherten, war die italienische Schutzfunktion für Österreich obsolet. Die Bemühungen der Regierung Schuschnigg, die Beziehungen zum nationalsozialistischen Deutschland zu ‚normalisieren‘, endeten durchgängig in einem politischen Fiasko.“ Ernst Reuß Emmerich Tálos unter Mitarbeit von Florian Wenninger, Das austrofaschistische Österreich 1933-1938, Reihe: Politik und Zeitgeschichte, Bd. 10, 2017, 200 S., 19.80 EUR
Bob Woodward, die amerikanische Reporterlegende, hat ein Buch über Donald Trump geschrieben. Nun gibt es das auch auf Deutsch und heißt „Furcht: Trump im Weißen Haus“. Die „Furcht“ im Titel bezieht sich auf ein Interview Trumps als Präsidentschaftskandidat. Auf die Frage was ihm Macht bedeute, antwortete Trump: „Wirkliche Macht ist (…) Furcht.“ Ein roter Faden im Buch, denn genau das beabsichtigt Trump beim Gegenüber zu erzeugen, wenn er einen besseren „Deal“ erreichen möchte. Er hält sich selbst für den größten „Dealmaker“, weshalb alle Abkommen, die nicht von ihm selbst abgeschlossen wurden, schlecht für die USA sind.
Woodward, der mit seinem Kollegen Bernstein die Watergate – Affäre aufdeckte, wurde einst im Oscar prämierten Hollywoodklassiker „Die Unbestechlichen“ von Robert Redford verkörpert. Der auf wahren Begebnissen basierende Film handelt von zwei gewieften Reportern, deren Enthüllungen den sich in Lügen verstrickenden amtierenden Präsidenten Richard Nixon stürzten. Viele hätten sich jetzt gewünscht, dass Bob Woodward neue Tatsachen ans Licht bringen würde, um den momentan amtierenden Präsidenten zu stürzen, der es ebenfalls nicht so genau mit der Wahrheit nimmt. Dem ist allerdings nicht so. Zwar zeichnet auch Woodward das Bild eines ignoranten, paranoiden Narzissten und notorischen Lügners mit der Aufmerksamkeitsfähigkeit eines Kindes, aber das allein reicht nicht für ein Amtsenthebungsverfahren. Von Trump zu unterschreibende Briefe seien von seinem Schreibtisch gestohlen worden, um Schlimmes zu verhindern. Woodward schreibt: „Mitglieder seines Stabes hatten sich zusammengetan, um vorsätzlich die nach ihrem Dafürhalten gefährlichsten Impulse des Präsidenten abzublocken.“ Unter den Mitarbeitern soll Angst herrschen, dass er aus Versehen einen Krieg anzettelt. Im Buch ist das Faksimile eines Briefentwurfs abgedruckt, den Trump unterschreiben wollte, um das Handelsabkommen mit Südkorea aufzukündigen, was zu unkalkulierbaren militärischen Problemen und Gefahren geführt hätte. „Das alles entsprang der Wut Trumps darüber, dass die USA gegenüber Südkorea ein Handelsdefizit von jährlich 18 Milliarden Dollar hatten und 3,5 Milliarden Dollar jährlich für den Unterhalt ihrer dort stationierten Truppen ausgaben.“, schreibt Woodward. Kommt einem bekannt vor. Eine Manie von Donald Trump, die er sich von seinen Wirtschaftberatern und Spezialisten, die meist der Ansicht sind, dass ein Handelsdefizit durchaus Vorteile haben könnte, nicht ausreden lässt. Woodward ist ein akribischer und guter Berichterstatter der US-Amerikanischen Politik unter Donald Trump. Spannend und flüssig kann man in seinem Buch lesen, wie dort Politik funktioniert. Woodward zeigt sehr viel vom Leben des mächtigsten Mannes der Welt und dessen Umfeld auf. Donald Trump macht Politik wie er twittert: impulsiv und für jeden immer wieder überraschend, auch für diejenigen die ihm eigentlich nahe stehen und ihn verstehen müssten. Die Realität hat inzwischen jede Hollywoodkomödie überholt. Nachdem alle Bemühungen, die Twitter-Aktivitäten des Präsidenten zu kontrollieren oder ihn von seinem obsessiven Fernsehkonsum abzuhalten, der die Tweets zumeist auslöste, gescheitert waren, schlug man ihm vor, Tweets für ihn zu entwerfen. Man wollte nicht, dass er sich selbst schaden würde. Trump sagte zu, twitterte aber munter weiter. Allerdings ließ er sich von nun an seine Tweets mit den meisten „Likes“ vorlegen, um sie selbst zu analysieren und daraus Erkenntnisse für neue Tweets zu gewinnen. Er bezeichnet seine Tweets als „ungefiltertes Megaphon“ für Millionen Menschen, womit er sicherlich nicht unrecht hat. Für eine Beurteilung Trumps muss man eigentlich nur seinem Twitteraccount folgen und lesen, was er dort so von sich gibt. Wer die mitunter absonderlichen und oft sehr primitiven Tweets liest, wundert sich, dass das von einem Präsidenten der Vereinigten Staaten stammen soll. „Make America Great Again“ ist die simple Devise von Donald Trump. Für viele seiner Wähler reicht das. Wie zu Erwarten reagierte Trump schon im Vorfeld des Buches per Twitter. Es seien alles „Fake-News“ einer Hexenjagd gegen ihn. Aber der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Woodward ist in der Journalistengilde hochangesehen und gilt als sorgfältiger Chronist, dessen 2013 erschienenes Buch über Barack Obama von Trump noch ausdrücklich gelobt worden war. Für sein Buch über Trump hat Woodward hunderte Stunden Interviews mit Insidern geführt sowie sich auf Protokolle und Regierungsdokumente gestützt. Dennoch gibt es keine wesentlich neuen Enthüllungen. Der regelmäßige Nachrichtenkonsument kennt das, was Woodward im Detail bestens recherchiert und dokumentiert hat. Das Buch beinhaltet zwar ein paar neue Anekdoten, aber ansonsten auch viel Klatsch und Tratsch, was mitunter sehr unterhaltsam sein kann. Trumps angebliche Russlandverbindungen und unappetitliche Details seines Umgangs mit Prostituierten in Moskau sind keine neuen Sensationen, sondern inzwischen wohlbekannt. Wobei Trump von Woodward diesbezüglich eher entlastet wird. Trumps Stabschef und sein Außenminister sollen Trump öffentlich als Idioten beziehungsweise Schwachkopf tituliert haben, dem politische Zusammenhänge vollkommen fremd und egal seien. Die meisten seines Gefolges sind inzwischen gefeuert oder haben von selbst den Hut genommen, doch es geht mit neuem Personal einfach weiter. Woodward beendet das Buch mit dem detaillierten Bericht über das Geschachere um Trumps Aussagen bei Sonderermittler Müller. Trumps Anwalt legte sein Mandat nieder, weil Trump gegen seinen Rat dort freiwillig aussagen will. Nicht, weil er ihn diesbezüglich für schuldig hält, sondern weil er glaubt, der notorische Lügner Trump würde in eine Meineidfalle tappen, auf die ein Impeachment-Verfahren folgen könnte. „Du musst stark sein. Du musst aggressiv sein. Du musst hart zurückschlagen. Du musst alles ableugnen, was du angeblich getan haben sollst. Gib nie etwas zu.“, soll auch ein Zitat von Trump sein. Trumpgegner werden das Buch als weiteren Beleg ihrer schlimmsten Befürchtungen nehmen, seine treuen Fans werden es dagegen als „Fake News“ verdammen. Es wird ihm auch diesmal nicht schaden. Immerhin sollte man zugestehen, dass er trotz großmundigere Versprechen einige „Handelsdeals“ abgeschlossen hat, die kurzfristig Vorteile für die USA bringen. Die Furcht vor seiner eigenen Unberechenbarkeit ist sein größtes Pfund und Trump weiß das zu nutzen. Trumpismus oder einfach Wahnsinn? Die Geschichte wird es zeigen. Ernst Reuß Bob Woodward, Furcht, Trump im Weißen Haus, Rowohlt Verlag 2018, Hardcover, übersetzt von: Thomas Gunkel; Hainer Kober; Peter Torberg; Karl Heinz Siber; Karsten Singelmann; Stefanie Römer; Pieke Biermann; Sylvia Bieker; Gisela Fichtl; Stephan Kleiner; Monika Köpfer; Henriette Zeltner; Elisabeth Liebl, Deutsche Erstausgabe, 528 Seiten 22,95 €
Der Simplicissimus war eine deutsche Satirezeitschrift, die 1896 erstmals erschien, schon früh Politik und Moral auf die Schippe nahm und immer wieder bei der Obrigkeit aneckte. Anfangs nur als Illustration der literarischen Texte gedacht, etablierten sich langsam die politischen Karikaturen, für die der Simplicissimus noch heute berühmt ist. Albert Langen schuf den Simplicissimus, nachdem er drei Jahre zuvor einen Verlag gegründet hatte, den Vorläufer des LangenMüller Verlags, in dem nun diese Neuedition erschienen ist. Langen starb bereits 1909 mit nur 39 Jahren, aber sein Verlag überlebte und fusionierte 1932 mit dem Georg Müller Verlag.
Freche Karikaturen machten bis dahin den Simplicissimus aus. Bereits 1898 wurden der Zeichner Th. Th. Heine und der Texter Frank Wedekind wegen Majestätsbeleidigung zu sechs Monaten Festungshaft verurteilt, während Langen als Herausgeber nach Paris fliehen und einige Jahre im Exil bleiben musste. Die Auflagen des Simplicissimus erhöhten sich danach rasant und der Chefredakteur Ludwig Thoma konnte schon bald schwarze Zahlen schreiben. Häufig machte sich die Zeitschrift über das Kaiserreich lustig und der letzte deutsche Kaiser war in seiner Hybris ein leichtes Opfer des Spotts. Vor allem aber auch die Kirche und der überbordende Militarismus wurden parodiert. Das hatte Erfolg und die Zeitschrift wurde zum Forum für viele etablierte beziehungsweise sich etablierende Künstler und Literaten. Nicht nur Ludwig Thoma, sondern auch Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Erich Kästner, Heinrich und Thomas Mann, Arthur Schnitzler, Joachim Ringelnatz, Wolfgang Borchert, Kurt Tucholsky sowie Käthe Kollwitz, George Grosz oder Heinrich Zille schrieben beziehungsweise zeichneten für den Simplicissimus. Das nun erschienene Buch enthält die wichtigsten Karikaturen aus den Jahren 1896 bis 1930, die von den Herausgebern Reinhard Klimmt und Hans Zimmermann politisch und historisch eingeordnet werden. Klimmt als ehemaliger sozialdemokratischer Ministerpräsident und Verkehrsminister in der Politik zuhause, Zimmermann als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar für die Digitalisierung und Erforschung des Simplicissimus zuständig, kommentieren alle Karikaturen sehr fachkundig. So erfährt man viel vom gesellschaftlichen Leben der damaligen Zeit, ob bürgerliche Moral, Frauenemanzipation oder technischer Fortschritt. Die Unpünktlichkeit der Bahn schien schon damals ein Problem gewesen zu sein. Technische Erneuerungen wie Flugmaschinen, Autos, Film und Radio werden skeptisch gesehen. Derartige Zweifel sind auch heute noch gang und gäbe. Während man damals Radiohörern vorwarf, nur noch vor dem Äther zu hängen und keinen Blick mehr für sein Gegenüber zu haben, kritisiert man das heute bei Smartphone-Usern. Im Rahmen der Emanzipation hat sich inzwischen jedoch einiges getan, denn Fahrrad fahrende Frauen sind heutzutage kein Aufreger, damals waren sie es. Der Simplicissimus wurde gerne im aufgeklärten Bürgertum gelesen, wo man sich mehr Demokratie ersehnte. Erst mit dem Weltkrieg 1914 änderte sich die Tonlage des Simplicissimus. Es herrschte nun bedingungsloser Patriotismus und selbst nach dem Krieg wurde der französische „Erbfeind“ und der Versailler Vertrag gerne als Grund allen Übels karikiert. Hitler nahm man damals nicht sonderlich ernst, was sich bald schon ändern sollte. Die SA zerstörte nach der Machtergreifung die Redaktionsräume. 1944 erschien die letzte Nummer der Zeitschrift, die von den Nazis auf Linie gebracht worden war. Nach dem Krieg gab es mehrere Versuche einer Neugründung, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Ernst Reuß Klimmt, Reinhard & Zimmermann, Hans (Hrsg.), Simplicissimus 1896 – 1930, Die satirische Wochenzeitschrift - Neuedition der erfolgreichen Satire-Zeitschrift, 288 Seiten, viele Abbildungen, LangenMüller Verlag Stuttgart 2018, 48 € |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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