Dass die Anwälte in der DDR „im goldenen Käfig“ gelebt hätten, so Christian Booß und so auch der Titel seines Buches, ist keine neue Erkenntnis. Schon Gregor Gysi hatte sich auf dem ersten ostdeutschen Juristentag 1992 so geäußert. DDR-Anwälte seien natürlich auch angepasst gewesen, denn die guten Verdienstmöglichkeiten hätten ihn und seine Kollegen stets diszipliniert, meinte er. So mancher Kollege konnte sich daher einen West-Pkw leisten oder schicke Antiquitäten kaufen. Die Stasi beobachtete es mit Argwohn.
Friedrich Karl Kaul war der erste Staranwalt der DDR. Seine Liebe für westliche, möglichst amerikanische Autos war legendär, aber er blieb unantastbar. Der jüdische Jurist war von den Nazis ins KZ gesteckt worden, konnte aber 1937 emigrieren. „Fragen Sie Professor Kaul“ hieß die populäre Sendung im DDR-Fernsehen, in der er sich mit juristischen Problemen des DDR-Alltags beschäftigte. Damit jedoch nicht genug – wortgewaltig plädierte er schon zu Ulbrichts Zeiten vor westdeutschen Gerichten. Er vertrat Kommunisten, die in der Zeit des Kalten Krieges verfolgt wurden, und trat häufig als Nebenkläger gegen NS-Verbrecher für in der DDR lebende Opfer auf. Ein weiterer sehr prominenter Anwalt war Friedrich Wolff, der in den achtziger Jahren mit seiner Sendereihe „Alles was Recht ist“ Kaul ablöste und zuvor schon in großen Strafprozessen auftrat, wie den Prozessen gegen Beteiligte des Aufstandes vom 17. Juni 1953 sowie gegen westdeutsche Politiker wie Globke oder Oberländer. Später war er in der Bundesrepublik an der Verteidigung von Günter Guillaume beteiligt und verteidigte nach Ende der DDR viele ehemalige SED-Größen, so wie Erich Honecker. Der Mitarbeiter der Stasiunterlagenbehörde (BStU) Christian Booß, der zusammen mit seinen Mitarbeitern die Studie verfasst hat, legt den Fokus seiner Arbeit allerdings auf das „Verhalten von Anwälten in vom MfS-ermittelten Strafverfahren während der Ära Honecker“. Da die Quellenlage bei der Berliner Anwaltschaft besonders gut gewesen sei, wurden „vor allem Fälle, die das MfS in Berlin ermittelte, in den Blick genommen“. Dazu seien „1804 Fälle aus den Jahren 1972, 1984 und 1988 in einer Datenbank erfasst, quantitativ und exemplarisch qualitativ in Hinblick auf das Anwaltsverhalten ausgewertet“ worden. Obwohl laut Booß kaum 2,8 Prozent aller Mandate solche Fälle betrafen, seien sie für die Einschätzung eines Rechts- und politischen Systems von hoher Bedeutung, da hier „Machtanspruch des Staates und das Schutzbedürfnis des Individuums in besonderer Weise aufeinandertreffen“. Auf jeden Fall wird damit ein hoch umstrittener Aspekt der DDR-Geschichte beleuchtet. Rechtsanwälte in politischen Prozessen hatten in der DDR nur geringen Handlungsspielraum. Untersucht werden in der Studie vor allem Prozesse, bei denen es auch um die Ausreise von DDR-Bürgern ging. Sie endeten meist mit ein bis zwei Jahren Haft und dem Freikauf durch bundesdeutsche Behörden. Eine lukrative Einnahmequelle für den Staat – und die Anwälte. Spezialist dafür war der Einzelanwalt Wolfgang Vogel. Erhatte nach dem Krieg studiert und 1961 den ersten Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke in Potsdam organisiert. 150 weitere von Vogel organisierte Agentenaustausche sollten folgen. Mit Vogels Hilfe wurde 250 000 Menschen die Ausreise ermöglicht. 32 000 Häftlinge wurden von der Bundesrepublik freigekauft. Vogel und seine Angestellten waren 1984 in fast der Hälfte derartiger Fälle zuständig. Er verdiente gut dabei, wurde er doch sowohl von der DDR als auch der Bundesrepublik bestens alimentiert. 1989 spielte er eine wichtige Rolle bei der Ausreise von DDR-Bürgern aus der Prager Botschaft. Unterstützt wurde er von einem Anwalt der nächsten Generation, dem späteren Politiker Gregor Gysi. In der DDR gab es im untersuchten Zeitraum durchschnittlich knapp 600 Anwälte, während es im Westen mehr als 50 000 waren. Bis auf 20 sogenannte Einzelanwälte waren die Anwälte der DDR in 15 „Kollegien“ zusammengeschlossen. Leitbild war der „sozialistische Rechtsanwalt“. Bei der Auswahl von Jurastudenten und Rechtsanwälten hatten daher Justizministerium und Partei das Sagen. Eher verwunderlich, dass erst nach 1973 die Fünfzig-Prozent-Marke überschritten wurde, was die Mitgliedschaft von Anwälten in der SED betraf. Zu den prominenten Persönlichkeiten, die nach der Wende unter Stasi-Verdacht gerieten, gehörten viele Rechtsanwälte. Das hat das Bild von DDR-Anwälten bis heute geprägt. Diese Anwälte mussten zwischen den Einmischungen der Staatsmacht und dem Mandantenwohl lavieren, was in einem Staat wie der DDR schwierig genug war. Aber es gab auch Stasi-Mitarbeiter unter den Anwälten. Der bekannteste Fall ist der von Wolfgang Schnur, der als Vorsitzender des „Demokratischen Aufbruchs“ in der Politik Karriere machte, dann mit seinem Mandantenverrat aufflog und inzwischen verarmt verstorben ist. Andere Anwälte wurden gegängelt, so wie Robert Havemanns erster Anwalt Götz Berger, dem die Zulassung entzogen wurde. Die Studie zeigt aber auch, wie schwierig es ist, sich vom Verdacht der Stasi-Mitarbeit reinzuwaschen. Vor allem prominente, in der Öffentlichkeit stehende Anwälte haben es schwer. Ihre mögliche Stasi-Mitarbeit wärmt auch der Autor wieder auf. Booß, der aufgrund seiner Tätigkeit bei der Stasiunterlagenbehörde diesbezüglich wohl auch Partei ist, führt unzählige Vermerke der Staatssicherheit auf, in denen diese Anwälte erwähnt werden und interpretiert diese. So soll Gysi über das Auftreten von Ausreiseantragstellern, der Stasi zufolge, gesagt haben, dass sie „immer aggressiver und in immer größerem Umfang“ auch in seiner Kanzlei aufträten. Booß interpretiert das so: „Dieses Dokument steht in einem gewissen Widerspruch zu Gysis Bekundung, er habe zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet.“ Rudolf Bahro sollte später über seinen Anwalt Gysi sagen: „Im ‚Realsozialismus’ hatte der Anwalt (...) zugleich eine Vermittlungsfunktion zu staatlichen Organen. (..) Was ich ihm sagte, war (...) gerade dazu bestimmt, weitergegeben zu werden, an welche Organe war seine Sache. (...) In diesem Sinne habe ich ihm vertraut und denke bis heute (.,..) aus gutem Grund.“ Dem späteren DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière wirft Booß vor, dass das MfS eine ganze Aktensammlung gehabt habe, die in seiner Amtszeit vernichtet worden sei. De Maizière bestreitet eine inoffizielle Mitarbeit und deutet die Möglichkeit an, dass das MfS einen Zweitschlüssel zu Anwaltszweigstellen besessen habe. Booß interpretiert: „Es ist zwar zutreffend, dass ein übereifriger IM den Schlüssel besorgte und das MfS einen einen Nachschlüssel fertigte. Aus den gesichteten Unterlagen wird allerdings nicht deutlich, dass das MfS diesen Schlüsseldiebstahl in Auftrag gegeben oder ihn genutzt hätte.“ Am Ende kommt Booß zu einem differenzierten Resümee. Er stellt fest, dass in der Honecker-Ära zwar Verfahren gegen prominente Dissidenten wie Bahro und Havemann das Bild der politischen Justiz prägten, diese aber eher die Ausnahme darstellten. Schauprozesse waren in Zeiten des Stalinismus üblich, doch in den späten siebziger und achtziger Jahren war eher der kurze Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit typisch. Kein „Drehbuch-Prozess“ mehr, bei denen die Prozessbeteiligten ein vom MfS erdachtes Szenario abzuarbeiten hatten, sondern lediglich eine Etappe zwischen Verhaftung und Freikauf der Verurteilten durch die Bundesregierung. Die Rechtsanwälte waren eher Justizfunktionäre, die in den von Booß untersuchten Fällen vor allem den Anschein eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu wahren hatten und dies auch bereitwillig taten. Das knapp 800 Seiten lange Buch beruht auf der Dissertation des Autors, die für die Veröffentlichung noch erweitert wurde. Dabei hätte eine gewisse Straffung der Lesbarkeit eher gutgetan. Die Aussagekraft statistischer Auswertungen ist zum Teil schwer nachzuvollziehen, und einige Grafiken wirken sehr bemüht. Gleichwohl bildet das Buch einen weiteren Mosaikstein zur Aufarbeitung der Geschichte eines deutschen Staates, der ein wenig mehr als 40 Jahre existierte. Ernst Reuß Christian Booß: Im goldenen Käfig. Zwischen SED, Staatssicherheit, Justizministerium und Mandant – die DDR-Anwälte im politischen Prozess. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017. 813 S., zahlr. Abb., 45 €
Der im Oktober 1942 fertiggestellte ehemalige Luftschutzbunker am Anhalter Bahnhof war einst für 3 000 Personen ausgelegt und diente als Schutzraum für Fahrgäste und Personal des Anhalter Bahnhofs. Der Reichsbahnpräsident und seine leitenden Angestellten hatten eine eigene Etage. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Bunker schließlich für tausende von Menschen die letzte Zufluchtsstätte und war zuletzt mit über 10 000 Personen hoffnungslos überfüllt.
Heute beinhaltet das eindrucksvolle Gebäude eine über mehrere Etagen gehende Ausstellung des Berliner Vereins Historiale, deren rührige Macher sich der Aufgabe gestellt haben, die Geschichte Berlins erfahrbar zu machen. Hitler bringt immer noch Quote, vor allem bei ausländischen Touristen in Berlin. Dennoch eine sehr eindrückliche und ausführliche Ausstellung, deren Besuch sich lohnt. In der Ausstellung „How could it happen“ bzw. „Hitler – wie konnte es geschehen“ geht es um die Geschichte des Nationalsozialismus und der Frage, wie es in einem zivilisierten Staat zur Diktatur kommen konnte. Wer der Ansicht ist, dies könne heute nicht mehr geschehen, sollte die Ausstellung anschauen oder die Hassmails lesen, die die Macher der Ausstellung bekommen haben und immer noch regelmäßig bekommen. Ernst Reuß
Angesichts der Leichtathletik WM sei noch mal an Lilli Henoch erinnert:
Die 1899 geborene Lilli Henoch war Mitglied des Berliner Sport-Clubs und in den zwanziger Jahren eine der bedeutendsten Leichtathletinnen weltweit. Sie wurde zwischen 1922 und 1926 in den Disziplinen Kugelstoßen, Diskuswurf, Weitsprung sowie mit der 4-mal-100-Meter-Staffel des BSC zehnfache Deutsche Meisterin und stellte vier Weltrekorde auf. Daneben war sie auch im Hockey und Handball ein Star und übernahm später die Leitung der Damenabteilung des Klubs. Noch 1929 hatte man Lilli Henoch in der Vereinszeitung lauthals gerühmt: „Wenn jemals ein Beispiel an Klubtreue und Uneigennützigkeit gebraucht wird, dann ruft ihren Namen. Und die Luft muss rein um uns werden“. Nur vier Jahre später – kurz nach der Machtergreifung der Nazis - wurde sie aus dem Berliner Sport Club kommentarlos ausgeschlossen. Am 5. September 1942 wurde die vielgerühmte Sportlerin mit dem 19. „Judentransport“ gemeinsam mit ihrer Mutter in den Osten deportiert. Acht Kilometer vor Riga wurde Lilli Henoch zusammen mit allen anderen Insassen des Zuges in ein Waldgebiet geführt und erschossen. Der geschichtsinteressierte Martin-Heinz Ehlert, ein Mitglied des BSC Berlin, entriss sie erst viele Jahrzehnte später dem Vergessen, indem er ihre Geschichte recherchierte und veröffentlichte. Ernst Reuß Fotos © Privatarchiv Martin-Heinz Ehlert
Jedes vierte Opfer des Holocaust kam im Rahmen der bis zum Oktober 1943 dauernden „Aktion Reinhardt“ ums Leben. Unterstützt wurden die deutschen und österreichischen Täter dabei von „fremdvölkischen“ Hilfskräften, den sogenannten „Trawniki-Männern“, die oft aus der Ukraine kamen und in einem SS-Zwangsarbeiterlager gleichen Namens seit September 1941 ausgebildet worden waren. Trawniki ist der Name des Dorfes, in dessen Nähe die SS das Lager angelegt - und nach dem Dorf benannt hat.
„Trawnikis“ machten für die SS in den Ghettos, in den Vernichtungslagern und bei der Partisanenjagd die „Drecksarbeit“. Die Rolle dieser Männer als Werkzeug der SS wird von Angelika Benz in ihrem Buch „Handlanger der SS“ ausführlich beschrieben. Die Gruppe von ungefähr 5 000 Mann wurde häufig als brutaler als die SS charakterisiert. Diese pauschale Beurteilung möchte Benz mit ihrer Studie in Frage stellen. In den Lagern kamen auf 30 SS-Vorgesetzte 120 „Trawnikis“. Schon deshalb traten sie häufig in Erscheinung. Bei den meist als Ukrainer oder „Hilfswillige“ Bezeichneten handelte es sich laut Benz um eine sehr heterogene Gruppe. Sie leuchtet in ihrer Studie deren Motive und Handlungsräume aus und diskutiert die schwierigen Themen Kollaboration, Schuld und Gerechtigkeit. Benz stützt sich dabei auf zeitgenössischen Quellen wie Protokolle von alliierten Verhören sowie auf Aussagen von deutschen SS-Männern und jüdischen Opfern. Dabei entsteht ein differenziertes Bild der meist aus den tödlichen Kriegsgefangenenlagern rekrutierten „Trawniki-Männer“. Sie waren daher selbst auch Opfer und der Willkür ihrer SS-Vorgesetzten ausgesetzt; das entschuldigt jedoch nicht die Gewaltexzesse vieler „Trawnikis“. Benz schreibt: „Das Verhältnis zwischen Trawniki-Männern und deutscher SS ist nicht generalisierbar, doch Misstrauen, Arroganz und Demütigungen bestimmten die Interaktionen im großem Maße“. Benz erzählt nicht nur die Geschichte des Trawniki-Lagers, das als Ausbildungszentrum sowie als ein jüdisches Zwangsarbeitslager betrieben wurde, sondern auch die Geschichten der Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka, in denen die „Trawniki-Männer“ vor allem eingesetzt waren. Zum Schluss setzt sie sich mit dem letzten großen Prozess in Deutschland gegen den „Trawniki“ John Demjanjuk auseinander, der 2011 mit einem Schuldspruch endete. Ernst Reuß Benz, Angelika, Handlanger der SS. Die Rolle der Trawniki-Männer im Holocaust, Berlin 2015: Metropol Verlag, 309 S., € 24,00 |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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