Wolfgang Benz, einer der renommiertesten Zeithistoriker Deutschlands mit zahlreichen Publikationen zur Geschichte des Nationalsozialismus, des Holocaust und des Widerstands, beschreibt spannungsreich und ausgesprochen empathisch das Leben Georg Elsers. Einem Einzelgänger mit offensichtlichem Schlag bei den Frauen. Er war ein einfacher Mann, der bereits früh den drohenden Krieg zu verhindern versuchte. Nach dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938 war Elser endgültig davon überzeugt, dass Hitler einen neuen Krieg plant und nur noch seine Ermordung großes Unheil abwenden könne.
Dies also zu einem Zeitpunkt als die meisten Verschwörer des 20. Juli 1944 ihrem Führer noch lauthals zujubelten. Der schwäbische Schreinergeselle wurde erst spät einer breiten Öffentlichkeit bekannt, hat aber vor vielen Anderen gesehen, was Hitlers Expansionsdrang bedeuten würde. Mit einer Zeitzünderbombe versuchte er nach monatelanger Vorbereitung am 8. November 1939 dem Zweiten Weltkrieg und Adolf Hitler ein Ende zu bereiten. Sein Anschlag im Münchner Bürgerbräukeller scheiterte jedoch, weil der „Führer“ vorzeitig den Saal verließ. Wenn Elsers Plan aufgegangen wäre, hätten die Weltgeschichte einen völlig anderen Verlauf genommen. Am 5. August 1939 war Elser nach München gezogen, um dort seinen Anschlag auf Hitler vorzubereiten. Benz schildert nicht nur dieses Attentat, welches Elser ganz allein plante und ausführte und das weitgehend unbekannte Leben des Georg Elser, sondern als Zeithistoriker auch das Leben in der Provinz vor und während der Nazizeit. Außerdem berichtet er über bekannte und eher unbekannte Widerständler, die Hitler beseitigen wollten. Dankenswerterweise nur kurz vom 20. Juli, aber ausführlicher auch von vielen unbekannten, verhinderten Attentatsversuche. Er präsentiert sein fundiertes Wissen in ausgesprochen lesbarer Form. Der 1903 geborene Elser selbst kam aus Königsbronn, einem Industriedorf auf der Schwäbischen Alb. Nach dem Besuch der Volksschule in Königsbronn wurde er als Jahrgangsbester Schreinergeselle. Sein weiterer Werdegang war geprägt durch die Inflation und durch die Machtergreifung der Nazis. Bereits über eine halbe Stunde vor der Explosion im Münchner Bürgerbräukeller wurde Elser bei dem Versuch, in die neutrale Schweiz zu fliehen, noch auf deutscher Seite vom eifrigen deutschen Grenzbeamten festgenommen. Einer davon sollte später für seine Verdienste um die Wirtschaft - als Gründer des CDU-Wirtschaftsrats 1979 - das Bundesverdienstkreuz erhalten. Elser wurde ohne Gerichtsverfahren im KZ Sachsenhausen, später im KZ Dachau gefangen gehalten. Kurz vor Ende des Krieges wurde er am 9. April von den Nazis ermordet. Hitler selbst hatte die Hinrichtung angeordnet. Ein SS-Oberscharführer vollstreckte den Tötungsbefehl mit einem Genickschuss. Dies geschah zwanzig Tage vor der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau durch US-Truppen. Elser wurde gerade mal 42 Jahre alt. Sein Schicksal blieb für die Familie unbekannt, ein Grab gab es nicht. 1950 wurde er offiziell für tot erklärt. Nach dem Krieg wurde Elser vielfach verleumdet, so zum Beispiel vom prominenten Mithäftling Niemöller, der ihn als SS-Mann bezeichnet. Man konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass Elser allein gehandelt hat. Historiker weigerten sich lange Zeit beharrlich, sich mit Elser als Widerständler zu beschäftigen. Es hielt sich das Gerücht, er sei eine Marionette der Nationalsozialisten gewesen. Erst 1964 wurden die vollständigen Protokolle von den Verhören Elsers in Berlin entdeckt. Im Gegensatz zu den Verschwörern des 20. Juli 1944 wurde Georg Elser in der offiziellen Gedenkkultur der Bundesrepublik bis in die 1990er Jahre kaum gewürdigt. Georg Elser ist ein Beispiel dafür, dass die Unterwerfung unter die Nazi-Diktatur auch für so genannte „einfache Menschen“ nicht alternativlos war. Benz räumt mit den Nachkriegsmythen auf und scheut auch nicht davor andere Zeithistoriker zu kritisieren. Sein Buch endet mit den Sätzen: „Elser war ein kategorischer Moralist, in der Konsequenz einer als notwendig erkannten Tat. Zu Recht sehen die Nachgeborenen Georg Elser deshalb als besonders authentischen Widerstandskämpfer.“ Ernst Reuß Benz, Wolfgang, Allein gegen Hitler, LEBEN UND TAT DES JOHANN GEORG ELSER, C. H. Beck Verlag 2023, 224 S., mit 29 Abbildungen, Hardcover, 27 €.
Am 18. Februar 1949, also rund drei Monate, bevor am 23. Mai 1949 mit dem Grundgesetz die Todesstrafe abgeschafft wurde, fand auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die letzte Hinrichtung aufgrund eines deutschen Gerichtsurteils statt. Die letzte Hinrichtung in West-Berlin wurde dagegen am 11. Mai 1949, zwölf Tage vor Verkündung des Grundgesetzes, vollzogen. Dies widersprach dem am 8. Mai für die drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands verabschiedeten Grundgesetz, aber in West-Berlin blieb man unerbittlich und beharrte auf dem Vollzug des Todesurteils. Das Grundgesetz wurde nämlich erst am 12. Mai von den Westalliierten genehmigt und trat dann am 23. Mai 1949 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt wurde in West-Berlin kein von einem deutschen Gericht zum Tode Verurteilter mehr hingerichtet.
Opfer einer eher engstirnigen Anwendung der Gesetze wurde der bei seinem Tod 24-jährige Raubmörder Berthold Wehmeyer. Angeblich soll es sich bei dem in diesem Fall eingesetzten Schafott um die Guillotine gehandelt haben, mit der schon Robespierre hingerichtet worden war und die als Kriegsbeute 1871 nach Berlin gekommen sein soll. Der Wahrheitsgehalt dieser Anekdote lässt sich jedoch nicht mehr ermitteln. Deutsche „Fallbeile“ gab es jedenfalls gleich nach dem Ende des Nationalsozialismus genügend. Derartige Tötungsinstrumente, mit denen viele Tausende Menschen enthauptet worden waren, fertigte die Gefängnisschlosserei Tegel. Hitler gab 1933 dort den Bau von mehr als 30 Guillotinen in Auftrag. Sie wurden – außer in Frankreich, wo es seit der Revolution eine ausreichende Anzahl dieser Tötungsmaschinen gab – vor allem in den besetzten Gebieten gebraucht, wo sie massenhaft zum Einsatz kamen. Der gelernte Schlosser Berthold Wehmeyer, der durch die Umstände seines Todes einen zweifelhaften Ruhm erlangte, hatte zusammen mit seinem vier Jahre älteren Bekannten Hans Wagner, der wegen Beihilfe zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, eine ältere Frau aus Berlin-Weißensee bei der gemeinsamen Hamsterfahrt im Umland vergewaltigt und erwürgt. Wehmeyer und sein Kumpel versteckten die Leiche der Frau in einem Heuhaufen auf einem Feld bei Wusterhausen an der Dosse, wo sie am 28. April 1947 von einem Bauern gefunden wurde. Alles deutete auf eine „Hamsterfahrerin“ aus Berlin hin, die in der Prignitz Nahrungsmittel eintauschen wollte. Der Kehlkopf der Frau war gebrochen, doch gestorben war die Frau an dem Knebel in ihrem Mund. Sie war erstickt. Mordfälle wie dieser gehörten damals zum Nachkriegsalltag. Da es Zeugen der Begegnung zwischen den beiden jungen Männern und der Toten gab, ermittelte die Kriminalpolizei recht schnell das Opfer und die mutmaßlichen Täter. Sie wurden umgehend festgenommen. Im Gegensatz zu ihnen, die erfolglos gehamstert hatten, konnte die 61-jährige Eva Kusserow 20 Kilogramm Kartoffeln ergattern, die Wehmeyer und Wagner nun erbeutet hatten. Ein aus heutiger Sicht recht armseliges Motiv, doch in jener Zeit herrschte Hunger. Kartoffeln bildeten den Hauptbestandteil der Nachkriegsernährung, und um die Kartoffel kreiste damals das Denken vieler Menschen. Wehmeyer sagte aus, dass er die Frau von hinten gepackt und gegen den Hals geschlagen habe. Angeblich sei er von seinem Mittäter Wagner dazu angestiftet worden. Danach habe er versucht, sie zu vergewaltigen. Das habe aber nicht so geklappt, weil er sich von seinem Mittäter gestört gefühlt habe, der schließlich statt seiner die röchelnde Frau vergewaltigt haben soll. Danach habe er ihr eine weißes Tuch in den Mund gesteckt, und sie hätten ihr die Nase zugehalten und sie geschlagen, bis kein Lebenszeichen mehr zu vernehmen war. Der 28-jährige ehemalige Bäcker Wagner, der inzwischen als „Hilfsdesinfektor“ beim Gesundheitsamt Steglitz arbeitete, war laut eigener Aussage angeblich nur untätig dabeigestanden, während Wehmeyer die Tat ausführte. Er habe dann geholfen, die Leiche fortzuschaffen, was er in einer späteren Aussage wiederum bestritt. Wehmeyers Tat habe ihn entsetzt, aber er habe Angst vor ihm gehabt. Zusammen mit seiner Gattin belastete er den verdächtigen Berthold Wehmeyer als Haupttäter schwer. Delikat war dabei, dass der ledige Wehmeyer mit Wagners Ehefrau eine Affäre eingegangen war. Sie hatte angeblich ihren Mann verlassen wollen und die beiden miteinander bekannt gemacht. Sie habe ihre Sachen packen wollen und angeblich deswegen die beiden Männer am Tattag zum „Hamstern“ geschickt. Nach der Tat überlegte sie es sich wohl anders und hielt wieder zu ihrem Mann. Die beiden Täter beschuldigten sich also gegenseitig der Tat. Die Kriminalpolizei war unschlüssig. Wehmeyer verwickelte sich, im Gegensatz zu Wagner, in keine Widersprüche. Ein psychiatrisches Gutachten sollte den wahren Mörder ermitteln. Wehmeyer habe ein stark ausgeprägtes Sexualverlangen, hieß es im Gutachten. Seinem Mittäter wurde dagegen eine normale Sexualität attestiert. Die Richter konnten sich nicht vorstellen, dass er das viel ältere und damit weniger attraktive Opfer missbraucht haben soll, wo er doch mit einer jungen Frau verheiratet war. Das Verhältnis zwischen Wehmeyer und der Frau seines Mittäters spielte bei diesen Überlegungen anscheinend keine Rolle. Wehmeyer, der schon einschlägig aktenkundig war, sei eine „primitive, triebhaft handelnde, psychopathisch, egoistisch veranlagte Persönlichkeit“. Als 16-Jähriger hatte er eine Frau in der S-Bahn beraubt und sie aus dem Wagen zu stoßen versucht. Dafür war er zu neun Jahren Haft verurteilt worden, aber bereits 1944 auf freien Fuß gekommen. Kurzzeitig war der mit seiner Mutter in Berlin-Wittenau lebende 24 -jährige Wehmeyer in den Wittenauer Heilstätten als Krankenpfleger tätig. Grund dafür, dass er nach nicht einmal einem Monat kündigte, waren auch seine Vorstrafen aus dem Jahr 1942, die er bei der Einstellung nicht erwähnt hatte. In seinem dortigen Personalbogen ist nachzulesen: „Das Bezirksamt Reinickendorf teilt telefonisch mit, dass der hier seit dem 17. 1. 47 beschäftigte Krankenpfleger Wehmeyer Berthold nach eingegangenem Strafregister-Auszug am 23. 4. 1942 vom Landgericht Berlin wegen schweren Raubes und versuchten Mordes als Volksschädling und Gewaltverbrecher verurteilt worden ist. Es ist W. anheim zu geben, selbst sofort zu kündigen, andernfalls muss er fristlos entlassen werden.“ Der Gerichtsgutachter gab später zu Protokoll: „Seine derzeitige Straftat ähnelt in jeder Weise derjenigen, durch welche er sich vor Jahren strafbar machte. Heute wie vordem war der Anlass zu seinem Vorgehen Egoismus und jetzt wie vor Jahren zeigt sich die alte Brutalität, dieselbe Gefühlskälte, die seinem Wesen eigen ist, welche seinem Vorgehen die Note gibt.“ Der Gutachter sah entgegen Wehmeyers Aussagen eher ihn selbst als Anstifter als den älteren aber „infantilen“ Wagner, der leicht zu beeinflussen gewesen sein soll. Damit war die Sache für Polizei und für das Gericht klar. Am 5. Juli 1948 wurde Wehmeyer wegen Mordes und sexuellen Missbrauchs zum Tode verurteilt. Im September 1948 kam er in Einzelhaft, da er einen Ausbruchversuch geplant hatte, aber von einem Zellengenossen verraten worden war. Der vom Vorwurf des Missbrauchs freigesprochene Wagner wurde, wie erwähnt, wegen Beihilfe zum Mord zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Laut Urteil sei Wehmeyer dem Wagner „körperlich und in seiner Entschlusskraft weit überlegen“ gewesen. Die Revision wurde zurückgewiesen, ein Gnadengesuch vom Vorsitzenden Richter mit den dürren Worten „zur Befürwortung einer Begnadigung sehe ich keinen Anlass“ abgelehnt. Wehmeyers Mutter hatte am 27. November 1948 geschrieben: „Berthold hat auch die ganzen Jahre seit dem Tod meines Mannes, seitdem er Ende Oktober 1945 aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt ist, mir helfend zur Seite gestanden. Er war mein Ernährer nach dem Tode meines Mannes, der am 9. November 1945 gestorben ist. So schlecht wie man ihn also macht, ist er auch als Mensch nicht. [...] Mein Sohn ist leicht beeinflussbar und ich bin überzeugt, dass er von Wagner beeinflusst worden ist und daß die schlechten Gedanken nicht von ihm herrühren. Andererseits ist mein Sohn sehr unbeholfen und es behindert ihn auch sein Sprachfehler, er stottert nämlich.“ Auch die Alliierte Kommandantur lehnte sodann eine Begnadigung in englischer, russischer und französischer Sprache ab. So kam es schließlich zur Hinrichtung im Gefängnis in der Lehrter Straße. Der Scharfrichter wurde informiert, beim Bezirksbürgermeister wurden Lebensmittelkarten für die Henkersmahlzeit und für die an der Vollstreckung beteiligten Personen bestellt sowie 300 rote Plakate gedruckt. Sie dienten dazu, die vollstreckte Hinrichtung an ausgesuchten Litfaßsäulen der Stadt der Allgemeinheit bekannt zu geben. Wehmeyer schrieb einen Abschiedsbrief an seine Mutter: „Ich werde dich [sic!] liebe Mutter heute den letzten Brief schreiben. Wenn du diesen erhältst, bin ich schon bei Pappa.“ In dem langen Brief schob er das Verbrechen auf seinen Mittäter. Vor allem das Sexualdelikt stritt er ab, gab aber zumindest zu, an dem Raubüberfall mit Todesfolge beteiligt gewesen zu sein. Am 11. Mai um 6.30 Uhr wurde er in den Hinrichtungsraum im Zellengefängnis Lehrter Straße geführt. Laut Protokoll dauerte die gesamte Prozedur nur drei Minuten und fünf Sekunden.Scharfrichter war ein gewisser Horst Schwenk. Angeblich trennte das Fallbeil den Kopf des Delinquenten nicht auf Anhieb vom Körper. Das war wohl auch ein sich wiederholendes Gerücht, das der Boulevardberichterstattung bei Hinrichtungen zu verdanken ist. Im offiziellen Bericht über die Hinrichtung steht jedenfalls davon nichts. Auch sein Mittäter hatte ein Gnadengesuch eingereicht, das wegen fehlender Einsicht in sein Verbrechen abgelehnt wurde. Nachdem er schließlich seine Haftstrafe abgesessen hatte, bedrohte er seine inzwischen von ihm geschiedene Frau und deren neuen Ehemann und musste wohl abermals einsitzen. Viele Jahre kämpfte er noch um seine Rehabilitation. 1986 erfolgte eine letzte Dienstaufsichtsbeschwerde, 1988 verlangte er noch mal Einsicht in seine Strafakte. Danach verliert sich seine Spur. Nach der Hinrichtung Wehmeyers wurde die letzte Berliner Guillotine demontiert und vier Jahrzehnte im Keller der Untersuchungshaftanstalt Moabit verwahrt. Danach ging die Guillotine in den Besitz des Deutschen Historischen Museums über. Von dort wurde sie als Dauerleihgabe an das Strafvollzugsmuseum in Ludwigsburg weitergereicht, wo sie noch heute zu besichtigen ist. Bis zur Abschaffung der Todesstrafe fanden zwischen 1947 und 1949 im Berliner Zellengefängnis Lehrter Straße insgesamt zwölf Exekutionen statt. Vier davon waren vom Britischen Militärgericht angeordnet, acht erfolgten auf Anordnung des Landgerichts Berlin. (aus: Ernst Reuß, Endzeit und Neubeginn. Berliner Nachkriegsgeschichten, Metropol Verlag, Berlin 2022, 282 Seiten, S. 32 ff.) Vor 85 Jahren starb Hans Litten. Am 5. Februar 1938 setzte er seinem Leben ein Ende. Ein Mann, der in der Weimarer Republik für die Gerechtigkeit eintrat und sich nicht nur unter den Nazis viele Feinde gemacht hatte. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in der Nacht des Reichstagsbrandes wurde Hans Litten in „Schutzhaft“ genommen. Als politischer Gefangener kam er ins KZ und musste den roten Winkel tragen. Später ordnete man ihn in Dachau dem „Judenblock“ zu. Als seine Mutter ihn dort das letzte Mal besuchen durfte, trug er nicht mehr den roten Winkel, sondern den gelben Stern. Zahlreiche Versuche, auch von ausländischen Juristen, seine Freilassung zu erreichen, waren vergeblich. Litten wurde physisch und psychisch gequält. Bereits im Sommer 1933 versuchte er vergeblich, sich den brutalen Misshandlungen durch Suizid zu entziehen. Erst nach langen Jahren der Demütigung konnte Litten auf tragische Weise endgültig der Barbarei entfliehen. Am 5. Februar 1938 erhängte er sich im Alter von nur 35 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war Litten schon fast zu Tode gemartert, hatte ein steifes Bein, eingeschlagene Zähne und war auf einem Auge blind. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof Pankow in Berlin. Der am 19. Juni 1903 Geborene war der Sohn eines zum Christentum konvertierten Juden. Seine Mutter entstammte einer schwäbischen Pastoren- und Professorenfamilie. Sein autoritärer Vater Fritz, ein erzkonservativer, bis zur Machtübernahme der Nazis einflussreicher Rechtsprofessor für römisches und bürgerliches Recht, Rektor der Albertus-Universität Königsberg, Berater der preußischen Regierung und Gegner der Weimarer Republik, drängte ihn zum Jura-Studium, das Hans Litten offenbar nur sehr unwillig begann. Seine politische Prägung ging anscheinend eher von der Mutter Irmgard aus, denn schon in seiner Jugend wandte er sich einer jüdischen Jugendgruppe mit sozialrevolutionären Ideen zu und suchte den gesellschaftspolitischen Diskurs. Dies tat er auch in seinem späteren Beruf als Rechtsanwalt. Nach Abschluss seiner mit glänzenden Noten bestandenen Examina lehnte Hans Litten Angebote renommierter Anwaltskanzleien sowie des Reichsjustizministeriums ab und ließ sich 1928 mit einem sozial engagierten, der KPD nahestehenden Rechtsanwalt in einer gemeinsamen Anwaltskanzlei in Berlin nieder. Durch seinen Partner bekam er Kontakt zu der von Wilhelm Pieck und Clara Zetkin gegründeten Roten Hilfe, die Rechtsschutz für Arbeiter organisierte. Bereits einer der ersten Prozesse des frisch zugelassenen Rechtsanwalts Litten erregte großes Aufsehen. Er vertrat Arbeiter, die Jahre zuvor im März 1921 wegen Widerstandes gegen den vom preußischen Innenminister befohlenen Polizeieinmarsch in mitteldeutsche Industrieorte zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt worden waren. Bei einigen seiner Mandanten gelang ihm eine Anerkennung als politische Täter. Sie fielen damit unter eine Amnestie und kamen umgehend frei. Litten ging es in seinen zahlreichen Verfahren um die Aufdeckung der Methoden der Polizei und der Verantwortlichkeit bis in die höchsten politischen Kreise. Er vertrat meist Opfer von Polizeiübergriffen und faschistischen Überfällen. Litten strebte grundsätzlich immer einen Freispruch oder gegebenenfalls eine tatangemessene Bestrafung an, was mitunter zu Konflikten mit der Roten Hilfe und der KPD führte, die es lieber gesehen hätte, wenn er mit seinen Prozessen politische Märtyrer geschaffen hätte. In der sozialen und politischen Umbruchzeit erwarb sich Litten als Nebenkläger und Verteidiger bald einen Ruf als hervorragender Verteidiger bei politischen Prozessen, da er diese Prozesse mit öffentlichkeitswirksamen Zeugenvernehmungen zu Tribunalen umfunktionierte. Das führte einmal dazu, dass er als Verteidiger und Nebenklägervertreter abgelehnt wurde, weil er laut Gericht eine „hemmungslose parteipolitische Propaganda im Prozess entfaltet“ und „den Gerichtssaal zum Tummelplatz politischer Leidenschaften“ gemacht haben soll. Es sollte bei diesem Prozess um einen Überfall von Schlägertrupps der SA auf eine Laubenkolonie in Berlin-Reinickendorf gehen, bei dem 1932 ein Mann ermordet wurde. Ein Mord, bei dem die Angeklagten zu Weihnachten amnestiert wurden. Nach dem Opfer Fritz Klemke ist heute vor Ort eine Straße und der Park benannt. In einem seiner bekanntesten Prozesse verteidigte Litten im Jahr 1929 Teilnehmer des sogenannten Blut-Mais, einer Erste-Mai-Kundgebung in Berlin, bei der mehr als 30 Demonstranten getötet und Hunderte verletzt wurden. Litten, der die Demonstration und das brutale Vorgehen der Polizei selbst beobachtet hatte und von Polizisten zusammengeschlagen worden war, als er die Namen von Zeugen und Opfern notierte, erstattete erfolglos Anzeige gegen den damaligen sozialdemokratischen Berliner Polizeipräsidenten Zörgiebel wegen Anstiftung zum Mord in 33 Fällen. Danach gründete er zusammen mit Alfred Döblin, Heinrich Mann und Carl von Ossietzky einen „Ausschuß zur Untersuchung der Berliner Maivorgänge“, um angeklagte Arbeiter zu unterstützen. Zur Katastrophe des sogenannten Blut-Mais mit seinen zahlreichen Opfern war es gekommen, weil öffentliche Demonstrationen unter freiem Himmel wegen vieler gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken verboten worden waren. Die KPD wollte sich den Kampftag der Arbeiterbewegung aber nicht nehmen lassen und hatte trotzdem zur Demonstration unter freiem Himmel aufgerufen. SPD und Gewerkschaften konnten sich nicht dazu entschließen, sie versammelten sich in Hallen, während die KPD am Vorabend des 1. Mai Flugblätter verteilte, auf denen wahrheitswidrig behauptet wurde, das Demonstrationsverbot sei aufgehoben worden. 8000 Menschen, hauptsächlich in den Berliner Arbeitervierteln Wedding und Neukölln, folgten dem Aufruf und demonstrierten in vielen kleinen Gruppen. Es waren deutlich weniger Teilnehmer, als die KPD erwartet und die Polizei befürchtet hatten. Trotzdem aber ging die Polizei schon morgens unter Einsatz von Schlagstöcken und Spritzenwagen gegen die Demonstrationsgrüppchen vor, vereinzelt wurden auch Warnschüsse abgegeben. Die Gewalt eskalierte, und die Polizei beschoss sogar Wohngebäude, an denen rote Fahnen aufgehängt waren. Nach seiner Rückkehr von der SPD-Kundgebung im Sportpalast wurde ein Mitglied der SPD von einem Polizisten erschossen, als er der Aufforderung, sein Wohnungsfenster zu schließen, nicht sofort nachkam. Am Tag danach rief die KPD zu Massenstreiks auf, was von etwa 25 000 Arbeitern befolgt wurde, doch die Übergriffe der Polizei gingen weiter. Polizisten durchkämmten die Arbeiterviertel, durchsuchten Wohnungen und nahmen zahlreiche Menschen fest. Es galt eine strenge Ausgangssperre, straßenseitige Fenster mussten geschlossen und die Räume durften nicht beleuchtet werden. Kurz vor Mitternacht des 3. Mai wurde ein neuseeländischer Journalist von der Polizei erschossen, weil er vermutlich die Aufforderung zum Verlassen der Straße nicht verstanden hatte. Er war der letzte Tote des sogenannten Blut-Mais. Eine amtliche Untersuchung der Polizeiübergriffe fand dennoch nicht statt, kein Polizist wurde angeklagt. Aber Litten machte die Vorfälle in Prozessen öffentlich und schuf sich weitere Feinde nicht nur am rechten Rand. Am gefährlichsten für ihn wurde jedoch der 1931 stattfindende Prozess um den SA-Überfall auf das Tanzlokal Eden in Berlin-Charlottenburg. Hans Litten vertrat einige der verletzten Arbeiter und wollte die Verantwortung der obersten Parteiführung der NSDAP beweisen. Er beantragte Adolf Hitlers Zeugenvernehmung, was auch geschah. Im Laufe der Vernehmung schaffte es Litten, Hitler in die Enge zu treiben, bis dieser sich unter Eid in seinen eigenen Lügen verstrickte, Litten wütend mit hochrotem Kopf anbrüllte und jegliche Fassung verlor. Hitler war blamiert. Ein Erfolg für Litten und für die Hitlergegner, aber auch ein tragischer Pyrrhussieg, denn das sollten ihm seine rachsüchtigen Gegner nie verzeihen. Am 10. Mai 1951 erhielt die Neue Friedrichstraße, an der sich das damalige Berliner Kammer-, Land- und Bezirksgericht der „östlichen Hemisphäre“ befanden, den Namen Littenstraße. Im ehemaligen Gebäude des späteren Obersten Gerichts der DDR ist heute das Landgericht Berlin und Amtsgericht Berlin-Mitte untergebracht. Dort wurde zusätzlich eine Gedenktafel für Hans Litten installiert und im Gerichtsgebäude eine Büste aufgestellt. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die Rechtsanwaltskammer Berlin haben heute ihren Hauptsitz in der Littenstraße 9, Hans-Litten-Haus genannt. Außerdem hat die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen ihren alle zwei Jahre verliehenen Preis für demokratisches Engagement nach Hans Litten benannt. Vor seinem ehemaligen Wohnort in Berlin-Mitte ist heute ein Stolperstein verlegt zbd auch eine Schule in Berlin - Charlottenburg wurde nach ihm benannt. Nicht zu vergessen spielt Hans Litten auch in der vielfach ausgezeichneten Erfolgsserie „Babylon Berlin“ eine entscheidende Rolle. Trotzdem ist er nicht nur unter Juristen immer noch weitgehend unbekannt und es lohnt sich seiner auch an seinem 85.Todestag zu erinnern. Ernst Reuß, in: Berliner Zeitung vom 03. Februar 2023 (Open Source) (vom Autor erschien 2022 das Buch „Endzeit und Neubeginn, Berliner Nachkriegsgeschichten“ im Metropol Verlag) Am 10. Mai 1951 erhielt die Neue Friedrichstraße, an der sich das Berliner Kammer-, Land- und Bezirksgericht der „östlichen Hemisphäre“ befanden, den Namen Littenstraße. Geehrt wurde mit dieser Umbenennung der 1938 im KZ gestorbene Jurist Hans Litten, der sich in der Weimarer Republik einen Namen als „Arbeiter-Anwalt“ gemacht hatte. Der 1903 Geborene war der Sohn eines zum Christentum konvertierten Juden. Seine Mutter entstammte einer schwäbischen Pastoren- und Professorenfamilie. Sein autoritärer Vater, ein erzkonservativer, einflussreicher Rechtsprofessor und Gegner der Weimarer Republik, drängte ihn zum Jura-Studium, das Hans Litten offenbar nur sehr unwillig begann. Seine politische Prägung ging anscheinend eher von der Mutter aus, denn schon in seiner Jugend wandte er sich einer jüdischen Jugendgruppe mit sozialrevolutionären Ideen zu und suchte die politische Auseinandersetzung. Dies tat er auch in seinem späteren Beruf als Rechtsanwalt. (...) Bereits einer der ersten Prozesse des Rechtsanwalts Litten erregte Aufsehen. Er vertrat Arbeiter, die wegen Widerstandes gegen den vom preußischen Innenminister befohlenen Polizeieinmarsch in mitteldeutsche Industrieorte zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt worden waren. (...) In einem seiner bekanntesten Prozesse verteidigte Litten im Jahr 1929 Teilnehmer des sogenannten Blut-Mais, einer Erste-Mai-Kundgebung in Berlin, bei der mehr als 30 Demonstranten getötet und Hunderte verletzt wurden. Litten, der die Demonstration und das brutale Vorgehen der Polizei selbst beobachtet hatte und von Polizisten zusammengeschlagen worden war, als er die Namen von Zeugen und Opfern notierte, erstattete erfolglos Anzeige gegen den damaligen Berliner Polizeipräsidenten wegen Anstiftung zum Mord in 33 Fällen. (...) Am gefährlichsten für ihn wurde jedoch der Prozess um den SA-Überfall auf das Tanzlokal Eden in Berlin-Charlottenburg. Hans Litten vertrat einige der verletzten Arbeiter und wollte die Verantwortung der obersten Parteiführung der NSDAP beweisen. Er beantragte Adolf Hitlers Zeugenvernehmung, was auch geschah. Im Laufe der Vernehmung schaffte es Litten, Hitler in die Enge zu treiben, bis dieser sich unter Eid in seinen eigenen Lügen verstrickte, Litten wütend mit hochrotem Kopf anbrüllte und jegliche Fassung verlor. Hitler war blamiert. Ein Erfolg für Litten und die Hitlergegner, aber auch ein tragischer Pyrrhussieg. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Hans Litten in „Schutzhaft“ genommen. Zahlreiche Versuche, auch von ausländischen Juristen, seine Freilassung zu erreichen, waren vergeblich. Litten wurde physisch und psychisch gequält. Im Sommer 1933 versuchte er vergeblich, sich den brutalen Misshandlungen durch Suizid zu entziehen. (...) Am 5. Februar 1938 erhängte er sich. Zu diesem Zeitpunkt war Litten schon fast zu Tode gemartert, hatte ein steifes Bein, eingeschlagene Zähne und war auf einem Auge blind. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof Pankow in Berlin." (zitiert aus: Ernst Reuß, Endzeit und Neubeginn. Berliner Nachkriegsgeschichten, Metropol Verlag, Berlin 2022, 282 Seiten, S. 187 ff.)
Am Ende des Krieges lebten in Berlin etwa 2,6 Millionen Menschen; 28,5 Quadratmeter des Stadtgebietes waren Ruinenfelder, 39 Prozent des Wohnungsbestandes und 35 Prozent der Industrieanlagen total zerstört. Hunger, Elend und Chaos. Am 2. Mai 1945 unterzeichnete der letzte deutsche Kampfkommandant Berlins in Tempelhof die Kapitulationsurkunde für die Reichshauptstadt, nachdem schon am 28. April 1945 der Militärkommandant der Stadt Berlin Generaloberst Bersarin mit dem Befehl Nr. 1 bekannt gegeben hatte, dass die gesamte administrative und politische Macht in Berlin auf ihn übertragen wird. Die sowjetische Besatzungsmacht machte sich nicht nur daran, die Trümmer des „1000-jährigen Reiches“ aufzuräumen und die Versorgung der Berliner Bevölkerung zu sichern, sie organisierte auch Verwaltung, Polizei und Gerichte neu. Seit dem 14. Mai verkehrten wieder die ersten U-Bahnen, am 19. Mai nahm der Magistrat seine Tätigkeit auf. Der überaus notwendige Aufbau der Gerichtsbarkeit war zum 1. Juni abgeschlossen. In der ausgebluteten, ausgehungerten, zerbombten Stadt wurde geplündert, geraubt und gemordet.
Ernst Reuß, promovierter Jurist und freiberuflicher Autor, hat über diese schwierige Nachkriegszeit ein sehr faktenreiches, hervorragend recherchiertes und spannendes Buch geschrieben. Entlang von Kriminalfällen beschreibt er den Neuaufbau der Berliner Justiz und stellt sogleich den Machtkampf zwischen den einstmals Alliierten im Kalten Krieg dar. Zur bundesdeutschen Realität gehört auch, dass der Bundestag erst 1998 (!!!) per Gesetz die menschenverachtenden Entscheidungen der faschistischen Terrorjustiz aufhob. Standrechtliche Erschießungen sahen bundesdeutsche Gerichte, so der Autor, noch bis in die 1980er Jahre für rechtmäßig an. „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein“, war eine gängige Formel, ausgesprochen vom damaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs Hans Filbinger (CDU) – als Militärrichter selbst an solchen Urteilen beteiligt. In der unmittelbaren Nachkriegszeit geschah aber auch Kurioses. Die Siegermacht Sowjetunion führte am 20. Mai 1945 als Zeichen der Stärke die Moskauer Zeit ein, nach der sich alle Arbeiter und Ladeninhaber zu richten hatten. Heißt, die Geschäfte wurden jetzt nicht, wie gewöhnlich, um neun Uhr, sondern bereits um sechs Uhr geöffnet. Historisch interessant die Ausführungen zu Arthur Kanger, dem ersten neuen Stadtgerichtspräsidenten; später mit Wirkung vom 29. September 1945 durch die Alliierte Kommandantur für drei Monate als Präsident des Kammergerichts in Berlin eingesetzt. Er war kein Jurist, sondern ein Pharmazieprofessor, ein Gerichtschemiker aus dem Baltikum, der auch als Hochschullehrer in Odessa wirkte und somit schon etwas Vages mit dem Gerichtswesen zu tun gehabt hatte. Er sprach natürlich russisch, was der Hauptgrund für seine Ernennung gewesen sein dürfte. Kanger bemühte sich auch aus der Funktion als Präsident des Kammergerichts heraus um die Schaffung einer universitären Kriminalistik an der Berliner Universität. Bereits am 27. Februar 1946 beantragte der Dekan der Juristischen Fakultät einen Lehrauftrag für Kriminalistik, dessen Bewilligung Rektor Stroux schon einen Tag später bekanntgab. Bereits zur Jahreswende 1946/47 erhielt er eine Professur mit Lehrauftrag für Kriminalpsychologie und Kriminalistik und wurde so zum Begründer der Kriminalistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Justiz blieb jedenfalls von Betrügern und Hochstaplern nicht verschont, die das damalige Durcheinander unmittelbar nach dem Krieg für sich zu nutzen wussten. „Außer einem falschen Staatsanwalt hatte das Amtsgericht Berlin-Mitte mit Amtsgerichtsrat Josef Franke auch einen falschen Amtsrichter zu beklagen“, lesen wir. Ein selbstsicheres, glaubwürdiges Auftreten beim Amtsgerichtsdirektor genügte oftmals, um sich als „Jurist“ auszuweisen. Der vielfach Vorbestrafte flog auf und wurde wegen Betrugs, Abgabe falscher eidesstattlicher Versicherungen, Begünstigung im Amt und Fragebogenfälschung festgenommen. Er war 14-mal vorbestraft und hatte insgesamt ca. acht Jahre im Zuchthaus und Gefängnis verbüßt. Die detailliert geschilderten Nachkriegsverbrechen (zum Beispiel die Fälle des Frauenmörders Willi Kimmritz, der Giftmörderin Elisabeth Kusian oder der Gladow-Bande) wirken heute schon wie Legenden aus fernen Tagen. Einem Taucher gleich steigt Ernst Reuß zur Kriminalgeschichte hinab und macht damit den Lesern ein juristisch-kriminalistisches Zeitgeschehen zugänglich. Prof. Dr. Frank-Rainer Schurich Ernst Reuß: Endzeit und Neubeginn. Berliner Nachkriegsgeschichten. Metropol Verlag. Berlin 2022, 282 Seiten, 24,00 Euro.
Der Literaturpreisträger Knut Hamsun war ein großer Bewunderer Deutschlands und Nazifreund.
Als Carl von Ossietzky 1935 den Friedensnobelpreis erhielt, äußerte Hamsun öffentlich massive Kritik und rechtfertigte die Errichtung von Konzentrationslagern. Später traf er Hitler und Goebbels. Während der deutschen Invasion in Norwegen 1940 appellierte er an seine Landsleute: „Norweger! Werft das Gewehr weg und geht wieder nach Hause! Die Deutschen kämpfen für uns alle und brechen jetzt Englands Tyrannei über uns und alle Neutralen.“ Deutschland symbolisierte für Hamsun das „junge Europa“. Er blieb ein Freund Deutschlands bis zu seinem Tode und würdigte Hitler auch noch nach dessen Tod. Er war und blieb bis ins hohe Alter ein Nazi. Trotzdem ist „Hunger“ ein toller Roman, mit dem ihm im Jahre 1890 sein literarischer Durchbruch gelang. Viele bedeutende Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ließen sich durch die neuartige Schreibweise von Hamsuns Erstlingswerk beeinflussen. Der Roman schildert mit autobiographischen Zügen den Verfall eines jungen Schriftstellers und Journalisten in Kristiania, dem heutigen Oslo, der zwischen Wahnsinn, Hoffnung, Verzweiflung und Scham hungernd und obdachlos durch die Stadt streicht. Gelegentlich kann er einen Artikel an eine Zeitung verkaufen, doch reichen die Einnahmen kaum aus, Nahrung und Wohnung zu bezahlen. „Ein ergreifendes und hinreißend lustiges Buch über den Hunger (...) ein größeres Leseerlebnis habe ich wohl nie gehabt.“ schrieb Astrid Lindgren. Man muss das Buch nicht unbedingt lustig finden, toll geschrieben ist es auf jeden Fall und das schon im Jahre 1890. Ein Klassiker! Ernst Reuß Knut Hamsun, Hunger, Neuübersetzung von Ulrich Sonnenberg nach der Erstausgabe von 1890, Manesse 2023, 256 Seiten, 25 € |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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