Fritz Bauer war KEIN furchtbarer Jurist, wie so viele der Mitläufer im Dritten Reich. In Dänemark und Schweden konnte er das „Tausendjährige Reich“ überleben. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde hessischer Generalstaatsanwalt. Er war trotz erheblicher Widerstände, der auch unter den Nazis gut funktionierenden Juristen, für die Aufklärung von Naziverbrechen äußerst wichtig und ziemlich allein auf weiter Flur. Hartnäckig kämpfte er für seine Ideale und den Aufbau einer demokratischen Justiz, die ihm viel zu verdanken hat.
Heute Abend um 20.15 Uhr in der ARD ein Film (Der Staat gegen Fritz Bauer) über den großartigen und viel geschmähten Mann. Ernst Reuß
Bettina Röhl ist die Tochter von Ulrike Meinhof und des ehemaligen Konkret-Verlegers Klaus-Rainer Röhl. Die Mutter eine RAF-Terroristin, der Vater ein bekannter Verleger und ein heftiger Rosenkrieg nach der Scheidung der Eltern machten es sicherlich nicht leicht für die Kinder. In ihrem neuen Buch „Die RAF hat euch lieb“, der Titel stammt aus einem Brief ihrer Mutter, arbeitet Bettina Röhl das Trauma ihrer Kindheit auf. Sie und ihre Zwillingsschwester wurden von der Mutter entführt und sollten in ein Waisenhaus in Palästina gebracht werden, denn Ulrike Meinhof wollte ihre Töchter nicht ihrem Ex-Mann überlassen. Im Übrigen ließ es die „Revolution“ nicht zu, nebenbei noch Kinder zu erziehen. Es folgten abenteuerliche Ereignisse, bis beide dann durch eine „Gegenentführung“ , an der maßgeblich auch der Journalist Stefan Aust beteiligt war, von ihrer Zwischenstation Sizilien wieder zurück nach Hamburg zu ihrem Vater gebracht wurden.
Der Titel des Buches illustriert sowohl die Distanzierung der Autorin von ihrer Mutter als auch die Verblendung damaliger Terroristen, die in der 68er Zeit durchaus viele Sympathisanten in der linken Szene hatten. Gerade Ulrike Meinhof, zuvor als kluge Journalisten anerkannt, erfuhr sehr viel Sympathie und wurde zu einer Art Revolutionsikone. Im Buch wird sie als eine sich immer mehr radikalisierende Frau gezeichnet, die es vielen Leuten schwer machte mit ihr umzugehen. Zunächst geht es jedoch allgemein um die Eltern der Autorin, um die Studentenbewegung und um die Gründung der RAF. Zum Schluss versucht Röhl, den „Mythos Meinhof“ zu zerstören und arbeitet sich an ihrer Mutter ab, die bei ihr nur sehr kurz die Mutterrolle spielte. 1970, nach der Befreiung von Andreas Bader, ging die radikalisierte Meinhof in den Untergrund. 1972 wurde sie festgenommen und 1976, als Bettina Röhl gerade 14 Jahre alt war, starb sie während ihres Gefängnisaufenthaltes in Stuttgart-Stammheim. Als Zeitdokument ist der Briefwechsel zwischen Meinhof und ihrem Anwalt Heinrich Hannover sehr interessant. Er zeigt, in welcher Blase sich Ulrike Meinhof befand und er enthüllt die Verirrung einer sich immer mehr isolierenden Frau, die selbst ihr Wohlgesinnte vor den Kopf stößt. Röhl zitiert seitenweise die Korrespondenz zwischen Meinhof und ihrem Anwalt und die wenigen Briefe, die diese an ihre Kinder schrieb. Außerdem führt die Autorin viele Interviews mit Protagonisten aus jener Zeit. Die große Schwäche des Buches ist allerdings die sehr deutlich werdende persönliche Betroffenheit der Autorin, denn Bettina Röhl wirft alles in einen Topf. So würden vor allem „die 68er“ und verblendete Richter, die bei dem Sorgerechtsstreit Rechtsbeugung begangen haben sollen, Schuld an der Entwicklung gehabt haben. Sie begeht dabei den Fehler, der damals auch von staatliche Institutionen, Politiker und Medien gemacht wurde: sie kriminalisiert und diffamiert alles Linke und Liberale. Das Buch wird so zu einer Abrechnung mit den 68ern und ihren Protagonisten. Sie schreckt nicht mal vor Angela-Merkel-Bashing zurück und bezeichnet sie „als Kopf der Schlange 68“. Mancher AFD-Wähler von heute hätte eine wahre Freude an dem Buch. Röhls Schlusswort ist bezeichnend: „Alle Bereiche der Politik sind heute in diesem Sinne von 68 bestimmt, sei es die Bildungspolitik, die Familien- und Genderpolitik, sei es die Europapolitik, die Energie- und Wirtschaftspolitik bis hin zur nicht vorhandenen Einwanderungspolitik. (…) Man könnte es auch so sagen: Meinhof war die Urmutter, Merkel ist heute die Königin der Antifa. Mit Macht hat sich Angela Merkel spätestens seit 2011 mit ihrer Energiewende als Kopf der Schlange 68 etabliert. Merkel, erst seit der Wende mit gesamtdeutscher Politik befasst, hat womöglich gemerkt, welchen politischen Wettbewerbsvorteil es bringt, auf der 68er-Frequenz zu agieren. Auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama war in diesem Sinne ein ››68er«. US-Präsident Donald Trump probt jetzt den Clash der Kulturen. Spannend zu beobachten.“ Ernst Reuß Bettina Röhl, „Die RAF hat euch lieb“, Die Bundesrepublik im Rausch von 68 - Eine Familie im Zentrum der Bewegung, Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, München 2018, 640 Seiten mit 16 S. Bildteil, € 24,00
Die Existenz von Konzentrationslagern, von Vernichtungslagern und von Ghettos ist bekannt. Von Transitghettos haben die meisten jedoch noch nichts gehört. Nun erschien das Buch „Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust“ von Steffen Hänschen, der seit 20 Jahren Bildungsreisen an die Tatorte des Holocaust in die Region Lublin begleitet. Dort hat es einige Transitghettos gegeben, wohin Juden verschleppt worden waren, bevor sie in den drei Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka ermordet wurden.
Der Verwaltungsbezirk Lublin hatte mit 13 % den höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil in Polen. Ungefähr 320 000 Menschen jüdischen Glaubens lebten dort. Izbica lag im damaligen Zentrum Polens, 70 km entfernt von der Gebietshauptstadt Lublin. Heute liegt das nach dem Krieg völlig entvölkerte Izbica an der Grenze zu Weißrussland und der Ukraine. Von 6 000 Einwohnern waren mehr als 5 000 Menschen jüdischen Glaubens. Grund dafür war, dass es Juden verboten war in die Nachbarorte zu ziehen. Ausgegrenzt und diskriminiert wurden Juden schon unter polnischer Herrschaft. Mit Beginn der deutschen Herrschaft sollte sich das nochmal dramatisch verschlechtern. Als SS- Männer, ein volksdeutscher Bürgermeister und deutsche Verwaltungsbeamte die Macht übernahmen wurden Juden zu Zwangsarbeit verpflichtet, ausgeplündert und ermordet. Affären mit jungen jüdischen Mädchen wurden dadurch beendet, dass diese umgebracht und damit als lästige Zeuginnen aus der Welt geschafft wurden, wenn eine Anzeige wegen Rassenschande drohte. Mit der Aktion Reinhardt wurden Juden aus Westpolen in den drei Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka ermordet. Izbica war ein Verkehrsknotenpunkt auf den Weg in die Ukraine und lag genau zwischen den keine 100 Kilometer entfernten Lagern Belzec und Sobibor. Das Dorf war die Zwischenstation, in der die nicht sofort in die Vernichtungslager Deportierten vergeblich auf ihr Überleben hofften. Später wurden auch Juden aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, der Slowakei, Luxemburg und aus dem Deutschen Reich dorthin verschleppt. Der Autor dokumentiert einige dieser Deportationen, wie die aus Wien, Koblenz, Frankfurt am Main, Stuttgart oder Nürnberg. Er berichtet auch über persönliche Schicksale von Deportierten, die ihr Ticket nach Izbica auch noch selbst zu zahlen hatten. Juden durften die Ghettos unter Androhung der Todesstrafe nicht verlassen. Obwohl nicht umzäunt, wäre es sehr gefährlich gewesen dies zu tun, denn polnische Denunzianten gab es zuhauf. Weitgehend blieben diese Transitghettos „ohne Mauern“ von der Forschung unbeachtet, doch der Autor Stefan Hänschen hat sich jetzt auf mehr als 600 Seiten mit dem größten der Transitghettos eingehend beschäftigt. Er schildert ausführlich die Deportationen nach Izbica und das willkürliche und grausame Geschehen vor Ort. Er berichtet auch über die ab 24. März 1942 beginnenden „Aktionen“, mit denen schließlich auch Izbica bis November 1942 entvölkert wurde. Offiziell galt Izbica von da an als „judenrein“, obwohl in der umliegenden Gegend noch Geflohene oder Versteckte lebten. 500 Zwangsarbeiter durften bis April 1943 bleiben, dann wurden auch sie ermordet. Hilfe erhielten die deutschen Mörder von ukrainischen Freiwilligen, kollaborierenden Polen und angesiedelten Volksdeutschen. Am 20. Juli 1944 eroberte schließlich die Rote Armee Izbica. Über 25 000 Juden hielten sich während der Zeit des Transitghettos für kurz oder länger in Izbica auf. Nur ungefähr 60 Juden sollten das sinnlose Morden in ihren Verstecken überleben. Die wenigen aus Izbica stammenden Juden konnten nicht in ihre Häuser zurück, denn es drohte erneut Unheil von den inzwischen polnischen Bewohnern. Polnische Antisemiten töteten nicht wenige Juden. Das bekannteste Massaker fand am 4. Juli 1946 in Kielce statt und hatte eine jüdische Emigrationswelle aus Polen zur Folge. Heute lebt kein Jude mehr in Izbica. Zum Schluss beschreibt der Autor die oftmals erfolglosen Nachkriegsverfahren gegen deutsche Täter und polnische Kollaborateure. Eine ausführliche Dokumentensammlung rundet das Buch ab, denn der Autor hat alle Karten, Briefe und Berichte, die die Zeit im Transitghetto betreffen gesammelt. Eine Auflistung aller Überlebenden und deren Lebenslauf beschließt das sehr akribische, aber dennoch flüssig zu lesendes Werk. Eine interessante und äußerst lesenswerte Fleißarbeit. Ernst Reuß Steffen Hänschen, Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust, Metropol Verlag, Berlin 2018, 608 Seiten, € 29.90
Das Dokumentationszentrums Topographie des Terrors zeigt noch bis zum 21. Oktober 2018 die vor Kurzem eröffnete Ausstellung: „Der Volksgerichtshof 1934-1945. Terror durch ‚Recht´”.
Der Volksgerichtshof wurde, was die wenigsten wissen, anfangs im damaligen „Preußischen Landtag“ und jetzigen „Abgeordnetenhaus von Berlin“ errichtet, zog dann aber in die Bellevuestraße nahe dem Potsdamer Platz. Etwa 5200 Todesurteile wurden in den elf Jahren seines Bestehens ausgesprochen. „Der Volksgerichtshof wird sich stets bemühen, so zu urteilen, wie er glaubt, daß Sie, mein Führer, den Fall selbst beurteilen würden“, schrieb der spätere Präsident Roland Freisler in einem Brief an Hitler. Als Deutschland am Ende des Krieges schon in Agonie lag, wüteten die Richter wie die Berserker und es kam zu Todesurteilen wie am Fließband. Schon ein im Privatkreis erzählter Witz über den Führer konnte und wurde mit dem Tode bestraft. Ein Luftangriff Anfang Februar 1945 zerstörte das letzte Gerichtsgebäude in der Bellevuestraße. Obwohl Präsident Freisler tödlich getroffen wurde, tagte das Gericht bis in den April hinein andernorts weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich kaum einer der Richter dafür verantworten. Nur zwei Richter wurden angeklagt. Einer davon war Hans-Joachim Rehse, der an 231 Todesurteilen beteiligt war. Er wurde freigesprochen. Ihm konnte nach dem Verständnis des Bundesgerichtshof keine „Rechtsbeugung“ nachgewiesen waren. Danach wurde auch das andere Verfahren eingestellt. „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“, hieß jahrzehntelang die Devise. Kein Wunder, den viele der Nachkriegsrichter und Politiker – vor allem in der Bundesrepublik - waren selbst in der NS-Zeit involviert. Die westdeutsche Justiz führte seit 1945 270 Ermittlungsverfahren gegen 165 Berufsjuristen und 104 Laienrichter des Volksgerichtshofs durch. Bis auf die zwei geschilderten Fälle kam es nie zu einer Anklage. Ernst Reuß Den Katalog zur Ausstellung gibt es für 16 Euro: Der Volksgerichtshof 1934–1945 – Terror durch „Recht” / The People's Court 1934–1945 – When Nazi Terror Became Law. Ein Begleitkatalog zur gleichnamigen Ausstellung (deutsch/englisch), hg. v. d. / published by Stiftung Topographie des Terrors, vertreten durch / represented by Prof. Dr. Andreas Nachama, Berlin 2018, 316 S.,ISBN 978-3-941772-37-3
Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Und wenn ja, kann ausgerechnet ein SS-Richter es gelebt haben? Dieser Frage gehen Herlinde Pauer-Studer und J. David Velleman in ihrem Buch über den SS-Richter Konrad Morgen nach: „Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin“. Tatsächlich glauben die Autoren, in Konrad Morgen einen „Fall moralischer Komplexität“ zu erkennen. Zu Recht?
Der 1909 geborene Georg Konrad Morgen war promovierter Jurist und seit 1933 Mitglied der SS und der NSDAP. Als SS-Richter untersuchte er Korruptionsfälle unter hochrangigen SS-Offizieren im besetzten Polen und verfolgte finanzielle Unregelmäßigkeiten in den Konzentrationslagern. Morgen war innerhalb der SS eher ein Sonderling, kein Typ für Kameradschaftsabende und gemeinsame Besäufnisse. Die SS-Gerichtsbarkeit war zu Kriegsbeginn 1939 mit der Begründung eingeführt worden, dass die normale Militärgerichtsbarkeit nicht in der Lage sei „die spezifische Weltanschauung und politische Mentalität der SS-Leute zu verstehen“. Eigentlicher Grund war wohl der, dass Himmler befürchtete seine Untergebenen würden für ihre Kriegsverbrechen in Polen vor Wehrmachtsgerichten angeklagt werden. Im weiteren Verlauf des Krieges hatten die SS-Gerichte die grassierende Korruption in den eigenen Reihen zu bekämpfen. Himmler schärfte 1943 in der berüchtigten „Posener Rede“ seinen SS-Gruppenführern ein: „Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen. Wir haben aber nicht das Recht, uns auch nur mit einem Pelz, mit einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder mit sonst etwas zu bereichern.“ Morgens erster größerer Fall im Generalgouvernement betraf den SS-Mann Georg von Sauberzweig. Der Sohn eines berühmten Generals aus dem Ersten Weltkrieg hatte geplündertes polnisches Eigentum auf dem Schwarzmarkt verkauft und wurde nach einem entsprechenden Urteil im März 1942 erschossen. Morgen ging seine Aufgabe ziemlich geflissentlich an. In den Wochen vor Weihnachten 1941 fällte er innerhalb von zehn Tagen fünf Todesurteile. Ein weiterer wichtiger Fall waren seine Ermittlungen gegen den Lagerkommandanten von Buchenwald Karl Otto Koch, der zuvor von Himmler protegiert wurde. Morgen entschloss sich, gegen Koch zu ermitteln, weil er sich „als Gerechtigkeitsfanatiker“ sah, wie er nach dem Krieg erklärte. Das besondere daran war, dass er ihn nicht nur wegen Korruption, sondern auch wegen Mordes anklagte. Koch hatte mehrere Zeugen seiner Korruptheit beseitigt und spielte willkürlich Herr über Leben und Tod. Konrad Morgen argumentierte, dass dies illegal sei, denn Kommandanten eines Konzentrationslagers seien nur dann zur Tötung von Häftlingen befugt, wenn Himmler oder das Reichssicherheitshauptamt die Exekutionen anordnen. Kurz vor Kriegsende wurde Karl Otto Koch durch ein Erschießungskommando im KZ Buchenwald hingerichtet – wegen Veruntreuung und Betrug, nicht wegen Mordes. Die Autoren des Buches über Konrad Morgen sind Philosophen, bemühen bei ihrer Studie sowohl Aristoteles als auch Dworkin und versuchen Morgen in den rechtstheoretischen Kontext der Zeit einzuweben, um seine Motivgrundlage zu verstehen. Sie schreiben: „Wir verstehen unser Buch als ‚moralische Biografie‘ – als Studie darüber, wie das moralische Bewusstsein eines Mannes mit einer zutiefst unmoralischen Welt zurechtzukommen versuchte, teils aber daran scheiterte.“ Sie tun das mit viel, teilweise unverständlicher Empathie für den Protagonisten und führen aus: „Wir zeichnen nach, wie Morgen über die dramatischen Ereignisse, die er miterlebte, fühlte, dachte und urteilte.“ Nicht ganz nachvollziehbar dabei ist jedoch, dass viele von Morgens Aussagen, die nach dem Krieg gemacht wurden, trotz einiger Ungereimtheiten, relativ unkritisch für bare Münze genommen wurden. Morgen gerierte sich als Widerstandskämpfer und behauptete mit seinen begrenzten Mitteln, die „Endlösung“ juristisch zu stoppen versucht zu haben, Zwar mag es stimmen, dass Morgen nicht besonders empfänglich für rassistische oder totalitäre Einstellungen war, aber Tatsache ist, dass er, als das „Dritte Reich“ um ihn herum zusammenbrach, sich noch unverdrossen „seinem Kampf gegen kriminelle Umtriebe in den Reihen der SS“ widmete und „das Elend des Krieges um ihn herum (…) gar nicht richtig wahrgenommen“ hatte. Trotzdem glauben die Autoren in Morgen einen „Fall moralischer Komplexität“ zu erkennen. Seine Eingaben und Berichte während des Krieges sollen „echte menschliche Anteilnahme für die Opfer des KZ-Systems“ zeigen. Sie widersprechen ausdrücklich, dass Morgens „Gerechtigkeit“ schlicht auf die rigide Einhaltung von Regeln und Vorschriften im Dienste der SS reduziert werden kann. Rechtspositivismus alleine erkläre Morgens Verhalten nicht. Doch diesbezüglich kann man auch anderer Ansicht sein, so wie einige Juristen und Historiker zuvor. Tatsache ist jedenfalls, dass seine Schlussfolgerung wegen eines beschlagnahmten Goldklumpens aus Auschwitz nicht von Empathie geprägt war, sondern von der Empörung darüber, dass SS-Personal diesen Goldklumpen unterschlagen hatte, obwohl Gold als Devise ablieferungspflichtig gewesen wäre. Zwar hatte Morgen ausgerechnet, dass das Zahngold von 50 000 bis 100 000 Leichen stammen müsse, resümierte aber: „Ein erschütternder Gedanke. Aber das geradezu Unfaßbare daran war, daß der Täter unbemerkt derartig bedeutende Mengen beiseite bringen konnte“. Einen noch größeren Schock erfuhr er bei seiner darauf angesetzten Inspektion des Lagers Auschwitz. Allerdings nicht beim Anblick von Selektion und Gaskammer, sondern beim Anblick betrunkener SS-Leute, die von jungen Frauen, die sie duzten, mit Kartoffelpuffern gefüttert wurden. Er stellte empört fest: „Es waren offensichtlich Jüdinnen, sehr schöne, orientalische Schönheiten, vollbusig, feurige Augen, trugen auch keine Häftlingskleider, sondern normales, ganz kokettes Zivil.“ Nach dem Krieg, als Zeuge der Verteidigung in Nürnberg, bemühte er sich dem Gericht glaubhaft zu machen, die SS habe nichts mit dem Massenmord an den Juden zu tun gehabt. Konrad Morgen arbeitete nach seiner Entnazifizierung als Rechtsanwalt und Notar in Frankfurt am Main. Ernst Reuß Herlinde Pauer-Studer/J. David Velleman: „Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin“. Der Fall des SS-Richters Konrad Morgen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 348 S., 26 €. |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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