Mala Zimetbaum wird 1918 in der Kleinstadt Brzesko in der Nähe von Krakau geboren. Ihre Eltern sind Juden aus einfachen Verhältnissen. In ihrem Elternhaus wird deutsch gesprochen. Aus wirtschaftlichen Gründen und weil es immer wieder antisemitische Anfeindungen gibt, wechselt die Familie den Wohnort: von Brzesko nach Mainz, dann nach Ludwigshafen, schließlich nach Antwerpen. Mala spricht neben Polnisch und Deutsch auch Jiddisch, Flämisch und Französisch. Ihr Leben endet mit nur 26 Jahren nahe ihres Geburtsortes: in Auschwitz.
Barbara Beuys, eine Historikerin, hat sehr gründlich recherchiert und legt mit viel Einfühlungsvermögen wichtige Informationen über das Judentum, den grassierenden Antisemitismus und die Nazibesatzung in Belgien dar. Die Entrechtung geht schleichend voran, immer mit der Hoffnung verbunden, dass es besser werden wird. Wird es nicht. Letztendlich kommt es auch in Belgien zu Deportationen. Am 15. September 1942 wurde Mala Zimetbaum nach Auschwitz deportiert. Wahrscheinlich genau zwei Jahre später starb sie dort. Sie überlebte nur solange, weil sie aufgrund ihrer Sprachkenntnisse als Dolmetscherin und „Läuferin“ Funktionshäftling war, was mit gewissen Privilegien einherging. Da sie für Botengänge innerhalb des Lagers eingesetzt wurde, konnte sie sich relativ frei zwischen verschiedenen Lagerblöcken bewegen und anderen Insassen helfen. Mala organisiert heimlich zusätzliches Essen, Kleidung oder Medikamente für die gefangenen Frauen und informiert über den Fortgang des Krieges. Auch Todgeweihte sollen auf ihre Intervention hin von der Selektionsliste gestrichen worden sein. Ihre Geschichte lässt sich weitgehend nur aus den Erinnerungen von Mithäftlingen rekonstruieren. Es gibt zahlreiche Auschwitz-Überlebende, die ihr mutiges Handeln im Todeslager dokumentierten. Sie soll eine kluge, energische und politische junge Frau gewesen sein, die von einem freien Staat Israel träumte, wo sie als Sprachlehrerin in einem Kibbuz arbeiten wollte. Im Lager verliebt sich Mala Zimetbaum in einen jungen katholischen Polen, der als politischer Häftling nach Auschwitz deportiert worden war. Im Juni 1944 begibt sich das verliebte junge Paar auf die Flucht. Die Flucht gelingt, aber bereits am 6. Juli 1944 werden die beiden gefasst. Ihr Freund wird hingerichtet. Sie soll vor den Augen ihrer Mithäftlinge gehängt werden, versucht der SS aber zuvorzukommen, schneidet sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern auf, schlägt einem SS-Mann vor den versammelten Lagerinsassen mit der blutigen Hand ins Gesicht und wird ermordet. Möglicherweise lebendig im Krematorium verbrannt. Mala Zimetbaum symbolisiert jüdischen Widerstand in Auschwitz. Barbara Beuys erinnert an eine außergewöhnliche, fast vergessene Frau. Nicht lange nach ihrem Tod brach am 7. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz eine Revolte aus. Mehrere Dutzend Häftlinge gingen mit Waffen und Steinen auf die SS-Offiziere los. Andere versuchten, das Krematorium in Brand zu setzen. Nach ein paar Stunden war alles vorbei: Schwer bewaffnete SS-Einheiten schlugen den Aufstand nieder, 451 Häftlinge wurden sofort hingerichtet. Es war der einzig bewaffnete Aufstand in dem Vernichtungslager. Mala soll darüber schon vorher informiert gewesen sein. Sowohl das, als auch Mala Zimetbaum sind weitgehend unbekannt. Das sollte anders werden. Ernst Reuß Barbara Beuys: Die Heldin von Auschwitz. Leben und Widerstand der Mala Zimetbaum. Insel Verlag, Berlin 2023. 333 S., 26,00 Euro
Riga war bis zum Einmarsch deutscher Truppen im Sommer 1941 das Zentrum jüdischen Lebens in Lettland. Anfangs - nach der vorhergehenden sowjetischen Besatzung - wurden dort die deutschen Soldaten als „Befreier“ empfangen. Die Stadt wurde jedoch nun zum Zielort von Deportationen und Schauplatz von unfassbaren Verbrechen. Von 1941 mindestens 500 000 im jetzigen Reichskommissariat „Ostland“ (Lettland, Litauen, Estland und Weißruthenien) ansässigen Juden lebten nach dem Krieg keine 10 000 mehr. SS, Polizei, Wehrmacht und lokale Hilfstruppen ermordeten fast alle lettischen - sowie die aus dem Deutschen Reich und dem Protektorat Böhmen und Mähren nach Riga deportierten - Jüdinnen und Juden.
Tausende Deutsche aus allen Regionen des „Dritten Reiches“ wurden in den Osten deportiert. Sie wurden dort kurz nach ihrer Ankunft in einem Wäldchen namens Biķernieki in der Nähe Rigas oder im nicht weit entfernten Wald von Rumbula erschossen und in Massengräbern verscharrt. Bei den Opfern in Rumbula handelte es sich meist um lettische Juden aus dem Ghetto Riga, welches „freigemacht“ wurde, um für deportierte Juden aus Deutschland Platz zu machen. Ein Zeitzeugenbericht von der damals in Riga lebenden Valentina Freimane aus ihrem Buch „Adieu, Atlantis“: „Damals, Ende November, Wussten wir noch nichts Genaues — bis auf die Tatsache, dass niemand mehr ins Ghetto zurückgekehrt war. Am 8. Dezember fand die zweite ‘Aktion’ statt, bei der diejenigen Ghettobewohner, die den 29. und 30. November überlebt hatten, ebenfalls erschossen wurden. Übrig blieben die Arbeitskräfte im Kleinen Ghetto — die Männer, deren Familien soeben ausgelöscht worden waren. Beide Male wurden die Kolonnen vollkommen offen für jeden sichtbar durch die Straßen der Moskauer Vorstadt nach Süden getrieben. Schon bald verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, die Ghettoinsassen seien nicht in ein anderes Lager gebracht worden, sondern man habe sie vor den Toren der Stadt erschossen, wahrscheinlich im Wald von Rumbula. Es kam mir bezeichnend vor, dass die Behörden nicht einmal versuchten, solche Gerüchte zu dementieren. Alle einigten sich quasi stillschweigend darauf, über das Geschehene kein Wort zu verlieren. Mit der Zeit begannen wahrscheinlich viele selber zu glauben, dass sie von nichts wussten. Es war, als hätte es diese Tausende von Menschen nie gegeben. Unterdessen blieb das Ghetto nicht leer, sondern begann sich mit Juden zu füllen, die aus Mitteleuropa hierher ‘evakuiert’ wurden. Auch das wussten alle, die es wissen wollten. Bereits am 30. November traf der erste Zug aus Berlin ein. Da das Ghetto noch nicht vollständig geräumt war, wurden die mehr als tausend Berliner Juden als erste in Rumbula erschossen. Dann trafen nach und nach Transporte mit Juden aus Deutschland und Österreich ein.“ Eine davon war die Berliner Sportlerin und Weltrekordlerin Lilli Henoch. Die 1899 geborene Henoch war Mitglied des Berliner Sport-Clubs und in den zwanziger Jahren eine der bedeutendsten Leichtathletinnen weltweit. Sie wurde zwischen 1922 und 1926 in den Disziplinen Kugelstoßen, Diskuswurf, Weitsprung sowie mit der 4-mal-100-Meter-Staffel des Berliner Sport Clubs zehnfache Deutsche Meisterin und stellte vier Weltrekorde auf. Daneben war sie auch im Hockey und Handball ein Star und leitete später die Damenabteilung des Klubs. Noch 1929 hatte man Lilli Henoch in der Vereinszeitung lauthals gerühmt: „Wenn jemals ein Beispiel an Klubtreue und Uneigennützigkeit gebraucht wird, dann ruft ihren Namen. Und die Luft muss rein um uns werden“. Nur vier Jahre später – kurz nach der Machtergreifung der Nazis - wurde sie aus dem BSC kommentarlos ausgeschlossen. Am 5. September 1942 wurde die einstmals vielgerühmte Sportlerin mit dem 19. „Judentransport“ gemeinsam mit ihrer Mutter in den Osten deportiert. In Riga angekommen wurde Lilli Henoch zusammen mit ihrer Mutter und allen anderen Insassen des Zuges nach Biķernieki geführt und erschossen. Der geschichtsinteressierte Martin-Heinz Ehlert, ein Mitglied des BSC Berlin, entriss sie erst viele Jahrzehnte später dem Vergessen, indem er ihre Geschichte recherchierte und veröffentlichte. Inzwischen sind in Berlin ein Sportplatz und Hallen nach ihr benannt. Aus Deutschland gab es viele Deportationen nach Riga, die ähnlich endeten. Zwischen November 1941 und Januar 1944 fanden auch in Unterfranken sieben Deportationen von Juden statt. Von mehr als 2 000 Menschen, die in Würzburg und Kitzingen in die Züge getrieben wurden, sollten nur 60 den Holocaust überlebt haben. Am 27. November 1941 verließ der erste Transport mit 202 Jüdinnen und Juden aus Würzburg die Stadt. Viele von ihnen wurden am 26. März 1942 in Biķernieki ermordet. Dort existiert inzwischen seit 2001 ein Mahnmal. Stelen aus Granit in unterschiedlicher Größe und Farbe erinnern nun an die vielen Opfer und benennen die Orte, aus denen die Transporte kamen. Auf einem Gedenkstein steht auf Hebräisch, Russisch, Lettisch und Deutsch: „ACH ERDE, BEDECKE MEIN BLUT NICHT, UND MEIN SCHREIEN FINDE KEINE RUHESTATT!“ Bis 10. März 2024 zeigt die Topographie des Terrors in Berlin die Ausstellung: „Der Tod ist ständig unter uns“. Die Ausstellung und das Begleitbuch zeigen die Geschichte der Deportationen, der deutschen Besatzungspolitik und des Holocausts im Baltikum. Es geht aber auch um das Weiterleben der Überlebenden, die juristische Aufarbeitung der Verbrechen und das Erinnern an die Opfer und Täter. Opfer der ersten Deportation waren beispielsweise das Ehepaar Erna und Gustav Kleemann aus Würzburg. Gustav war 1881 als Sohn eines Pferdehändlers geboren worden und dort aufgewachsen. Im Ersten Weltkrieg war er Kriegsteilnehmer und erhielt den Bayerischen Militärverdienstorden mit Schwertern, was ihm jedoch wenig nützen sollte. Nach der Machtübernahme der Nazis wurde er schikaniert, verlor seine Geschäfte und wurde schließlich deportiert. In der Ausstellung gibt es ein Foto von ihm, als Ordner während der Deportation. Seine Frau Erna wurde 1892 geboren und war das einzige Kind einer Kaufmannsfamilie. Sie führte nach dem Tod ihrer Eltern die elterlichen Firma „L. &. M. Rosenthal“ (Agenturen für Wein, Getreide und Landesprodukte) fort. Zusammen mit ihrem Mann Gustav sowie ihrem Schwager und dessen Tochter wurde sie im November 1941 nach Riga deportiert und mit ihrer Verwandtschaft am 26. März 1942 im Rigaer Wald von Biķernieki ermordet. Ein anderes Opfer war Gert Samuel Gutmann. Kurz nach seinem 10. Geburtstag wurde er in Biķernieki erschossen. Seine Mutter Therese soll erschossen worden sein, nachdem sie ihr Kind mit ihrem Körper zu schützen versucht hatte. Ehemann und Vater Ludwig, ein 1902 geborener Landwirt, überlebte. Tragischerweise soll er jedoch nach dem Zusammenbruch der Ostfront von der Roten Armee als „deutscher Spion“ behandelt und interniert worden sein. Er konnte erst 1956 mit anderen deutschen Kriegsgefangenen zurückkehren. Er war der letzte in seinem Heimatdorf geborene jüdische Einwohner und starb dort 1984 in seinem 82. Lebensjahr. Als Reichskommissar „Ostland“ war der 1896 geborene Hinrich Lohse für das was dort geschah an führender Stelle verantwortlich. Er war ein überzeugter Nazi und bereits seit 1925 Gauleiter von Schleswig-Holstein. Zwischen 1941 und 1944 pendelte er zwischen Riga und Kiel, um beide Ämter ausüben zu können. Zwar verbot Lohse per Erlass „die aktive Teilnahme von Amtsträgern der Ostverwaltung bei Exekutionen jeder Art“. Dies geschah jedoch nicht aus moralischen Gründen, sondern der bekennende Antisemit war der Ansicht: „Selbstverständlich ist die Reinigung des Ostlandes von Juden eine vordringliche Aufgabe; ihre Lösung muß aber mit den Notwendigkeiten der Kriegswirtschaft in Einklang gebracht werden“. Auf „gut Deutsch“: „Vernichtung durch Arbeit“. Mit diesem Ansinnen stieß er jedoch auf taube Ohren. Lohse selbst nahm an einer Massenerschießung teil, um sich ein „Bild zu machen“. Er überlebte den Krieg, im Gegensatz zu den Opfern der Massenerschießungen. Ein Militärgericht verurteilte ihn 1948 zu zehn Jahren Gefängnis, aber man entließ ihn schon bald wegen „dauernder Haftunfähigkeit. Im Entnazifizierungsverfahren wurde Lohse dann erstaunlicherweise als Minderbelastet eingestuft, ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde eingestellt und Lohse erstritt sich in einer Klage gegen die Landesregierung von Schleswig-Holstein 25 Prozent seiner Pensionsansprüche. Zudem erhielt er vom Verlag der Kieler Nachrichten das Gehalt eines Redakteurs und „forschte“ ausgerechnet zur „NS-Geschichte“. Er brachte allerdings nichts zu Papier, was vielleicht besser so war. Lohse starb unbescholten und weitgehend unbemerkt im Jahre 1964. Einer der einheimischen Täter war der berüchtigte lettischer Kollaborateur Viktors Arājs, der am Holocaust während der deutschen Besetzung Lettlands und Weißrusslands mit seinem „Sonderkommando“ beteiligt war und für die Ermordung von etwa der Hälfte der lettischen Juden verantwortlich gewesen sein soll. Nach dem Krieg lebte er unter falschem Namen in Deutschland. Er wurde 1979 vom Landgericht Hamburg für schuldig befunden. Arājs war maßgeblich daran beteiligt, die im Großen Rigaer Ghetto lebenden Juden am 8. Dezember 1941 im Wald von Rumbula durch Massenerschießungzu ermorden. Arājs bekam lebenslänglich und starb 1988 mit 78 Jahren im Gefängnis. Er wurde viel älter, als die meisten seiner Opfer. Das grundlegende und ausgesprochen empfehlenswertes Werk „Die ‚Endlösung‘ in Riga“ wurde bereits 2006 von Andrej Angrick und Peter Klein verfasst. Die Autoren widmen sich akribisch der Gesamtgeschichte des Rigaer Ghettos und des verzweifelten Überlebenskampfs seiner Insassen, sowie auf Grundlage sämtlicher erreichbarer Quellen die Vernichtungspolitik der Nazis in Riga. Zum Schluss folgt man den Spuren einzelner Täter und Opfer in der Nachkriegszeit und betrachtet die strafrechtliche Aufarbeitung der Massenmorde. Ein äußerst berührendes Buch ist auch „Adieu, Atlantis“ von Valentina Freimane, erschienen 2015 im Wallstein Verlag. Während ihre gesamte Familie dem Holocaust in Riga zum Opfer fiel, überlebte Valentīna Freimane in verschiedenen Verstecken. Drei Zitate aus dem Buch: „Und dann kam der Tag, an dem meine Eltern ins Ghetto gehen mussten. Natürlich stand auch ich auf der Liste, und der redliche Hausmeister Obolevics trug denn auch ins Hausbuch ein: ‚Alle drei ins Ghetto gegangen.‘ Ich erinnere mich an das letzte Gespräch mit meiner Mutter. Wir saßen in der Küche, und ich weinte hemmungslos. Mama konnte solche Gefühlsausbrüche nicht leiden, und ich hatte längst gelernt, mich zu beherrschen. Doch in diesem Augenblick vermochte ich es nicht. Mir kommt es bis heute so vor, als sei meine Mutter noch nie so schön gewesen wie an jenem Tag, als ich sie zum letzten Mal sah. Völlig ruhig saß sie auf dem Küchenstuhl wie eine Königin auf dem Thron. Sie war zweiundvierzig Jahre alt, wirkte jedoch viel jünger. Uneingeweihte hielten sie oft für meine ältere Schwester. Vater war älter als sie, Ende vierzig, ein Mann in den besten Jahren.“ (Valentina Freimane, Adieu Atlantis, S. 237) „Ich glaube, dass alle meine Toten - die Menschen, die ich liebte und die mich geliebt haben -, wo immer sie jetzt auch sein mögen, sich freuen, dass ich noch lebte. Ich weiß nicht, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Wenn ja, dann bin ich überzeugt: sie schauen von dort mit Wohlwollen auf mich. Ich empfinde keine Schuld, sondern Verantwortung ihnen gegenüber. Ich bemühe mich, mein Leben anständig zu leben, weil ich es auch an ihrer statt lebe. Schuldig würde ich mich nur dann fühlen, wenn ich mein Leben vergeudet hätte.“ (Valentina Freimane, Adieu Atlantis, S. 288 f.) „Schon von klein auf hatte ich französische Romane und verschiedene psychologische Abhandlungen gelesen und fühlte mich bestens für alles gewappnet, was mit Liebe und zwischengeschlechtlichen Beziehungen zu tun hatte. Sobald mir die nie gekannte, berauschende Macht über die jungen Männer in meiner Nähe verliehen war, machte ich sogleich Gebrauch von ihr, um bestimmte Aspekte des theoretischen Wissens in der Praxis auszuprobieren. Dies geschah mit der Gründlichkeit einer Forscherin, ganz so als würde ich eine spannende Untersuchung im Labor betreiben. Ich war wirklich überrascht, wie leicht die Manipulationen mit den Versuchskaninchen gelangen und wie vorhersehbar sie reagierten, wenn ich die aus Romanen und Theaterstücken abgeschauten weiblichen Taktiken anwandte. Es war eine Zeit, in der ich das männliche Geschlecht zu verachten begann (später wurde ich verständnisvoller).“ (Valentina Freimane, Adieu Atlantis, S. 138) Ernst Reuß Literatur: Deutsch-lettischer Begleitkatalog zur Ausstellung, „Der Tod ist ständig unter uns / Nave mit musu vidu“, Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland / Deportacijas uz Rigu un holokausts vacu okupetaja Latvija, Herausgeber Oliver von Wrochem im Auftrag der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, Metropol Verlag, Hamburg 2022, 216 Seiten, 15 €. Andrej Angrick, Peter Klein, Die „Endlösung“ in Riga, Ausbeutung und Vernichtung 1941-1944, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, 520 Seiten, 89,90 €. Valentina Freimane, Adieu, Atlantis, Erinnerungen, Aus dem Lettischen von Matthias Knoll, Göttingen 2015, 341 Seiten, 22,90 €.
Krimis gehen immer. Historische Krimis erst recht. Drei Krimis sind kürzlich erschienen. Zwei davon mit historischem Hintergrund.
Einer von beiden handelt vom Fall des Kriminalassistenten der Mordkommission Karl Raben und ist der zweite Teil einer historischen Krimireihe aus Berlin. Seit dem riesigen Erfolg von „Babylon Berlin“ boomen derartige Krimis und orientieren sich an ihrem Vorbild. So auch hier in „Tag des Triumphs“. Es geht um die Zeit nach der Machtübernahme durch die Nazis, bevor der Krieg begann. Während Andersdenkende unterdrückt und ermordet werden, möchte Karl Raben auch Verbrechen von Nazis aufklären. Unter den historischen Figuren, die im Krimi eine Rolle spielen sind unter anderem Kriminalrat Gennat, Reichskriminaldirektor Nebe, Gregor und Otto Strasser, Hans und Thea Kippenberger, Goebbels und Heydrich, an den Raben nach der Machtübernahme seine Seele verkaufen muss und Mitglied der SS wird. Er versucht aber trotzdem weiterhin Widerstand zu leisten. Sehr großen Gefallen hat der Autor Christian v. Ditfurth offensichtlich an witzige Dialoge der Protagonisten, was mitunter sehr konstruiert und deplatziert wirkt. Eine Vielzahl von Nebendarstellern aus den Reihen der Polizei, aus Nazigrößen und führenden Kommunisten, suggerieren dennoch ein historische Bild. Ein Krimi, auch für an unsere jüngere Geschichte interessierte Menschen. Näheres zu den Hintergründen der Figuren - soweit einem die Namen nichts sagen - kann man googeln. Der Plot diesmal allerdings zu langatmig und verworren. Ein anderer Thriller spielt vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele 1936 in Berlin und heißt „Aktion Phoenix“. Zu den Olympischen Spielen versucht sich Nazideutschland weltoffen zu zeigen, denn die Welt ist zu Gast in Berlin. Um sich bei Gästen und Reportern aus aller Welt im besten Licht zu präsentieren, muss sich Hermann Schmidt vom Propagandaministerium mit SA Schlägern, die bis nach den Spielen in Zaum gehalten werden sollen und einer Widerstandsgruppe auseinandersetzen, die regimefeindliche Plakate aufhängt. Sein Leben gerät aus der Bahn, als er sich in die Kunststudentin Anna verliebt, die zu der Widerstandsgruppe gehört. Anna verdient sich ihr Studium mit einer Stelle als Hilfsassistentin bei der als Arbeitgeberin eher schwierigen Leni Riefenstahl, die den Auftrag hat, die Olympischen Spiele zu verfilmen. Auch der Zeppelin-Steward Georg gerät zwischen die Fronten und deckt ein schreckliches Geheimnis auf: Hinter der Fahrt der Hindenburg zur Eröffnungsfeier der Spiele steckt weit mehr als reine Propaganda. Ein heimtückischer Plan soll die Welt erschüttern. Der Zeppelin soll zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele auf das Stadion abstürzen, um es der „jüdischen Weltverschwörung“ in die Schuhe zu schieben. Christian Herzog verbindet Historisches mit Fiktion. Die verschiedenen Erzählstränge fügen sich bald zu einem Gesamtbild zusammen. Durchaus spannend. Der dritte Krimi spielt in der Jetztzeit. Die Polizeischülerin Johanna Böhm muss sich erneut mit den Schatten ihrer Familienvergangenheit abplagen. Diesmal geht es nicht ganz so politisch zu wie im ersten Band. In Sachen Spannung wird aber erneut jede Menge geboten. Zusammen mit Rasmus Falk, dem Ex-Geheimdienstler und anderen Freunden ist sie wieder einer großen Sache auf der Spur. Diesmal geht es um Zwangsprostitution. Man muss den ersten Band nicht kennen um die Geschichte nachvollziehen zu können. Eigentlich will Johanna Böhm ihren Urlaub nutzen, um ihren untergetauchten leiblichen Vater zu suchen. Doch ein Anruf ihrer besten Freundin wirft diese Pläne über den Haufen. Die glaubt ihre 15-jährige Cousine in Hamburg gesehen zu haben, obwohl diese eigentlich in ihrer nigerianischen Heimat sein sollte und nach Auskunft ihrer Familie auch dort ist. Ist sie in Wirklichkeit skrupellosen Menschenhändlern in die Hände gefallen? Es scheint so. Johanna findet im Rahmen der Ermittlungen ihren Vater und der Showdown bahnt sich unheilvoll an. Er kulminiert in einer sehr überraschenden Wendung. Zweiter Teil einer neuen Thriller - Reihe. Rasant erzählt von Leon Sachs. Ernst Reuß Christian v. Ditfurth, Tag des Triumphs. Der zweite Fall für Karl Raben: Kriminalroman. C. Bertelsmann Verlag, München 2022, 512 Seiten, 25 € Christian Herzog, Aktion Phoenix, Wunderlich Verlag, Hamburg 2023, 512 Seiten, 25 € Leon Sachs, Die Villa, Penguin Verlag, München 2022, 464 Seiten, 16 € |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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