Am Ende des Krieges im Jahre 1945 wurden die ostpreußischen Außenlager des KZ Stutthof aufgelöst und die Insassen in die kleine Ostseeortschaft Palmnicken (heute: Jantarny) an der Bernsteinküste getrieben. Den Todesmarsch überlebten von ursprünglich bis zu 7500 Personen nur noch etwa 3000, die am 27. Januar in Palmnicken eintrafen. Der ursprüngliche Plan der SS-Wachmannschaften, die überwiegend weiblichen Häftlinge in einem Stollen des Bernsteinbergwerkes einzumauern, scheiterte. Daher trieb die SS die Gefangenen in der Nacht zum 31. Januar an den Strand von Palmnicken und jagte sie dort unter Maschinengewehrfeuer in die eiskalte Ostsee. Nur 18 der bis zu 7500 Menschen überlebten dieses letzte große Massaker an Juden im Zweiten Weltkrieg. Zehn Wochen später nahmen sowjetische Truppen den Ort ein und zwangen die in Palmnicken verbliebene Zivilbevölkerung, die Toten auszugraben und in Massengräbern zu bestatten. Danach wurde jahrzehntelang über das Massaker geschwiegen.
Erst als Martin Bergau, der als 16-jähriger selbst dabei gewesen war, 1994 in seinem Buch „Der Junge von der Bernsteinküste“ darüber berichtet, gerät das Geschehen wieder ins öffentliche Bewusstsein und der Autor wird als „Nestbeschmutzer“ geschmäht. Seit 1999 ehrt ein Gedenkstein die Ermordeten. Im Januar 2011 wurde dort von einer russischen Bürgerinitiative auch ein Denkmal errichtet. Ernst Reuß
Nur eineinhalb Stunden dauerte die berüchtigte Konferenz am 20. Januar 1942, bei der sich 15 hochrangige Vertreter von Reichsregierung und SS trafen, um den begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und zu koordinieren. Einziger Tagesordnungspunkt war die „Endlösung der Judenfrage“. Man wollte den zeitlichen Ablauf für die weiteren Massentötungen festlegen und die dafür vorgesehenen Opfergruppen definieren.
Die Konferenz fand in einer schönen Villa direkt am Wannsee statt. Der erst nach dem Zweiten Weltkrieg geprägte Begriff „Wannseekonferenz“ ergab sich aus dem Tagungsort, dem Gästehaus der SS. Die prächtige Villa wurde zu Beginn des Ersten Weltkriegs erbaut und ist heute als „Haus der Wannseekonferenz“ eine informative Gedenkstätte zum Thema Holocaust, mit mehr als 100 000 Besuchern im Jahr. Ausgehend von dieser Konferenz wurde vereinbart, dass „Halbjuden“ ungeachtet ihrer Glaubenszugehörigkeit wie „Volljuden“ behandelt werden sollten. Ausnahmen waren nur für solche „Mischlinge“ vorgesehen, die mit einem „deutschblütigen“ Partner verheiratet und nicht kinderlos geblieben waren. Allerdings wollte man sie nun sterilisieren. „Vierteljuden“ konnten den „Deutschblütigen“ gleichgestellt werden, sofern sie nicht „durch auffälliges jüdisches Aussehen oder schlechte polizeiliche und politische Beurteilung als Juden einzustufen waren.“ Die „Wannseekonferenz“ war nicht der Beginn des Holocaust und auch nicht die einzige Beratung zu diesem Thema, denn das Massenmorden an den Juden war im besetzten Osten schon längst im vollen Gange. Die „Wannseekonferenz“ ist allerdings durch ein Protokoll, das 1947 gefunden wurde, das am besten dokumentierte Treffen zum Thema Judenmord. Klartext wird zwar auch im offiziellen Protokoll nicht gesprochen, aber man spricht von „Evakuierung“, von „Endlösung“ und von „Verminderung“. Jeder der Teilnehmer wusste was gemeint war, auch wenn sie es teilweise nach dem Krieg bestritten. Der Tag der „Wannseekonferenz“ jährte sich 2017 zum 75ten mal. Der Metropol-Verlag hat dazu in diesem Jahr zwei interessante und informative Bücher aufgelegt. Neben der „Einführung“, einem kleinen informativen Band zur „Wannseekonferenz“, werden im zweiten Band die Teilnehmer der Konferenz porträtiert. Neben bekannten Gestalten wie Reinhard Heydrich, Roland Freisler und Adolf Eichmann, nehmen andere zum ersten Mal Gestalt an. Acht der im Dritten Reich mächtigen Männer waren Juristen, ebenfalls acht, der zumeist im Range eines Staatssekretärs stehenden Teilnehmer, waren promoviert. Es handelte sich dabei um die Herren Heinrich Müller, Martin Luther, Alfred Meyer, Rudolf Lange, Eberhard Schöngarth, Friedrich Wilhelm Kritzinger, Josef Bühler, Erich Neumann, Wilhelm Stuckart, Georg Leibbrandt, Otto Hofmann und Gerhard Klopfer. Die meisten von ihnen waren als Schreibtischtäter tief verstrickt in die Mordmaschinerie. Heydrich, der die Konferenz organisiert hatte, um bürokratische Hemmnisse aus dem Weg zu räumen, fiel 1942 einem Attentat zum Opfer. Freisler wurde in den letzten Kriegstagen Opfer eines Bombenangriffs. Schöngarth und Bühler wurden nicht lange nach dem Krieg hingerichtet. Eichmann erst 1962, nach einem aufsehenerregenden Prozess in Jerusalem. Müller, Meyer und Lange starben in den letzen Kriegstagen, wahrscheinlich durch Suizid. Luther, Neumann und Kritzinger segneten krankheitsbedingt das Zeitlich kurz nach dem Krieg. Stuckart – bis zu seinem tödlichen Autounfall 1953 - und Leibbrandt machten in der Bundesrepublik dagegen Karriere. Stuckart, der 1949 aus alliierter Haft entlassen und nur als „Mitläufer“ eingestuft worden war, wurde Geschäftsführer des „Instituts zur Förderung der niedersächsischen Wirtschaft“ und engagierte sich in Niedersachsen im Vorstand des „Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten“. Es schadete ihm dabei nicht, dass er als Mitglied der als Nachfolgepartei der NSDAP 1952 verbotenen rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei parteipolitisch aktiv blieb. Der von der Entnazifizierungsbehörde als „unbelastet“ eingestufte Leibbrandt leitete das Bonner Büro der Salzgitter AG. Laut anderer Quellen soll er angeblich auch Konrad Adenauer bei der Rückführung deutscher Kriegsgefangener aus der Sowjetunion beraten und 1966 das Bundesverdienstkreuz erhalten haben. Er starb 1982 und überlebte die Opfer der Wannseekonferenz um viele Jahrzehnte. Auch Klopfer und Hofmann kamen glimpflich davon. Klopfer, der als „minderbelastet“ entnazifiziert wurde, starb 1982 als wohlangesehener und relativ unbescholtener Rechtsanwalt in Ulm. Hofmann der in den Nürnberger Prozessen zu 25 Jahre Zuchthaus verurteilt und 1954 amnestiert wurde, entschlief 1987 als letzter der Teilnehmer der „Wannseekonferenz“ mit 86 Jahren in Bad Mergentheim. Keiner von den vier in der Bundesrepublik lebenden Teilnehmern der „Wannseekonferenz“ zeigte im Laufe der Jahre Reue. Schuldbewusstsein war offenbar nicht vorhanden. Man sah sich als Opfer, was in den bundesrepublikanischen Nachkriegskreisen, in denen sie sich bewegten, eher die Regel war. Ernst Reuß Hans-Christian Jasch, Christoph Kreutzmüller (Hrsg.): „Die Teilnehmer: Die Männer der Wannsee-Konferenz“. (Metropol, Berlin 2017, 336 S., 24 Euro) bzw. Peter Klein, Die „Wannsee-Konferenz“ am 20. Januar 1942, Eine Einführung (Metropol, Berlin 2017, 102 S., 12 Euro)
Deutschland erlebte 2021 nach 16 Jahren Kanzlerinnenschaft eine politische Veränderung. Normal in einer Demokratie. Überraschend jedoch das Hin und Her vor den Wahlen. Schließlich kommt doch der vielfach abgeschriebene Sozialdemokrat Olaf Scholz an die Macht. Lange hatte man mit einer schwarz-grünen Koalition gerechnet, aber herausgekommen ist die „Ampel“. Es scheint, dass Olaf Scholz und sein Team einfach nur abwarten mussten und selbst erstaunt waren ob der Entwicklung.
Stephan Lamby beobachtete und begleitete die Protagonisten der Bundestagswahlen vom 26. September 2021 monatelang. Seit Dezember 2020 begab er sich auf die Spuren der drei Kanzlerkandidat/innen. Er blickte hinter die Kulissen der Kampagnen von SPD, Union sowie den Grünen und führte Interviews nicht nur mit Olaf Scholz, Armin Laschet, Annalena Baerbock oder Robert Habeck. Lamby blickt auch auf frühere Kampagnen und Wahlkämpfer zurück, die er ebenfalls aus der Nähe beobachtet hatte. Er zeichnet Angela Merkel als Kanzlerin, die allein den Laden zusammenhielt und über den Dingen schwebte, während Söder und Laschet um die vermeintlich sichere Kanzlerschaft stritten. Er erzählt vom Erfolg des Rezo-Videos, dem Hin und Her bei der Coronabekämpfung, Laschets Lachen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal, die Maskenaffäre der CSU und die Skandalisierung der Kanzlerkandidatin - einer jungen, intelligenten Frau, mit der gerade konservative Menschen so ihre Schwierigkeiten haben. Der Autor analysiert wie im Wahljahr die nach der Kanzlerinnennominierung überraschende Dominanz der Grünen nach und nach wieder schrumpft und hört früh interne Klagen über die Fehler des CDU-Kandidaten Laschet. Lamby begleitete schon Kohl, Merkel, Steinbrück und Schulz. Seine Reportage ist nicht nur die Chronik des Wahlkampfs, sondern auch eine intimer Blick auf Politiker unter höchster Anspannung. Der Autor ist normalerweise Dokumentarfilmer, aber was er schreibt ist durchaus lesenswert. Ihm ist mit dem Buch „Entscheidungstage“ eine umfassende Erzählung des Wahljahrs 2021 gelungen. Ernst Reuß Stephan Lamby: Entscheidungstage. Hinter den Kulissen des Machtwechsels. C.H. Beck, München 2021. 382 Seiten, 22 Euro. |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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