„Sie war auf eine bissige Art brillant und dennoch vollkommen loyal, unprätentiös und unerbittlich gegenüber jeder Art von Augenwischerei. Sie war eine vollendete Künstlerin und ein vollendeter Clown, zugleich eine Hinterwäldlerin aus Upstate New York und eine kosmopolitische Grande Dame, kaltes, soigniertes fashion model und Wildfang.“, sagte ihr Kollege und kurzzeitiger Lebensgefährte David E. Scherman über sie.
Auf jeden Fall war Lee Miller eine außergewöhnliche und selbstbewusste Frau. Das Buch “Lee Miller. Krieg. Mit den Alliierten in Europa. 1944-1945. Reportagen und Fotos“ ist schon vor einigen Jahren im Verlag Edition Tiamat erschienen und enthält nicht nur Fotos von ihr, sondern auch aus historischer Sicht sehr faszinierende Texte. 1907 geboren, stand sie den Surrealisten nah und begann Ende der 1920er-Jahren eine Karriere als professionelles Modell. Sie hatte bei Man Ray das Fotografieren gelernt und war dessen - für ihn - irritierend selbstbewusste Geliebte. Sie galt als Supermodel und Ikone. Danach machte sich Lee Miller in New York ausgesprochen erfolgreich als Werbe- und Modefotografin selbstständig, bevor sie in Ägypten einen Tycoon heiratete und somit 1935 abrupt ihr Leben änderte. Anscheinend war ihr das aber bald zu langweilig, denn 1937 kehrte sie in die Pariser Surrealisten-Kreise zu ihren Künstlerfreunden Man Ray, Max Ernst und Jean Cocteau zurück. Sie verliebte sich 1937 in ihren späteren Ehemann Roland Penrose und ging 1939 endgültig zu ihm nach London. Dort begann sie erneut Mode zu fotografieren und die immer stärker bombardierte britischen Hauptstadt zu dokumentieren. Das reichte ihr aber anscheinend nicht aus, denn sie wollte ihren Beitrag leisten im Kampf gegen Nazi-Deutschland und akkreditierte sich 1942 als eine der wenigen Kriegsberichterstatterinnen in Europa. Sie arbeitete für „Vogue“ und „Vanity Fair“, eigentlich Modezeitungen, in denen aber auch ihre packenden Reportagen und Fotos erschienen. In Europa fotografierte sie Feldlazarette, zerstörte Städte und Konzentrationslager, wurde eine der neuen Stars des Journalismus und erwarb sich den Respekt der Frontsoldaten. Zu ihren Fotos schrieb sie brillante und sarkastische Berichte, die einen plastische erleben lassen, was der Krieg und das Leben kurz nach dessen Ende bedeutete. Lee Miller kam etwa drei Wochen nach der Invasion der Alliierten in der Normandie an, um über die Arbeit der Ärzte und Schwestern in einem Feldlazarett zu berichten. Kurz danach erlebte Miller die Befreiung von Paris und besuchte dort alte Freunde, wie Pablo Picasso. Danach ging sie nach Deutschland, wo sie in den Konzentrationslagern von Buchenwald und Dachau befreite Gefangene und die Gräueltaten der Nazis fotografierte. Ihr berühmtestes Foto war jedoch das vom 30. April 1945, auf dem sie selbst zu sehen ist. Ihr damaliger Lebensgefährte Scherman fotografierte sie nackt in Hitlers Badewanne, in dessen verlassenen Wohnung am Münchner Prinzregentenplatz. Vor der Badewanne standen beziehungsweise lagen ihre schmutzigen Armeeklamotten und die matschigen Soldatenstiefel, die sie kurz zuvor im Konzentrationslager Dachau getragen hatte. Dort hatte sie erst wenige Stunden zuvor Berge von Leichen gesehen. Auf dem Rand der Badewanne stand ein Fotoporträt des „Führers“, der sich ungefähr zur selben Zeit in seinem Bunker erschoss. Während sich Hitler jeder Verantwortung für seine Taten entzog, sollten Lee Miller die schrecklichen Bilder aus dem Krieg für den Rest ihres Lebens verfolgen. In München durchstöberte sie auch das Haus von Eva Braun: „Ich machte ein Nickerchen auf Evas Bett und probierte die Telefone aus, die mit „Berlin“, „Berchtesgaden“, „Wachenfeld“ gekennzeichnet waren. Es war bequem, aber auch makaber (...) ich döste auf dem Kissen eines Mädchens und eines Mannes, die jetzt tot waren, und ich war froh, dass sie tot waren, wenn es denn stimmte.“ Sie war im Gegensatz zu ihrem berühmten Kollegen Robert Capa keine Pazifistin gewesen. Sie schrieb: „Deutschland ist ein schönes Land – mit Dörfern wie Juwelen und zerbombten Stadtruinen – und es wird von Schizophrenen bewohnt. Es gibt blühende Landschaften und schöne Aussichten; auf jedem Hügel thront ein Schloss. Die Weinberge an der Mosel und die frisch gepflügten Felder sind fruchtbar. (...) Kleine Mädchen spazieren nach ihrer Erstkommunion in weißen Kleidern und Blumenkränzchen in der Hand herum. Die Kinder haben Stelzen, Murmeln, Kreisel und Reifen. Mütter nähen, putzen und backen; Bauern pflügen und eggen; alles ist wie bei richtigen Menschen. Aber das sind sie nicht. Sie sind der Feind. Dies ist Deutschland, und es ist Frühling.“ Was sie dort sah, verzieh sie den Deutschen nie. Am 30. April 1945 war Lee Miller im kurz zuvor befreiten Dachau angekommen. „In diesem Fall liegt das Lager so nah an der Stadt, dass es keinen Zweifel daran geben kann, dass die Einwohner wussten, was da vor sich ging.“, schrieb sie zurecht. Zwei Wochen zuvor hatte sie ja schon das Grauen im KZ Buchenwald mit eigenen Augen gesehen. Traumatisiert von ihren Erlebnissen, hörte sie bald mit dem professionellen Fotografieren auf. Nach dem Krieg zog sie wieder nach England, heiratete Roland Penrose und 1947 wurde ihr Sohn Antony geboren. Ungefähr 40 000 Negative verstaute sie in achtzehn großen Kisten auf dem Dachboden ihres Hauses. Für sie inzwischen bedeutungslose Arbeiten aus längst vergangenen Tagen. Miller wurde zur Alkoholikerin und verfiel in Depressionen. Erst nach ihrem Tod 1977 barg ihr Sohn die Schätze und gab verdienstvollerweise mehrere Bücher mit Lee Millers Fotos und Berichten heraus. Verdienstvoll auch, dass das bereits 1992 auf Englisch erschienene Buch mit den eloquenten Miller-Reportagen auf Deutsch übersetzt wurde. Es verdient eine große Öffentlichkeit. Dem Faszinosum Lee Miller ist auch die italienische Moderatorin und Autorin Serena Dandini erlegen, die den Lebensweg und viele Beziehungsdetails Millers romanhaft und recht blumig nacherzählt. Ihr Buch „Die Frau in Hitlers Badewanne“ ist eine Hommage an Lee Miller, die damals als eine der modernsten Frauen der Welt galt und mit ihrem aufregenden Leben beeindruckt. Lee Miller ist eine Frau, die sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst ist und äußerst selbstbewusst durch das Leben schreitet. Sie wählt allerdings nicht den einfachsten Weg , um sich selbst zu verwirklichen und ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Die deutsche Übersetzung des Buches ist gerade bei btb erschienen. Hochinteressant bleibt natürlich der im Kölner Greven Verlag herausgegebene Bildband Lee Miller Deutschland 1945. Darin sind rund 150 Fotos aus Deutschland im Frühling 1945, als Miller mit den US-Truppen vorrückte. Sie zeigen die letzten Kriegswochen des Jahres 1945. Laut Verlag sind es größtenteils unveröffentlichte Aufnahmen. Es sind jedenfalls sehr beeindruckende Fotografien von Köln bis Berchtesgaden. Idyllische Fotos von Kindern, die Gänse hüten. Eher nachdenkliche Fotos, die Frauen beim Zuschaufeln der von Männern geschaffenen Schützengräben zeigen. Aber auch Bilder von Leichen in Buchenwald und Dachau, oder von Naziführern, die sich selbst umbrachten, als die Krieg verloren war. Lee Miller fotografierte auch das Zusammentreffen mit der Roten Armee in Torgau. Ferner sieht man Hitlers eher spießbürgerliches Schlafzimmer, aber auch das berühmte Bad in seiner Badewanne. Es gibt Fotos von verprügelten und toten KZ Wärtern, aber auch von denjenigen, die sich Häftlingsklamotten anzogen um unterzutauchen. Den Kontext zu den Fotos schildert der amerikanische Geschichtswissenschaftler Richard Bessel, ein ausgewiesener Kenner Nazi-Deutschlands, - mit vielen Veröffentlichungen zum Thema. Historisch ausgesprochen spannend vermittelt der Bildband ein plastisches Bild des Kriegsendes in dem Land, das den verheerenden Krieg entfachte und dem viele Millionen Menschen aus der ganzen Welt zum Opfer fielen. Ernst Reuß Lee Miller, „Krieg. Mit den Alliierten in Europa 1944-1945“. Reportagen und Fotos. Herausgegeben von Antony Penrose. Aus dem Englischen von Andreas Hahn und Norbert Hofmann. Paperback, mit zahlreichen Fotos, Edition Tiamat, 2. Auflage Berlin 2015, 336 Seiten, 20 €. Serena Dandini, Die Frau in Hitlers Badewanne, Aus dem Italienischen von Franziska Kristen, Originaltitel: La Vasca del Fuhrer, Paperback, btb, München 2023, 320 Seiten, 15 € . Richard Bessel, Lee Miller Deutschland 1945, Gebunden mit Schutzumschlag, Greven Verlag, Köln 2018, 140 Seiten, 25 €.
Der Aufstand im Warschauer Ghetto - nicht zu verwechseln mit dem Warschauer Aufstand, mehr als ein Jahr später - war ein Aufstand der jüdischen Bewohner gegen die Liquidierung des Ghettos und ihrer Deportation ins Vernichtungslager.
Mehr als ein Jahr nach der Kapitulation der polnischen Hauptstadt Warschau war das Ghetto am 15. Oktober 1940, errichtet worden. Auf 2,4 % der Fläche Warschaus sollten zusammengepfercht über 450 000 Menschen in katastrophalen Umständen leben und sterben. Ab Juli 1942 wurde mit der so genannten "Endlösung der Judenfrage" begonnen. Täglich wurden mehr als 6 000 Menschen abtransportiert, in erster Linie nach Treblinka. Schon bis Ende 1942 sollen 300 000 der Ghettobewohner in die Vernichtungslager deportiert worden sein. Die jüdischen Widerstandsorganisationen beschlossen ein Zeichen zu setzen und sich mit Waffengewalt zu wehren. Getragen wurde der Aufstand von der Jüdischen Kampforganisation Zydowska Organizacja Bojowa (ŻOB) unter der Leitung von Mordechaj Anielewicz. Unter seinem Kommando erhoben sich mehrere hundert der völlig unzureichend bewaffneten Ghettobewohner am 19. April 1943 gegen die weit überlegenen SS-Truppen. Ein aussichtsloser Kampf. Die meisten der am Aufstand Beteiligten hatten mit ihrer Familie und vielen Freunde oft alles was ihnen persönlich wichtig war verloren. Sie wollten sich nicht widerstandslos wie „Lämmer zur Schlachtbank“ führen lassen. Am 19. April 1943 gegen 3 Uhr begannen die Deutschen, das Ghetto zu umstellen um es liquidieren zu können. 850 Männer der SS marschierten drei Stunden später hinein, wo sie sofort beschossen wurden und sich wieder zurückziehen mussten. Während der rund vier Wochen dauernden Kämpfe wurden tausende Juden von SS- und Polizeieinheiten getötet oder in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Nur wenigen gelang die Flucht. Das Areal, auf dem sich das Ghetto befunden hatte, wurde Häuserblock für Häuserblock gesprengt. Am 16. Mai erklärte die SS die Kämpfe für beendet und ließ am am gleichen Tag die Große Synagoge sprengen. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fertigte Marek Edelman, einer der wenigen Überlebenden und ein Kommandeur des Aufstands, eine unvollständige Liste der Aufständischen an. Jahrzehnte später hatte die polnische Journalistin Hanka Grupińska die Liste in einem Londoner Archiv wiederentdeckt. Sie machte es sich zur Aufgabe, den Lebenswegen der zumeist jungen Kämpferinnen und Kämpfer nachzugehen. Durch ihre Recherchen sind Kurzbiografien - oft mit Bildern - von 308 namentlich bekannten Aufständischen entstanden. Marek Edelmann bezeichnet es in seinem Vorwort als Friedhof aus Buchstaben. Nun liegt diese Erinnerung, die in Polen bereits 2003 erschienen war, auch auf Deutsch vor. Eine Erinnerung an diejenigen, deren Gebeine irgendwo unter dem Schutt Warschaus liegen und nie ordentlich bestattet worden waren. Zwei der Kurzbiographien betreffen Mordechaj Anielewicz und seine Freundin Mira Fuchrer, die sich zuletzt im Kommandobunker aufhielten. Am 7. Mai wurde der von den Deutschen entdeckt. Die Insassen überlebten nicht. Die genauen Umstände ihres Todes ist unbekannt, da keine überlebenden Augenzeugen bekannt sind, und die Toten auch nicht offiziell geborgen wurden. Teilweise wird von einem kollektiven Suizid ausgegangen, von anderen wird angenommen, dass die im Bunker Eingeschlossenen durch von den Deutschen eingeleitete Abgase erstickten. Anielewicz galt als mutig und war erst im 24. Lebensjahr als er starb. Die ein Jahr jüngere Fuchrer galt laut ihrer Kurzbiographie als hübsch, warmherzig, stark und geheimnisvoll. Ernst Reuß Hanka Grupińska, Die Liste lesen. Erzählungen über die Warschauer Aufständischen der Jüdischen Kampforganisation, Aus dem Polnischen von Andreas Volk, Studien zu Holocaust und Gewaltgeschichte, Band 6, Metropol Verlag, Berlin 2023, 239 Seiten, 26 € |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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