Kein historisches Sachbuch, sondern ein preisgekrönter Wenderoman ist Lutz Seilers Buch „Stern 111“. Seiler, er hatte 2014 mit „Kruso“ den Deutschen Buchpreis gewonnen, gewann 2020 mit diesem Buch den Preis der Leipziger Buchmesse.
Sein Alter Ego Carl steht im Mittelpunkt der Erzählung. Kurz nach dem Fall der Mauer verlassen dessen Eltern das alte Leben in Gera. Carl soll ihre Wohnung übernehmen, doch den zieht es nach Berlin. Wie der Autor des Buches landet Carl in Berlin-Mitte in der Oranienburger Straße und ist beteiligt am anarchischen Chaos der Hausbesetzer und Künstler in der wilden Nachwendezeit. Carl trifft seine Jugendliebe Effi wieder, „die einzige Frau, in die er je verliebt gewesen war“, und trennt sich später von ihr. Ganz nebenbei erzählt er die Geschichte seiner Eltern, die das Los von Flüchtlingen ertragen müssen, in Notaufnahmelagern landen und als „Ostpack“ mit Bürokratie und Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen haben, bis sie schließlich in die USA auswandern können und ihrem Sohn erst dann ihr Lebensgeheimnis offenbaren, was auch den Titel des Buches erklärt. „Die Assel“, die Carl mit aufbaut und dort kellnert, ist Ausgangspunkt im Nachwendeberlin, das brillant und nachvollziehbar geschildert wird. Wer es nicht selbst erlebt hat, kann sich beim Lesen in den Mythos einer noch nicht so lange vergangenen Zeit hineinversetzen. Das „Tacheles“, der „Eimer“ und viele der Locations in der Nähe sind inzwischen verschwunden. Auch die Assel gibt es so nicht mehr. Die gesamte Oranienburger Straße hat nichts mehr mit jener Zeit und mit der damaligen speziellen Aufbruchsstimmung einer Gegenkultur zu tun. Der Charme ist unwiederbringlich verloren. „Die wilden Zeiten sind vorbei, nicht wahr?“, resümiert dementsprechend die Ziege Dodo am Ende des Buches. Könnte aber auch sein, dass Carl sich nur eingebildet hat, dass Dodo reden kann. Die wilden Zeiten waren allerdings wirklich vorbei. Ausgesprochen packend erzählt und sicherlich nicht nur für Nostalgiker lesenswert. Ernst Reuß Lutz Seiler, Stern 111, Suhrkamp Verlag , Berlin 2020, 528 Seiten, 24,00 €
Obwohl es mehr als genug Bücher über Adolf Hitler gibt, Hat sich der irische Historiker Brendan Peter Simms an das Thema gewagt. Seine über 1000 Seiten dicke Hitlerbiographie ist jetzt in einer deutschen Übersetzung erschienen.
Simms, Jahrgang 1967, ist ein bekannter Professor an der Universität von Cambridge. Seine im gesamten Buch immer wieder propagierte These lautet: Hitlers Motive für Krieg und Zerstörung seien aus einer Hassliebe zu Amerika und Großbritannien entstanden. Er bewunderte die Zähigkeit der britischen Soldaten, mit denen er im ersten Weltkrieg zu tun hatte. Nicht die Angst vor dem Bolschewismus sei seine Triebfeder gewesen, sondern seine heimliche Hochachtung vor den Briten und den US-Amerikaner. Selbst Hitlers pathologischer Antisemitismus soll aus seinem Konkurrenzkampf mit dem in Amerika ansässigen „Weltkapitalismus“ entstanden sein, wo Juden an den Schalthebeln der Macht gesessen haben sollen. Die USA und Großbritannien waren damals global dominant. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass diese Länder für Hitler sehr viel größere Feinde darstellten, als der Bolschewismus, auch wenn das später so den Anschein haben sollte. Simms beschreibt Hitler als Glücksspieler, der anfangs strategisch oft richtig gelegen hätte. Man glaubt, bei Simms zeitweilig eine klammheimliche Bewunderung herauslesen zu können, jedenfalls stellt er Hitlers teilweise aberwitzigen Befehle und seine Rationalität kaum in Frage. Andere Historiker tun das durchaus. Hitler war ein Abstinenzler und Befürworter der Prohibition und sah diesbezüglich Amerika als großes Vorbild an. Er verkündete lange vor seiner Machtübernahme: „Wenn die europäischen Staaten nicht bald die Alkoholfrage im Sinne Amerikas lösen, dann werde Amerika bis in 100 Jahren die Welt vollständig beherrschen.“ Nicht nur diesbezüglich sollte sich Hitler irren. Zwar ist die USA weiterhin die Weltmacht Nr. 1, aber nicht wegen der Prohibition, die damals kläglich scheiterte. Hitlers Fixierung auf die Eroberung von „Lebensraum“ soll während des Ersten Weltkriegs entstanden sein. Zwei von ihm beaufsichtigte Gefangene aus Amerika stellten sich damals als deutsche Einwanderer heraus, „die dem Vaterland mangels Lebensraums verlorengegangen waren“ und nun als Feinde zurückgekommen wären. Das dürfe nie mehr geschehen. Seine diesbezügliche Hoffnung deutsche Überseemigranten „heim ins Reich“ zu holen, erfüllte sich jedoch nicht. Angeblich hoffte Hitler, dass dieses nach einem überwältigenden Sieg im Krieg klappen könnte, aus „Vaterlandsstolz“. Diese Hoffnung sei ein Motiv für den Überfall auf die Sowjetunion gewesen. „Unmittelbarer Zweck“ des „Unternehmen Barbarossa“ war laut Simms „Großbritannien psychologisch, diplomatisch, militärisch und ökonomisch einen Schlag zu versetzten und die Vereinigten Staaten abzuschrecken.“ Muss deswegen die Geschichte des „Dritten Reichs“ grundsätzlich neu überdacht werden, wie der Autor in seiner Einleitung hofft? Wohl kaum, denn die Fixierung des Autors auf seine Hauptthese, ist nicht immer so richtig nachzuvollziehen. Trotzdem ist es nicht uninteressant zu lesen, welche kruden Ansichten insbesondere zum „deutschen Volk“ Hitler antrieben und sie mit dem vergleicht was offensichtlich heute wieder durchaus opportun ist in gewissen Kreisen. Ernst Reuß Brendan Simms: Hitler - Eine globale Biografie, DVA München 2020, Hardcover, 1050 Seiten, 44 €
Ein Dorf bei Angermünde, das inzwischen eingemeindet worden ist, wurde im Dreißigjährigen Krieg von marodierenden Soldaten als Basislager benutzt. Man verstand sich gut mit dem dortigen Pfarrer Georg Neumann. Der Pfarrer „frisst und säuft mit ihnen hilft auch das geraubte Gut zu vertuschen“, schrieb der Angermünder Probst 1638 in einem Bericht für seine Diözese über den Pfarrer. Pfarrer Neumann war nicht der einzige, der sich so verhielt und mit den Plünderern gemeinsame Sache machte. Ein anderer Pastor ließ seine Knechte als Soldaten getarnt, an den Plünderungen teilhaben. Während der Probst die Vorkommnisse im Namen der Kirche überprüfte, wurde auch seine Kutsche von Soldaten geplündert.
Der Dreißigjährige Krieg war ein Religions- und Staatenkonflikt, dessen Folgen für die betroffenen Gebiete verheerend waren. Auch in der Brandenburger Gegend ging es drunter und drüber, wie ein frisch erschienener Tagungsband schon in seinem Titel „Halb Europa in Brandenburg. Der Dreißigjährige Krieg und seine Folgen“ verrät. Es wurde geplündert, vergewaltigt und gemordet. „Weiber und Jungfrauen wurden auf den Gassen geschändet, wie das Vieh“, schreibt ein Zeitgenosse. Derselbe berichtet auch von Schändungen „unschuldiger und redlicher Kinder“. Als 1618 der Krieg mit dem „Prager Fenstersturz“ ausbrach, blieb es in Brandenburg zunächst relativ ruhig. Erst nach acht Jahren begann der Krieg auch dort richtig. 1626 kamen die Dänen, die in Norddeutschland eine Basis für den Kampf gegen die andere protestantische Großmacht Schweden schaffen wollten. Tangermünde in der Altmark wurde ihre Militärbasis. Die Uckermark wurde im Verlauf der Krieges mit am stärksten in Mitleidenschaft gezogen und stark zerstört. Hier durchziehende und lagernde Heere plünderten was sie konnten und forderten ihren Tribut. Es machte diesbezüglich für die Dorfbewohner kaum einen Unterschied, ob Freund oder Feind durchzogen. Der Kurfürst wechselte mehrfach die Seiten, was ihm jedoch wenig nutzte. Er war nicht der einzige der Herrscher, der das tat, weshalb die Fronten unübersichtlich wurden. Die Söldner wechselten auch aus pekuniären Gründen öfters die Seiten. Freunde und Feinde änderten sich also häufig. Es war eine sehr unübersichtliche Gemengelage, die nicht unbedingt etwas mit der unterschiedlichen Religion zu tun haben musste, sondern machtpolitischen Interessen geschuldet war. Kroatisch, schottische und andere Söldnerheere marodierten durch die Gegend. Als das Heer Gustav Adolfs von Schweden nach der Landung auf Usedom 1630 auch Brandenburg besetzte, wurde es nicht besser. Ganz im Gegenteil, denn nun wurde besonders heftig gewütet. Die gesamte Mittelmark wurde fast völlig verwüstet. „Das schwedische Königreich (…) war ein multi-ethnisches und multi-linguales Reichsgebilde entlang der Küsten der Ostsee.“ und stritt mit Dänemark um die politische Vorherrschaft im Ostseeraum. Protestanten gegen Protestanten also. 1631 schlug das schwedische Heer unter Gustav Adolf nördlich von Leipzig die Truppen der katholischen Liga unter Tilly und marschierte unaufhaltsam weiter nach Süddeutschland. Das Wiegenlied „Schlaf Kindlein Schlaf“ gab es schon damals, mit anderem Text: „Bet, kindchen, bet! / morgen kommt der Schwed‘, / morgen kommt der Oxenstern, / wird den Kindern beten lehr’n / Bet, kindchen, bet!“ Mit „Oxenstern“ war Axel Oxenstierna gemeint, der - nach dem Tod Gustav Adolfs in der Schlacht in Lützen - die Regierungsgeschäfte führte. Besonders die Menschen in den Dörfern hatten unter den brandschatzenden Söldnerhaufen zu leiden. Die ständigen Durchmärsche der Heere, die einquartiert und versorgt werden wollten, führten zu Hungersnöten, Pestwellen und Massenflucht. Der Wiederaufbau der Mark Brandenburg sollte sich als äußerst langwierig erweisen. Sie gehörte zu den am stärksten vom Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Gebieten. Arbeitslose Söldner trieben dort auch Jahren nach dem „Westfälischen Frieden“ 1648 ihr Unwesen. Die währenddessen erlittenen Traumata prägten die Erinnerungskultur der nachfolgenden Generationen. Ernst Reuß Matthias Asche (Hg.), Marco Kollenberg (Hg.), Antje Zeiger (Hg.), Halb Europa in Brandenburg. Der Dreißigjährige Krieg und seine Folgen, 244 Seiten, 60 Abb., Klappenbroschur, teils farbige Abbildungen, Lukas Verlag, Berlin 2020, Preis 20 €
Das Kölner Ehepaar Margret und Werner Müller hat seit 20 Jahren Kontakt zu Opfern des Nazi-Terrors in Osteuropa. Nun haben sie zusammen mit dem Historiker Boris Zabarko, einem Überlebenden, die Sammlung von Berichten weiterer Überlebender veröffentlicht. Entstanden ist laut Verlag eine „Geografie des Holocaust“ in der Ukraine. Zabarko sammelte hunderte Zeitzeugenberichte von Überlebenden. An Hand dieser Berichte wird das Vorgehen der deutschen Mörder und ihrer Helfershelfer genau lokalisiert.
In der Sowjetunion war es lange Zeit politisch unerwünscht, die Juden als eigenständige Opfergruppe anzusehen. Untersuchungen wurden zurückgehalten und der Wissensstand über den Judenmord in der Ukraine blieb lange Zeit erstaunlich gering. Erst Anfang der neunziger Jahre konnte man sich fast uneingeschränkt engagieren. Zabarko begann seine Interviews zu führen. Er hatte damit seine Lebensaufgabe gefunden und die Berichte bereits auf Russisch veröffentlicht. Den Herausgebern Margret und Werner Müller ist es zu verdanken, dass die Berichte heute in Deutsch zu lesen sind. Wie ein Mosaik setzen sich die Schilderungen zu einem Bild zusammen. Zielgerichtet und brutal gingen die deutschen Einsatzgruppen und Sonderkommandos vor. Die jüdische Bevölkerung in den besetzten Gebieten wurde brutal ermordet. In der Ukraine sollen mindestens 1,5 Millionen Juden ermordet worden sein. Babi Jar ist ein Synonym für derartig grausame Verbrechen geworden. Die Buchhalter des Grauens listeten in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew am 29. und 30. September 1941 insgesamt 33 171 Menschen bestialisch Ermordete auf. Da auch bei den Erschießungen alles seine deutsche Ordnung haben musste, wurde die Kleidung der Massakrierten fein säuberlich auf Lastwagen verfrachtet, desinfiziert und der NS-Volkswohlfahrt zugeführt. 137 Lastwagen waren dazu notwendig. Auch das wurde penibel dokumentiert. Die Täter führten ihre Verbrechen unter den Augen der übrigen ortsansässigen Bevölkerung durch, die teilweise zu Komplizen wurden. Die Pogrome erfolgten überall nach demselben Muster. Elisaweta Kremers Bericht aus Mariupol ist einer von vielen derartigen Schilderungen, die sich ähneln. Zehn Kilometer vor der Stadt wurden am 20. und 21. Oktober 1941 mindestens 8 000 Menschen von Mitgliedern des Sonderkommandos 10a ermordet: „Die Juden mussten einen Davidstern tragen. Dann wurde die Anordnung bekannt gegeben, die besagte, dass alle Juden mit ihren Wertsachen und warmer Kleidung an einem Sammelpunkt einfinden sollten. Angeblich sollten wir zur Arbeit an einen anderen Ort gebracht werden. (…) Das war im Oktober 1941, ich war erst 18 Jahre alt. Dann begannen die Erschießungen. (…) Wir wurden an den Panzergräben erschossen. Auf beiden Seiten wurden Maschinengewehre aufgestellt. Ich weiß nicht wie ich am Leben blieb. Wahrscheinlich fiel ich zu früh in den Graben und wurde nur an den Beinen verletzt. Ich lag im Graben, und die Menschen fielen auf mich. Kleinkinder wurden von ihren Müttern getrennt. Man stach ihnen die Augen aus und warf sie in den Graben. (…) Mich überfiel eine große Angst, und ich schrie: „Tötet mich; ich lebe noch!“ lch wollte die Hand heben, um zu zeigen, wo ich lag. Aber ich konnte es nicht, weil ganz viele Leichen auf mir lagen. Die Maschinengewehre ratterten und ratterten. Als die Deutschen abgezogen waren, krochen die noch Lebenden aus dem Graben und versuchten zu fliehen. Neben mir lag ein Mädchen. Es hieß Shenja. Sie stammte aus Mariupol und bat mich mit ihr zu gehen. Ich versuchte, mich auf die Beine zu stellen, konnte es aber nicht. Ich hatte eine Schussverletzung in meinen Beinen. Das Mädchen floh alleine, kehrte aber nach einiger Zeit zurück und zwang mich, ihr zu folgen, sagte, wir müssen uns retten, sonst würde man mich lebend begraben. Nach all dem Geschehenen war mir alles egal. Ich wollte nicht gehen, aber Shenja überredete mich.“ Homo homini lupus, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Es ist immer wieder ausgesprochen erschreckend zu lesen, wozu Menschen fähig sein können. Ernst Reuß Boris Zabarko, Margret und Werner Müller (Herausgeber), Leben und Tod in der Epoche des Holocaust in der Ukraine: Zeugnisse von Überlebenden (Deutsch), Metropol Verlag, Berlin 2019, Gebundene Ausgabe, 1152 Seiten, € 49.00
Kein historisches Sachbuch, sondern eine neue Krimireihe im historischen Kontext hat sich der Droemer Verlag vorgenommen. Der erste Teil der Reihe heißt „Pandora. Auf den Trümmern von Berlin.“ Nicht die Zwischenkriegszeit, wie in „Babylon Berlin“, sondern die Nachkriegszeit wird dabei beleuchtet. Eine Zeit, zwar nicht so schillernd wie die „Roaring Twenties“, aber ebenfalls ein ausgesprochen spannender historischer Abschnitt, der heutzutage weitaus weniger Beachtung findet. Umso interessanter könnte diese Krimireihe sein.
1948 kehrt der als Kind geflüchtete Hans-Joachim Stein aus London in seine von Krieg, Zerstörung, Spaltung und Blockade gebeutelte Heimatstadt Berlin zurück. Sein Vater hatte ihn nach dem Reichstagsbrand nach England in Sicherheit gebracht. In London wurde er später bei Scotland Yard ausgebildet, nun ging er zur Mordkommission nach Berlin zurück. In der neu gegründeten West-Berliner Polizei traut man ihm nicht so richtig über den Weg, auch weil sein Vater, ein ehemaliger kommunistischer Widerstandskämpfer, mittlerweile bei der Ost-Berliner Polizei Karriere gemacht hatte. Der „Kalte Krieg“ und das was zuvor im „Dritten Reich“ geschah, lassen diesbezüglich interessante Konstellationen zu. Der Mord an einen bekannten Schieberkönig wird zu seinem ersten Fall. Steins Vorgesetzter versucht mit allen Mitteln, die in der Vergangenheit liegenden Hintergründe, die mit der Geschichte der heutigen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin-Reinickendorf verbunden sind, zu vertuschen. Das motiviert Stein jedoch umso mehr den Fall zu lösen. Seine ehrgeizige und vorlaute Schreibkraft, die Kriminalbeamtin werden will, hilft ihm dabei – was schon frappierend an „Babylon Berlin“ erinnert. Nicht der einzige Anklang, aber lobenswerterweise auch ähnlich spannend. Um den Hintergrund dieses Krimis mit zeitgeschichtlichem Hintergrund besser einordnen zu können, empfiehlt es sich, ein historisches Sachbuch wie dieses hier zu lesen, in dem die Hintergründe für die Spaltung der Berliner Polizei beschrieben und analysiert werden und in dem unter anderem steht: „Die Spaltung der Polizei war durch die Suspendierung des Polizeipräsidenten Paul Markgraf Ende Juli 1948 eingeleitet worden. Markgraf wurde (…) wegen „unsozialer, undemokratischer und undeutscher Haltung“ sowie „fortgesetzter verfassungswidriger und ungesetzlicher Maßnahmen“ suspendiert. (…) Die Entlassung wurde durch die, wohl auch hinter der Suspendierung stehenden, westlichen Alliierten genehmigt und Dr. Johannes Stumm wurde zum kommissarischen Polizeipräsidenten ernannt.“ Dagegen wehrte sich der sowjetische Stadtkommandant und befahl, Stumm „wegen spalterischer“ Tätigkeit aus dem Polizeidienst zu entlassen. Der Befehl blieb, da die Sowjets zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Kommandantur ausgetreten waren, ohne Folgen. Da sich Markgraf weigerte, sowohl sein Amt zu übergeben als auch die im sowjetischen Sektor gelegenen Diensträume freizugeben, verlegte Stumm das Dienstgebäude der Polizei in den US-Sektor und forderte die Polizeiangehörigen auf, dort ihren Dienst fortzusetzen. Mit diesem Schritt war nun die Polizei gespalten. Ein Durcheinander mit gegenseitigen Verhaftungen und Kompetenzstreitigkeiten war die Folge. „Fortan wurde die Ostpolizei – westlicherseits – nur noch „Markgrafpolizei“ und die Westpolizei – östlicherseits – nur noch als „Stummpolizei“ tituliert. (…) Die Verbrechensverfolgung wurde dadurch natürlich sehr erschwert. Banden nutzten die Sektorengrenzen, begingen auf der einen Seite ein Verbrechen und flüchteten anschließenden in den anderen Sektor, wohin die jeweilige Polizei nicht folgen durfte. (…) Wenn es die Verbrechensaufklärung erforderte mussten sich die Kriminalkommissare wie Parlamentäre im Niemandsland an den Sektorengrenzen treffen, um ihr Wissen auszutauschen. Logischerweise behinderte und verzögerte auch das die Polizeiarbeit.“ Sowohl der Krimi als auch die Sachbücher ausgesprochen lesenswert! Liv Amber, Alexander Berg, Pandora: Auf den Trümmern von Berlin, Broschiert 448 Seiten, Droemer HC, München 2020, 14,99 € Ernst Reuß, Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern: Justizalltag im Nachkriegsberlin, erma Berlin 2017, 19,89 € bzw. als e-book 9,99 € Forschungsgruppe Geschichte d. Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik (Herausgeber). Totgeschwiegen 1933-1945. Die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik im Nationalsozialismus: Zur Funktion der Psychiatrie im Dienst nationalsozialistischer Gesundheitspolitik (Reihe Deutsche Vergangenheit), Broschiert. Berlin 1988
Bücher über Donald Trump gibt es genug. Das auf Gesprächen mit mehr als 200 Quellen basierende, überaus detaillierte Buch von Philip Rucker und Carol Leonnig von der „Washington Post“, enthält daher auch nichts wesentlich Neues. Es wirft einen weiteren internen Blick auf die fragwürdige Amtszeit eines narzisstischen Präsidenten, der sich mitunter anscheinend wie ein bockiges Kleinkind verhält.
Die Übersetzung des Buches ist nun beim Fischerverlag erschienen. Es heißt „Trump gegen die Demokratie“. Der Originaltitel ist in der deutschen Fassung als Untertitel erhalten geblieben und lautet: „A Very Stable Genius.“ Trumps Berater im Weißen Haus führen einen verzweifelt Kampf, um die Dinge in geordneten Bahnen zu lenken. Beispielsweise waren seine Berater aufgrund Trumps mangelnden Geschichts- und Geographiekenntnisse beunruhigt. Sie versuchten, ihm diesbezüglich während einer Besprechung dosiert und koordiniert Grundkenntnisse beizubringen. Diese mussten in mundgerechten Stücken serviert werden, weil die Aufmerksamkeitsspanne des Präsidenten nur kurz ist. Außen- und Verteidigungsminister scheiterten dabei jedoch kläglich an seinen Wutausbrüchen. „Ihr seid alle Verlierer“, brüllte er genervt ob der Ausführungen. „Ihr seid nichts als ein Haufen Weicheier und Babys.“ Außenminister Tillerson sagte später Trump sei einen „fucking moron“, also einen „verdammten Vollidiot“. Von den damaligen Beratern arbeitet heute keiner mehr für Trump. Trump forderte, die Stationierung und den Einsatz von US-Soldaten anderen Staaten quasi als Söldner in Rechnung zu stellen, was im Militär für helles Entsetzen sorgte. Seine besonderen Beziehungen zu Wladimir Putin und Kim Jong-il führten zu größeren Irritationen, die im Vorwurf des Landesverrats gipfelten. Seine Berater standen oft sprachlos daneben, wenn sie seine Statements oder Twitter-Botschaften vernahmen und versuchten, danach den dadurch entstandenen Schaden wieder zu korrigieren, Quellen, die für ihn gelogen haben, bezeichnen Trump inzwischen als notorischen Lügner. Der Präsident scheint dabei eine gänzlich andere Wahrnehmung zu haben und glaubt meist was er sagt, auch wenn er kurz danach das Gegenteil behauptet. Ein interessant und umfassend geschriebenes Buch, das man jedoch nicht unbedingt schmökern muss, wenn man ähnliche Bücher bereits gelesen hat. Während man anfangs sich noch verwundert die Augen reibt, wiederholt sich immer wieder dasselbe Muster, nur mit unterschiedlichen Beratern und Schmeichlern, Ernst Reuß Philip Rucker und Carol Leonnig: "Trump gegen die Demokratie - 'A Very Stable Genius'. Aus dem Amerikanischen von Martin Bayer, Karlheinz Dürr, Hans-Peter Remmler, Werner Roller, Karin Schüler, Violeta Topalova. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2020, 560 Seiten, 22 €
„Mit der Eroberung Berlins durch die Rote Armee kehrte der Zweite Weltkrieg zu seinem Ursprung zurück“.
So beginnt das Buch „Absturz zur Wirklichkeit, Die Eroberung Berlins 1945“. Der Historiker Christoph Schmidt, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität zu Köln, befasst sich darin jedoch nicht nur mit der Befreiung Berlins 1945, sondern hat eine fulminante Zusammenfassung und Interpretation von Zeitzeugenberichten und wissenschaftlichen Auseinandersetzung aus vielen Ländern (nicht nur) zu diesem Zeitabschnitt der Berliner Geschichte zustande gebracht. Insbesondere was die Befreiung Berlins betrifft, analysiert er äußerst kundig die unterschiedlichen Quellen und erstellt anhand von Zeitzeugenberichten ein Psychogramm des Berliner Zeitgenossen. Der sowjetische Aufmarsch entlang der Oder erstreckte sich über mehr als 300 Kilometer, weshalb die Bezeichnung „Schlacht um Berlin“ dem Geschehen nicht gerecht werden würde, so der Autor. Während die Leningrader Blockade 872, die Schlacht um Stalingrad 164 und der Warschauer Aufstand 63 Tage dauerte, gelang die Einnahme Berlins in nur neun Tagen. Schmidt schreibt: „Neun Tage Straßenschlacht - und das ‚Tausendjährige Reich‘ war passe. Einerseits nur neun Tage, andererseits fielen im Kampf um Berlin etwa 80 000 sowjetische Soldaten, vier Mal mehr als deutsche. Schmidt merkt an: „Keine andere Stadt hatten die Nazis so bedingungslos verteidigt, keine andere Stadt übte auf ihre Bewohner besonders in den bürgerlichen Vierteln einen solchen Druck aus, für keine andere Stadt des Auslands hätte die Rote Armee so viele Soldaten geopfert.“ Quellen und Sekundärliteratur zu dieser neuntägigen Schlacht sind zwar zahlreich, aber mit erheblichen Dunkelzonen versehen, die der Autor zu erhellen vermag. Er präsentiert sachliche, nachvollziehbare Analysen im historischen Kontext – von Vergewaltigungen, über den Uhrenklau der Rotarmisten bis zur Denunziationsfreudigkeit der Bewohner Berlins, wo nur wenige Juden den Krieg in ihrem Versteck überleben konnten. Auf den Leichen der Verstorbenen, begann das Leben neu. Zitiert wird Fritz J. Raddatz, der die Zeit nach der Befreiung wie folgt beschreibt: „Am prächtigsten gedieh mein Gemüse - Salat, Kohlrabi, Radieschen, Dill - über einem Grab.“ Leichen waren damals nichts Ungewohntes, „sie lagen im Mai 1945 in Parkanlagen, am Straßenrand, oft so ausgeplündert, dass nicht zu erkennen war, ob erschossener Soldat oder umgebrachter Zivilist. Geschändete Frauen mit aufgerissenen Mündern, die Goldzähne von Fledderern herausgebrochen. Manche halb verkohlt in den Trümmern verbrannter Häuser. Es war nicht Flieder, noch waren es Hyazinthen, nach denen in diesem Frühjahr die Luft süßlich schmeckte.“ Ernst Reuß Christoph Schmidt, Absturz zur Wirklichkeit, Die Eroberung Berlins 1945, Reihe ZeitgeschichteN, Band 21, Metropol Verlag, Berlin 2020, 212 Seiten, € 19.00 |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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