Tyrannen haben wieder Konjunktur und bedrohen gerade den allzu schönen Traum vom unaufhaltsamen Siegeszug der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Recep Tayyip Erdoğan, Donald Trump und Wladimir Putin spielen daher im Buch „Tyrannen“ selbstverständlich auch eine Rolle. Renommierte Historikerinnen und Historiker gehen in zwanzig Portraits der Frage nach, welche Wesenszüge Tyrannen haben müssen um als solche auch bezeichnet zu werden.
Man beginnt mit „Caligula“, dem Inbegriff des „Tyrannen“, dem vieles aus politischen Gründen aber erst nach seiner Ermordung untergeschoben wurde, geht zu „Ibrahim den Wahnsinnigen“ über, der geistig beschränkt und sexsüchtig gewesen sein soll und sich daher eher sexuell als geistig verausgabte. Es endet bei Wladimir Putin und das bereits vor seinem Angriff auf die Ukraine. Friedrich Wilhelm I. soll ein gewalttätiger Tyrann gewesen sein und wird in der deutschen Geschichtsschreibung trotzdem positiv besetzt. Wahrscheinlich dank seines Sohnes. Ausgewählt wurden auch Nero, Heinrich IV, Richard III., Leopold II, Napoleon Bonaparte, Ivan „der Schreckliche“ und Peter „der Große“. Dabei kommen die Wissenschaftler durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen. Nicht alle gelten als Tyrannen. Wer Tyrann ist und wer nicht hat aber auch stets mit der sich wandelnden Vorstellungen von Unrecht und der politischen Deutungshoheit zu tun. Willkürliche Gewaltherrschaft spielt dabei aber immer eine Rolle. Aus der neueren Zeit werden auch Francisco Franco, Augusto Pinochet, Idi Amin, Bashar al-Assad, Robert Mugabe, Kim Il Sung und Kim Jong Un beschrieben. Neben Mao Zedong, auch seine Frau Jiang Qing, die neben Katharina von Medici, die einzige Frau im Reigen der Auserwählten ist. Ernst Reuß Andre Krischer (Hg.), Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Tyrannen. Eine Geschichte von Caligula bis Putin, C.H. Beck Verlag, München 2022, 352 Seiten, 29,95 €
Der 1977 in Moskau geborene Arkadi Babtschenko, der als russischer Soldat gleich an zwei Tschetschenienkriegen teilgenommen hat, gehört zu den deutlichsten Kritikern des Putin-Regimes der letzten Jahre. Seine Erfahrungen im Krieg beschrieb er im Buch „Die Farbe des Krieges“.
Später war er unter anderem im Kaukasus-Krieg als Kriegskorrespondent unterwegs und musste nach Morddrohungen aus seinem eigenen Land fliehen. Er sagt, dass das Geld für den Killer, der auf ihn angesetzt wurde, zwar bezahlt, die Arbeit aber noch nicht erledigt sei, weswegen er immer mit einem Mordanschlag rechnen muss - wie Salman Rushdie. In seinem neuen Buch „Im Rausch: Russlands Krieg“ beschreibt er in kurzen Texten immer verzweifelter und wütender seinen Gemütszustand und den Zustand seines Landes unter Diktator Putin. Für jeden Putinversteher sollte es Pflichtlektüre sein. Es ist eine Art Tagebuch und beginnt 2012. Im ersten Teil enthält es längere Blog-Einträge und Facebook-Kommentare. Es endet mit einem zweiten Teil, der am 23. Februar 2022 um Mitternacht beginnt und bis zum Mai desselben Jahres geht. Der zweite Teil ist ein beinahe atemloser Furor, in dem er seinen Hass auf seine ehemalige Heimat und ihre Verbrechen mit kurzen Sätzen herausbrüllt. Er kommentiert das Kriegsgeschehen, mitunter mehrmals am Tag. Er kennt als ehemaliger Soldat die russische Armee genau und hat als russischer Staatsbürger den Wandel zur Dikatur am eigenen Leibe gespürt. Er schreibt: „Russlands furchtbarste Waffe ist die Glotze, die die Menschen in Zombies verwandelt.“ Seine Mutter betrachtet ihn genau deswegen inzwischen als einen Verräter und glaubt dem russischen TV Narrativ, dass in der Ukraine die Faschisten sind, die ihre Heimat bedrohen. Wie auf ukrainischen Facebookposts üblich, bezeichnet Babtschenko Russland als „Mordor“ und seine Soldaten als „Orks“. Er fühlt sich seit seiner Flucht dorthin nicht mehr als Russe, sondern als Ukrainer. Er schreibt am 10. Januar 2022: „Und ich will, dass Mordor nicht existiert. Genauso wie die vierzig Millionen Menschen in dem Land, das einmal am engsten mit euch liiert war. Noch vor zehn Jahren fast vollständig integriert. Und auch die neun Millionen in dem heute am engsten mit euch integrierten Land, sie werden allmählich wach. Und werden euch ebenfalls hassen. So wie Millionen und Abermillionen Menschen vom Baltikum bis nach Kasachstan. So wie die vierzig Millionen Polen, die auch einmal von eurem Imperium erobert wurden. Heute jagt dort ein Wlassow den anderen. Wie die neun Millionen Tschechen. Die fünf Millionen Finnen. Ihr habt‘s drauf, das muss man euch lassen. Alles, was ihr wirklich perfekt könnt, ist: eure Nachbarn zu Feinden zu machen.“ Der jetzige Krieg scheint für Putin verloren zu sein, aber Babtschenko befürchtet, dass der ganz große Krieg noch bevorsteht - in einigen Jahren. Das Problem sei nicht nur Putin, sondern auch das, was nachher kommt. Europa müsse endlich verstehen, dass sich an seiner Ostgrenze ein faschistischer Staat gebildet hat. Keine erfreuliche Prognose, aber ein beeindruckendes Buch! Ernst Reuß Arkadi Babtschenko, Im Rausch: Russlands Krieg, übersetzt von Olaf Kühl, Rowohlt Berlin 2022, 320 Seiten, 22 €
Der preisgekrönte Sachbuchautor Harald Jähner beschreibt in seinem neuen, wunderbar illustrierten Buch die Zeit zwischen den Kriegen von 1918 bis zu Hitlers Machtübernahme, also Aufstieg und Niedergang der Weimarer Republik.
Es geht um Revolution, Inflation, Wirtschaftsaufschwung, sexuelle Befreiung und um die „Goldenen Zwanziger“. Es geht um das Bauhaus, um Emanzipation, um Schmeling und den „Bubikopf“, um Billy Wilder als Eintänzer im Eden Hotel, Babylon Berlin mit Moka Efti und Haus Vaterland sowie sonstige Episoden aus der Zwischenzeit. Es geht um Stummfilm versus Tonfilm und um Marlene Dietrich versus Leni Riefenstahl, es geht um Josephine Baker und um die schillernd queere Community, die damals schon den Unmut von konservativen Bevölkerungsteilen hervorrief. Das Buch beginnt aber mit dem erfolglosen Kapp Putsch. Jähner berichtet: „Die Mehrheit der Deutschen zeigte Wolfgang Kapp jedoch, dass er nicht die geringste Gefolgschaft zu erwarten hatte. Der größte Generalstreik der deutschen Geschichte ließ das öffentliche Leben vollständig erlahmen. Nichts funktionierte mehr. Keine Post wurde ausgeliefert, der Strom blieb aus, das Telefon streikte, die Warenhäuser blieben zu. Nach fünf Tagen gaben Kapp und Lüttwitz auf - wie Reiter eines Pferdes, das sich einfach in den Morast legt, statt weiterzutraben. Verbittert zog die Brigade Erhardt wieder aus Berlin ab, nicht ohne am Brandenburger Tor noch auf die schaulustige Menge zu schießen, die sich mit höhnischen Rufen von ihr verabschiedeten. Zwölf Menschen starben, dreißig wurden verletzt.“ Das Buch endet mit Hitlers Machtübernahme, bei der vom Widerstand des Volkes nichts mehr zu spüren war. Ganz im Gegenteil. Populisten von links und von rechts hatten zuvor die Demokratie sturmreif geschossen, die sich zuvor auch nicht als sonderlich wehrhaft erwies. Es gab viele politische Anschläge und Morde, die Justiz war auf dem rechten Auge weitgehend blind. Jähner erinnert an eher unbekannte Opfer rechter Militärs wie Hans Paasche über den der Diplomat und Publizist Harry Graf Kessler 1920 in sein Tagebuch schrieb: „Man erfährt, daß in den Pfingsttagen der Pazifist Paasche von Reichswehrsoldaten auf seinem Gute ermordet worden ist. Natürlich ›auf der Flucht‹ (…) Die Sicherheit für politisch Mißliebige ist gegenwärtig in Deutschland geringer als in den verrufensten südamerikanischen Republiken oder im Rom der Borgia.“ Wenn Rechte und Linke sich mit Kulturpessimismus und Elitenbashing hetzend annähern fühlt man sich manchmal in die Jetztzeit versetzt, was sicherlich vom Autoren beabsichtigt ist. Die Gesellschaft wurde dadurch gespalten. Das behauptet man auch heute. „Alles schon mal dagewesen“ könnte man meinen, wenn man das Buch liest und kann nur hoffen, dass es in der Jetztzeit nicht genauso endet. Jähner drückt es folgendermaßen aus: „Das Vertrauen in die junge Republik, die nun schon die zweite heftige Wirtschaftskrise durchlebte, schwand von Monat zu Monat. Wie sollte man den wachsenden Unruhen begegnen? Ratlos sah man die Ängste und Hysterien, Hass und Gewaltlust wachsen.“ „Höhenrausch“ heißt das Buch, welches er dem Buch „Wolfzeit“ folgen lässt, in dem er das erste Nachkriegsjahrzehnt ab 1945 beschrieben hat. Flott und vergnüglich geschrieben. Sehr lesenswert! Ernst Reuß Harald Jähner, „Höhenrausch“. Das kurze Leben zwischen den Kriegen. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2022. 560 S., 50 Abb., geb., 28 €. |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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