Sara Bergers Dissertation „Experten der Vernichtung“, die für diese Veröffentlichung gestrafft wurde, behandelt das sogenannte „T4-Reinhardt-Netzwerk“, welches in den polnischen Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka wütete.
„T4“ deswegen, weil die systematische Ermordung von Menschen mit Behinderungen während des Zweiten Weltkriegs als „Aktion T4“ bezeichnet wird. Die Morde wurden von der „Zentraldienststelle T4“ in der Berliner Tiergartenstraße 4 zentral organisiert. Nachdem es zu Protesten in der Bevölkerung kam, wurden einige „Euthanasieanstalten“ geschlossen und ungefähr 120 freiwerdende, morderfahrene Mitarbeiter in den drei Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka eingesetzt. „Aktion Reinhardt“ war wiederum der Tarnname für die systematische Ermordung von polnischen und ukrainischen Juden und Roma in den abgeschieden an Eisenbahnlinien liegenden Lagern an der östlichen Grenze des Generalgouvernements. Heinrich Himmler hatte dies im Juli 1942 angeordnet, weil die mit dem Überfall auf die Sowjetunion stattfindenden Massenerschießungen durch Einsatzgruppen nicht „effektiv“ genug waren. In den Lagern spielten sich unglaubliche Verbrechen ab. Berger berichtet über die chaotischen Umstände im Lager Treblinka wie folgt: „Im unteren Lager lagen, beginnend bei der Rampe, überall Leichen, Gepäckstücke, Geld und Müll herum. Selbst der Bahnhof und die Bahnstrecke vom Bahnhof Treblinka bis in das Lager waren mit Leichen übersät, weil verzweifelte Menschen versucht hatten, aus dem Zug zu fliehen und dabei von Wachmännern erschossen worden waren. Der Sortierplatz, das Kleidungsmagazin und die Baracke, (…) waren voller Kleidungsstücke, da keine Zeit geblieben war, den Abtransport der Kleidung und der Wertgegenstände zu veranlassen. Inmitten des Chaos befanden sich noch lebende Menschen, die auf ihre Tötung warteten.“ Sara Berger berichtet aber nicht nur über diese Ereignisse, sondern stellt die Täter, die nicht nur systematisch mordeten, sondern auch aus rein sadistischer Willkür quälten und misshandelten, in den Mittelpunkt ihrer hervorragenden Analyse. Nach dem was sie bei der von der Zentraldienststelle T4 organisierten „Euthanasie“ gelernt hatten, entwickelten sie sich zu wahren „Experten der Vernichtung“ und organisierten so effizient als möglich die Lager und die Gaskammern. Juden waren - wie zuvor die Behinderten - für sie schlicht nicht lebenswert. Einer der Täter sollte später vor Gericht aussagen: „Ein Jude in Treblinka, war nicht mehr wert als eine Fliege.“ Jedes vierte Opfer des Holocaust kam im Rahmen der bis zum Oktober 1943 dauernden „Aktion Reinhardt“ ums Leben. Unterstützt wurden die deutschen und österreichischen Täter dabei von ausländischen Hilfskräften, meist aus der Ukraine, den sogenannten „Trawniki Männern“, die in einem Zwangsarbeiterlager gleichen Namens ausgebildet worden waren. Das größte organisatorische Problem war anfänglich die Beseitigung der Leichen. Berger beschreibt die grausamen Zustände im Lager Belzec folgendermaßen: „Zwischen die Leichen gab man Chlorkalk als Desinfektionsmittel und gegen den Geruch. Die mit Leichen gefüllten Massengräber wurden mit einer Schicht flüssigen Kalks und sandiger Erde zugedeckt. Wie in der Aufbauphase hoben nach einiger Zeit Verwesungsgase die Erdschicht an, einige Inge später fielen die Gräber durch die gärenden Leichen wieder in sich zusammen und dickes schwarzes Blut und übel riechende Flüssigkeiten quollen heraus. Aufgrund des Zeitmangels und der pausenlosen Transporte hatte die Lagermannschaft noch keine Lösung für dieses Problem gefunden. Um den unangenehmen Folgen der Verwesung entgegenzutreten, zündeten die Männer die zuoberst liegende Leichenschicht mit Benzin oder anderen brennbaren Flüssigkeiten an, auch wenn diese durch die ungenügende Sauerstoff-zufuhr nur unvollständig verbrannte. Erst Ende 1942, zum Ende der Transporte, sollte die systematische Verbrennung der Leichen eingeleitet werden.“ Nachdem die „Aktion Reinhardt“ in den Vernichtungslagern Belzec, Treblinka und Sobibor beendet war, wurden die Anlagen abgerissen, Leichen verbrannt, der Boden umgepflügt und die Gelände in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt. Erst jetzt wurde Auschwitz zum Zentrum der „Endlösung“. In der strafrechtlichen Aufarbeitung in der Nachkriegszeit gerierte sich die „Experten der Vernichtung“, die inzwischen zumeist ihre bürgerliche Existenz fortgesetzt hatten, als kleine Befehlsempfänger, die nun unschuldig verfolgt werden. Sie fanden mit ihrer Sicht der Dinge viel Verständnis in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Für die sogenannten „Nestbeschmutzer“, die die Taten aufklären wollten, gab es dagegen weniger freundliche Resonanz. Berger analysiert die Sozial- und Milieustrukturen dieser Täter und stellt sie in Kurzbiografien vor. Eine Liste der Deportationen in die drei Lager beschließt die ausgezeichnete Studie. Ernst Reuß Sara Berger, Experten der Vernichtung, Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka, 622 Seiten, Mit 23 Abbildungen, ISBN 978-3-86854-268-4, € 28,00, Erschienen Oktober 2013 Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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