Der Prozess gegen Adolf Eichmann, der mitverantwortlich für die „Endlösung der Judenfrage“ in Europa war, fand 1961 in Jerusalem statt. Unter den Prozessbeobachter/innen war auch Hannah Arendt. 1906 im heutigen Hannover geboren, studierte sie später Philosophie, unter anderem bei Martin Heidegger, und promovierte bei Karl Jaspers. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde sie 1933 zunächst von der Gestapo verhaftet, kann später aber nach Paris und in die USA fliehen, wo sie 1951 Professorin wird.
Der Eichmann-Prozess vor dem Jerusalemer Bezirksgericht dauerte vom 11. April 1961 bis 15. Dezember desselben Jahres. Eichmann beharrte vom Beginn des Prozesses bis zum Schluss und auch noch in seinem späteren Gnadengesuch darauf, dass er im juristischen Sinne unschuldig sei, und berief sich auf einen vermeintlichen Befehlsnotstand. Das Todesurteil, Hängen, wurde am 1. Juni 1962 kurz nach Mitternacht vollstreckt. Ihr Prozessbericht - zunächst in englisch im „New Yorker“ als fünfteilige Serie veröffentlicht - wurde 1964 als Buch auch in Deutschland publiziert, obwohl dort eine Veröffentlichung versucht wurde zu verhindern. Das Buch „Eichmann in Jerusalem“ mit dem Untertitel „Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ stieß bei seinem Erscheinen auf heftige Ablehnung in Deutschland, aber auch in Israel und in den USA - und wurde vielleicht genau deswegen zu einem Klassiker, der immer noch als Teil der Zeitgeschichte lohnenswert zu lesen ist. In Israel und in den USA warf man ihr unter anderen Täter-Opfer Umkehr vor, da sie die Rolle der Judenräte bei der Selektierung thematisierte. Auch für ihren Begriff von der „Banalität des Bösen“ wurde Arendt überall heftig kritisiert und angefeindet. Man warf ihr vor auf die Selbstdarstellung Eichmanns reingefallen zu sein, denn in ihrer Analyse des Prozesses vertrat sie die Ansicht, dass Eichmann eine deutlich kleinere Rolle bei der „Endlösung der Judenfrage“ gespielt habe, als die Anklage ihm unterstellte. Sie habe völlig verkannt, dass Eichmanns Aussagen ein Lügengewebe gewesen war, um seine eigene bedeutende Rolle in der Judenvernichtung systematisch zu verschleiern, meinten viele Kritiker. Ihre teilweise ironisch - sarkastische Ausdrucksweise stieß ebenfalls auf Ablehnung. Aber auch das ist möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass Arendt unabhängig war und es niemanden recht machen musste. Schon damit eckte sie bei vielen Institutionen an. Wie und was sie geschrieben hat lohnt sich jedoch noch immer zu lesen. Eine ausgesprochen gelungene Neuauflage, auch hinsichtlich der fast 100-seitigen wissenschaftlichen Einordnung der massenhaften Sekundärliteratur und der Kritik am Buch. Im Piper Verlag erschien eine ganze Reihe von neu aufgelegten Büchern von Hannah Arendt. Empfehlung! Ernst Reuß Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, Ein Bericht von der Banalität des Bösen, herausgegeben von Thomas Meyer, übersetzt von Brigitte Granzow, Nachwort von Helmut König, Piper Verlag, München 2022, 560 Seiten, 16,00 €
Am 12. November 2016 wurde eine Straße in Berlin-Pankow nach Marie Grünberg benannt werden.
Als Marie Albrecht 1903 in der Neumark (heute Polen) geboren und später in Berlin wohnend, rettete sie während der Nazizeit Menschen das Leben, indem sie ihnen unter gefährlichen Umständen Unterschlupf in ihrer Gartenlaube gewährte. Marie war evangelisch und heiratete 1930 den ein Jahr älteren jüdischen Seifenhändler Kurt Grünberg. Sie tat das gegen den Widerstand ihrer Familie. Unter den Nazis galt das später als eine sogenannte „Mischehe“. Maries Mann musste den gelben Stern tragen, sein Geschäft wurde arisiert und er musste sich verpflichten auszuwandern, was aber nicht gelang. Er wurde mehrfach festgenommen und misshandelt, aber seine Ehe mit der Christin Marie rettete ihn letztendlich vor der Deportation. Marie und Kurt Grünberg hatten unter schwierigsten Bedingungen und unter großen eigenen Gefahren bis Kriegsende vier verfolgte Personen illegal in ihrer Stadtwohnung und in ihrer Blankenburger Laube versteckt. Alle vier überlebten. Die Anfang 1945 geplante Deportation aller „Mischlinge“ und in „Mischehe“ Lebenden nach Theresienstadt scheiterte am Vormarsch der Alliierten. Kurt Grünberg war jedoch zuvor bereits ins KZ Sachsenhausen gekommen und überlebte gesundheitlich schwer angeschlagen. Marie musste versuchen für ihre Schützlinge genug Lebensmittel aufzutreiben, ohne dabei aufzufallen. Das war sehr mutig und äußerst risikobehaftet. Für ihre Menschlichkeit wurde Marie Grünberg von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem bereits 1984 als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Während ihr kranker Mann 1967 gestorben war, überlebte sie die Yad Vashem Ehrung noch um zwei Jahre. Sie wohnte bis zum Schluss im Berliner Ortsteil Blankenburg. Inzwischen ist dort die Straße Nr. 46 in der Nähe des damaligen Verstecks, in „Marie-Grünberg-Straße“ umbenannt. Eine kleine, aber verdiente Ehrung für eine einfache Frau mit großer Zivilcourage. Ernst Reuß
Krimis gehen immer. Zwei interessante Krimis sind kürzlich erschienen.
Der erste - ein historischer Krimi - handelt vom Fall des Kriminalassistenten der Mordkommission Karl Raben und soll der erste Teil einer historischen Krimireihe aus Berlin werden. Seit dem riesigen Erfolg von „Babylon Berlin“ boomen derartige Krimis und orientieren sich an ihrem Vorbild. So auch hier in „Tanz mit dem Tod“, in dem eine vorlaute Redaktionsassistentin eine der beiden Protagonisten ist, die Karl Raben später ehelicht. Sie erinnert stark an Charlotte Ritter aus „Babylon Berlin“. Es geht um die letzten Tage und Wochen der Weimarer Republik und um die endgültige Machtübernahme durch die Nazis. Während die Polizei schon längst von Nazis unterwandert sind, möchte Karl Raben auch Verbrechen von Nazis aufklären. Als eine angestiftete SA-Truppe den Redakteur der „Roten Fahne“ vor aller Augen in einer Kneipe erschießt und danach die Zeugen eliminiert, erkennt Raben, dass nicht alle seiner Kollegen ernsthaft an der Aufklärung des Mordes interessiert sind. Raben gelingt das dennoch, was allerdings ein Pyrrhussieg für ihn ist, denn nach Hitlers Machtübernahme wird der Mörder als nationaler Held freigelassen. Großen Gefallen hat Christian v. Ditfurth offensichtlich an witzige Dialoge der beiden Protagonisten, was mitunter - genauso wie ihre Liebesgeschichte - sehr konstruiert wirkt. Eine Vielzahl an Nebendarstellern aus den Reihen der Polizei, aus Nazigrößen und führenden Kommunisten, schaffen dennoch ein glaubhaftes historische Bild. Unter den Figuren, die im Krimi eine Rolle spielen sind unter anderem Kriminalrat Gennat, Reichskriminaldirektor Nebe, Thälmann, Kippenberger, Goebbels und Heydrich, an den Raben nach der Machtübernahme seine Seele verkaufen muss und Mitglied der SS wird. Ein Krimi, auch für an unsere jüngere Geschichte interessierte Menschen. Näheres zu den Hintergründen der Figuren - soweit einem die Namen nichts sagen - kann man googeln. Der andere Krimi spielt in der nahen Zukunft, kurz vor der Bundestagswahl, die erstmals elektronisch stattfinden soll und in der der Führer einer rechtsradikalen Partei mit Manipulation und Mord die Macht ergreifen will. Es ist einen über Leichen gehenden thüringer Politiker, dessen Vorbild unschwer zu erkennen ist und es geht um drei Morde, deren Zusammenhang zuerst Johanna Böhm erkennt, eine frisch gebackene Studentin an der Polizeiakademie. Sie kennt die Opfer aus ihrer Vergangenheit, vor der sie vor 13 Jahren geflohen ist. Jetzt muss sie gegen ihre eigene Familie und deren dunkle Abgründe ermitteln. Auch dieses Buch soll der Start einer neuen Thriller - Reihe werden. Sehr fesselnd und rasant erzählt. Empfehlung! Zwei Krimis also: Vergangenheit und Zukunft. Beide sollten auch eine Mahnung sein was unserer Demokratie noch alles blühen kann. Ernst Reuß Christian v. Ditfurth, Tanz mit dem Tod. Der erste Fall für Karl Raben: Kriminalroman. Der Auftakt der neuen Krimireihe im historischen Berlin. C.Bertelsmann Verlag, München 2022, 496 Seiten, 22 € Leon Sachs, „Der Zirkel“, Penguin Verlag, München 2022, 464 Seiten, 16 € |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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