Ein amüsantes Buch über Hermann Görings Bruder und die grauenhaften Verbrechen der Nazis. Gibt es das?
Ja, dem Australier William Hastings Burke ist dies durchaus gelungen. „Hermanns Bruder. Wer war Albert Göring“, heißt das ins Deutsche übersetzte Werk. Mit einem Around the World Ticket reiste der junge Autor direkt nach seinem Studienabschluss durch die Welt, um die Geschichte von Albert, dem jüngeren Bruder des berühmt berüchtigten Hermann Göring, zu ergründen, die er kurz zuvor in einem TV-Bericht aufgeschnappt hatte. Albert Göring, der Bruder des Massenmörders Hermann, soll ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis gewesen sein und vielen Juden das Leben gerettet haben, das zumindest hatte Burke so gehört und war sehr erstaunt. Er besuchte deshalb innerhalb von drei Jahren Alberts Wirkungsstätten und interviewte dabei viele Zeitzeugen, die etwas zu Albert Göring sagen konnten. Heraus kam ein sehr spannendes Stück Zeitgeschichte, in der nicht nur die Welt der Göringbrüder interessant beschrieben wird. War Albert Göring wirklich ein Widerstandskämpfer? Eigentlich kaum zu glauben. So war es auch nicht verwunderlich, dass dieses Kuriosum auch nach dem Zweiten Weltkrieg auf Skepsis stieß. Niemand wollte Albert Göring glauben. Die Brüder trafen sich so zum letzten Mal in Augsburg, wo beide interniert und von den Amerikanern verhört wurden. Der US-Ermittler protokollierte: „Das Ergebnis der Vernehmung von Albert Göring (…) ist einer der plattesten Versuche der Reinwaschung und Ehrenrettung, die das Seventh Army Interrogation Center je erlebt hat. Alberts Mangel an Raffinesse lässt sich allenfalls noch mit der Körpermasse seines fettleibigen Bruders vergleichen.“ Doch hier irrte der Protokollant. Albert hatte tatsächlich vielen Menschen das Leben gerettet, war mehrmals per Haftbefehl von der Gestapo eingesperrt worden und wurde dabei auch von seinem Bruder vor dem wahrscheinlichen Ende in Naziverließen gerettet. Die beiden Brüder mochten sich und ließen bis zum Schluss nichts aufeinander kommen, obwohl Hermann seinen Bruder für einen „politischen Idioten“ hielt und Albert wiederum, der nie in eine Partei eintrat, die NSDAP für Deutschlands Unglück hielt und Adolf Hitler als „Mistkerl“ und „GröVaZ (Größten Verbrecher aller Zeiten)“ titulierte. Albert, der sich demonstrativ in Österreich einbürgern ließ als die Nazis die Macht in Deutschland übernahmen, benutzte mitunter Schriftpapier mit dem Göringschen Familienwappen, wobei er bei seiner Unterschrift klugerweise den Vornahmen wegließ, um die Entlassung von jüdischen Häftlingen zu erwirken. Als in Wien Juden gezwungen wurden auf Knien die Straßen zu schrubben, soll sich Göring eine der Bürsten genommen haben um aus Solidarität ebenfalls zu schrubben. Einer alten Frau nahm er das Schild mit der Aufschrift „Ich bin eine Saujüdin“ ab und wurde deswegen festgenommen. Er besorgte Visa und sogar eigene Devisen, damit Juden aus den von den Nazis besetzen Ländern fliehen konnten. Am Ende des Krieges fuhr er mit acht Lastwagen ins KZ Theresienstadt um „Arbeiter“ zu rekrutieren, die er kurz danach frei ließ. Er grüßte nicht mit dem Hitlergruß und hielt auch sonst mit seiner Meinung über die Nazis nicht hinter dem Berg. Seine Eskapaden hatten durchaus schwejksche Züge und waren der Gestapo ein ständiges Ärgernis. Doch sein Nachname bewahrt ihn vor Schlimmerem. Amüsant ist das Buch aber auch schon deswegen, weil Burke plastisch beschreibt wie er zu seinen Interviewpartnern kam, wobei er spöttisch und nicht unbedingt vorurteilsfrei seine Erlebnissen in Deutschland, Österreich und sonst wo in der Welt schildert. Hinter der Theke einer Freiburger Kneipe verdiente er sich das Geld für seine Erkundungsfahrten zu den Schauplätzen Göringschen Wirkens. Trotz allem erzählt das Buch eigentlich eine traurige Geschichte. Der 1895 in Berlin-Friedenau geborene Albert Göring, der nach dem Krieg fast zwei Jahre in Gefängnissen einsaß weil ihm niemand glauben wollte, wurde erst freigelassen als sich eine SS-Akte zu seinen „Machenschaften“ fand. Albert Göring starb verarmt und verbittert 1966 in München. Der Menschenfreund, der einstmals ein großer Frauenliebhaber und Bonvivant gewesen war, wurde für seine Taten nie geehrt. Im Gegenteil, durch seinen Nachnamen hatte er nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder große Schwierigkeiten und in der Bundesrepublik fand der ehemalige Exportleiter der Skoda-Werke aufgrund seines Nachnamens nie mehr einen Job. Eine berührende Geschichte. Ernst Reuß William Hastings Burke. Hermanns Bruder, Übersetzt von Gesine Schröder. Gebunden mit Schutzumschlag, 237 Seiten, Aufbau Verlag, 978-3-351-02747-6, 19,99 €
Seit dem 8. Jahrhundert hatten sich Juden in Deutschland angesiedelt, in Spandau gab es nachweislich ab Beginn des 13. Jahrhunderts Juden. Doch das Zusammenleben mit den Christen war nicht einfach. Für die Pest wurden Juden verantwortlich gemacht und zeitweise auch aus Berlin vertrieben. Es gab immer wieder Pogrome, denn die Andersgläubigen wurden der rituellen Kindstötung, der Hostienschändung und aller möglichen Verbrechen beschuldigt.
Da Christen keine Zinsgeschäfte tätigen konnten, waren die „Hofjuden“ den Herrschern mit Geld- und Kreditgeschäften nützlich und als Kämmerer zu Diensten. Das wurde natürlich argwöhnisch betrachtet, außerdem waren sie der Willkür ihrer Herren ausgesetzt. Es war ein Lavieren zwischen Anpassung und selbstbewusstem Auftreten. Als 1571 der verschwenderische und daher hochverschuldete Brandenburger Kurfürst Joachim II starb, wurde sein Hofjude und Münzmeister Lippold Ben Chluchim - nachdem eine Anklage wegen Unterschlagung gescheitert war - der Zauberei und des Mordes beschuldigt. Lippold wurde gerädert und gevierteilt, sein Kopf auf einer Eisenstange am Alexanderplatz aufgespießt und die anderen Körperteile in der Stadt verteilt. Daraufhin mussten alle Juden Stadt und Land verlassen und durften erst 100 Jahre später wieder zurückkehren. Geduldet wurden zumeist nur die nützlichen, wohlhabenden Juden, die die ihnen aufgebürdeten höheren Steuern auch zahlen konnten. Sie gehörten schon bald zur geistigen und künstlerischen Elite der Stadt und wurden im Zeitalter der Aufklärung wichtige Bestandteile des Berliner Bürgertums. Erst mit den Stein-Hardenberg’sche Reformen jedoch wurden sie 1812 zu weitgehend gleichberechtigen Staatsbürgern. Trotz Emanzipation erlebten sie aber immer wieder antisemitische Anwürfe. Vor 150 Jahren wurde die Synagoge in der Oranienburger Straße errichtet. Ein Zeichen für ein relativ tolerantes Zeitalter. Ein derartig großes Gotteshaus einer anderen Religion zu errichten, würde wohl gerade heutzutage zu heftigen Anfeindungen führen. Nach der russischen Oktoberrevolution zog es viele jüdische Emigranten ins liberale Berlin. Die wohlhabenden Exilanten zog es meist nach Charlottenburg, die vielen verarmten osteuropäischen Juden zog es zumeist ins Scheunenviertel. Sie alle erlebten die „Goldenen Zwanziger“ in Berlin, als die Stadt dank der vielen jüdischen Künstler und Literaten zur Kulturhauptstadt der Welt wurde. Allerdings blieb das nicht lange so. Hitler zerstörte das jüdische Leben nicht nur in Berlin, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg erst wieder ganz langsam und nie gänzlich erholte. Der Autor Volker Wagner erzählt diese Geschichte und schildert das jüdische Leben in Berlin von seinen Anfängen an. Wie immer beim Elsengold Verlag, werden die einzelnen Kapitel schön illustriert. Neben der Darstellung der geschichtlichen Ereignisse, werden immer wieder einflussreiche jüdische Bürger aus der Stadt porträtiert. Es beginnt mit Michael von Derenburg, dem ersten „Hofjuden“ von Kurfürst Joachim II und geht über Moses Mendelssohn, als einem der entscheidenden „Aufklärer“ bis hin zu Rolf Eden, dem selbsternannten Playboy und Diskokönig des Nachkriegsberlins. Ernst Reuß Volker Wagner, Geschichte der Berliner Juden, 168 Seiten, 21 x 28 cm, 120 Abbildungen, Elsengold Berlin 2016, € 29,95
Der am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam beschäftigte Hanno Hochmuth promovierte im Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der FU Berlin zur Stadtgeschichte von Friedrichshain-Kreuzberg. Seine 2016 verteidigte Dissertation zur Geschichte der Berliner Stadtbezirke Friedrichshain und Kreuzberg erschien 2017 im Wallstein Verlag: „Kiezgeschichte: Friedrichshain und Kreuzberg im geteilten Berlin“. Er beschreibt darin die Entwicklung der ehemaligen Arbeiterbezirke Friedrichshain und Kreuzberg, dem früheren Armenhaus Berlins, zum vereinten Szene-Kiez der Stadt.
Interessant dabei insbesondere die Zeit der Teilung. Hochmuths Blick fokussiert sich auf das Wohnen, die Situation der Kirche und die unterschiedlichen Formen des Vergnügens als relevante Aspekte der Entwicklung Berliner Kieze in Ost und West. Hochmuth erzählt von der „Kommune 1 Ost“, vom „Stralauer Fischzug“ bis zum „ND Pressefest“. Eine alternative Veranstaltung zu DDR-Zeiten waren die Friedrichshainer „Bluesmessen“ eines Pfarrer Eppelmann, die genauso argwöhnisch von der Staatsmacht beobachtet wurden, wie manche alternativen Aktivitäten im Westteil der Stadt. Das galt besonders für Kreuzberg, wo beispielsweise das „Chamissoplatzfest“ illustrierte, wie sich Kreuzberg zum Zentrum einer alternativen Kultur entwickelte. Hochmuth erinnert an legendäre Kneipen wie den „Leierkasten“, der vom Künstler-Original Kurt Mühlenhaupt betrieben wurde, an die „Kleine Weltlaterne“ oder auch an die Entstehung des Kneipenkollektivs im Mehringhof. Nebenbei erfährt man manche Details, wie beispielsweise das, dass der Song „Kreuzberger Nächte sind lang“ von den Gebrüdern Blattschuss ursprünglich nicht als bierseliger Schunkelsong, sondern als Parodie auf derartiges geschrieben wurde. Seit dem Mauerfall hat der inzwischen zusammengelegte Stadtbezirk eine stetig wachsende Anziehungskraft, dessen Entwicklung jedoch gerade zurzeit viel Raum für Verdrängungs- bzw. Gentrifizierungsdiskussionen bietet. Inzwischen gehören die Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg zu den attraktivsten Wohnlagen der Stadt und die Häuser, einschließlich der darin wohnenden Menschen, verkommen zum Teil zur reinen Spekulationsmasse der vorwiegend neuen Eigentümer. Ernst Reuß Hanno Hochmuth, Kiezgeschichte , Friedrichshain und Kreuzberg im geteilten Berlin, Reihe: Geschichte der Gegenwart (hg. von Frank Bösch und Martin Sabrow); Bd. 16, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, 392 Seiten, € 29,90
Das Kammergericht Berlin wird in diesem Jahr offiziell 550 Jahre alt. Aus Anlass dieses Jubiläums wurde vom Kammergerichtspräsidenten Bernd Pickel eine von Michael Bienert verfasste und vom Verlag für Berlin-Brandenburg verlegte Würdigung dieses in Justizkreisen hoch anerkannten Gerichtes herausgegeben.
Das erstmals am 17. März 1468 urkundlich erwähnte Kammergericht, welches aber wohl schon einige Zeit zuvor existierte, ist das einzige deutsche Gericht, das auf eine derart lange Tradition zurückblicken kann. In seiner Funktion entspricht das Berliner Kammergericht den Oberlandesgerichten in den anderen Bundesländern. Nur zweimal wurde es für kurze Zeit nicht als Kammergericht bezeichnet, ansonsten behielt es bis heute seinen geschichtsträchtigen Namen - selbst in der vierzigjährigen Geschichte der DDR hielt man an der Bezeichnung „Kammergericht“ fest. Das Gericht ist aus dem durch den brandenburgischen Kurfürsten gegründeten Hof-Kammergericht hervorgegangen und übte in seinen „Kammern“ die oberste Gerichtsgewalt in seinem Herrschaftsbereich aus. Bienert erinnert mit zahlreichen Anekdoten an die lange Geschichte dieses Gerichts. Frühe Fälle, wie der berühmte Fall des Müllers Arnold, ein Rechtsfall aus der Zeit König Friedrichs II. von Preußen, der Prozess gegen Turnvater Jahn, oder die sogenannten „Polenprozesse“ fehlen ebenso wenig wie die Erinnerung an den gewissenhaften Kammer-Richter und Dichter E.T.A. Hoffmann sowie an die Spaltung der Justiz in Zeiten des Kalten Krieges. Die Schilderung von RAF-Prozessen und die Erinnerung an den Mord an Kammergerichtpräsidenten Drenkmann vervollständigen den Bericht über die Nachkriegszeit. Das Kammergericht gilt noch immer als ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit, obwohl es zur Nazizeit für das Gegenteil stand. Der berüchtigte Vorsitzende des im Kammergericht tagenden Volksgerichtshofs, Roland Freisler, verkündete hier etwa 70 Todesurteile. Bienert geht kurz darauf ein. Aber auch das Kammergericht selbst hatte bereits seit 1933 gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Gegner des Naziregimes „Recht“ gesprochen und Menschen wegen Feindbegünstigung, Wehrkraftzersetzung und Landesverrat zum Tode verurteilt. Über die Schreibtischtäter, die sich dem Hitler-Regime ohne den geringsten Widerspruch anpassten und das Schicksal ihrer jüdischen Berufskollegen ohne auch nur eine Andeutung von Protest hinnahmen, ist nur wenig zu lesen. Das und manches mehr kann dieses Buch angesichts der gigantischen Materialfülle aus 550 Jahren Gerichtsgeschichte auch kaum leisten und der Autor hat auch nicht diesen Anspruch. Wer eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg erwartet, muss auf andere Bücher zurückgreifen. Ernst Reuß Michael Bienert, Das Kammergericht in Berlin: Orte – Prozesse – Ereignisse, Verlag für Berlin-Brandenburg 2018, Gebundene Ausgabe, 192 Seiten, 26 Euro |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
|