Als der Fußball nach Deutschland kam, wurde er zumeist als „Fußlümmelei“ abgewertet und abgelehnt. Turnen und der eher militärische Drill waren damals in Deutschland angesagt. Fußball galt als durch und durch „undeutsch“. Man rümpfte die Nase über den proletenhaften Sport aus England. Da in einigen dieser deutschen Turnvereine bereits um die Jahrhundertwende Juden nicht erwünscht gewesen sind, waren aber gerade Fußballvereine für jüdische Mitbürger besonders attraktiv.
Die Bayern aus München, der „Club“ aus Nürnberg oder die Eintracht aus Frankfurt wurden von Juden mitgegründet. Auch an der Entstehung des DFB waren Juden entscheidend beteiligt. Am bedeutsamsten diesbezüglich wurde Walther Bensemann, der ebenfalls jüdischen Glaubens war. Der reisefreudige Mann war an der Gründung zahlreicher Fußballvereine in Süddeutschland beteiligt. Er organisierte die ersten internationalen Begegnungen und hatte sich den Namen Deutscher Fußball-Bund ausgedacht. 1920 gründete er außerdem den „Kicker“. Auch heute noch die „Bibel“ für den deutschen Fußballfan. Nur wenige Wochen nach Hitlers Machtantritt wurden Juden aus den bürgerlichen Vereinen ausgeschlossen. Sie wurden zu Sündenböcken eines gnadenlosen Regimes, dem ein großer Teil der aufgehetzten Bevölkerung willig folgte. Bensemann wurde fortgejagt. Er starb 1934, kurz nach der geglückten Emigration in die Schweiz. Auch dem jüdischen Nationalspieler Gottfried Fuchs, der den bis heute unerreichten Rekord von zehn Toren in einem Spiel der Nationalmannschaft aufgestellt hatte, gelang die Auswanderung nach Kanada. Anders erging es jedoch dem jüdischen Nationalstürmer Julius Hirsch, der 1943 im KZ Auschwitz ermordet wurde. Er galt als einer der besten Stürmer seiner Zeit und war auch Olympia-Teilnehmer. Als erstem Fußballer gelang es ihm, mit zwei Vereinen Deutscher Meister zu werden: 1910 mit dem Karlsruher FV und 1914 mit der SpVgg Fürth. In seinem zweiten Länderspiel gegen die Auswahl der Niederlande schoß er als erster deutscher Nationalspieler vier Tore in einem Spiel. Hirschs Schicksal wurde auch in der Nachkriegszeit noch lange verschwiegen. Erst nach vielen Jahrzehnten begannen unabhängige Sporthistoriker damit, sich seiner Person ausführlicher zu erinnern. Seit 2005 vergibt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den „Julius-Hirsch-Preis“. Dieser wird besonders für Aktivitäten verliehen, die sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen wenden. Bereits zwei Monate nach der Machtübernahme der Nazis unterstrichen einige der teilweise von Juden mitgegründeten Vereine in einer gemeinsamen Erklärung, „insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen“ mit den neuen Machthabern „freudig und entschieden“ zusammenzuarbeiten. Mit dabei waren Kaiserslautern, Eintracht Frankfurt, der „Club“ und Fürth, die Bayern und die „60er“. Dies alles geschah laut Historikern im vorauseilenden Gehorsam „ohne dass die nationalsozialistische Regierung darauf gedrängt hatte“. Hirsch kam seinen Rausschmiss durch Austritt zuvor und schrieb an seinen Verein: “Ich lese heute im Sportbericht Stuttgart, dass die großen Vereine, darunter auch der KFV, einen Entschluss gefasst haben, dass die Juden aus den Sportvereinen zu entfernen seien. Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV, dem ich seit 1902 angehöre, meinen Austritt anzeigen. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass es in dem heute so gehassten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene deutsche Juden gibt.“ Aus den berühmten Nationalmannschafts-Sammelalben des Kicker Sportmagazins wurden die Porträts der beiden jüdischen Nationalspieler fortan verbannt. Nach den vielen Demütigungen unternahm Hirsch 1938 einen Selbstmordversuch. Später ließ sich seine Frau von ihm scheiden, um zumindest die gemeinsamen Kinder zu retten. Was für eine verzweifelte und traurige Entscheidung! Für Hirsch bedeute dies das Ende der von den Nazis privilegierten „Mischehe“. Im Februar 1943 wurde dem 50-jährigen Julius Hirsch mitgeteilt, dass er sich zu einem Transport zum „Arbeitseinsatz“ am Hauptbahnhof einzufinden habe. Von dort wurde er gemeinsam mit elf weiteren badischen Juden nach Auschwitz deportiert, wo er wahrscheinlich umgehend vergast wurde. In den dortigen Eingangsbüchern wurde er nicht mehr erwähnt. Sein letztes Lebenszeichen war eine Postkarte von unterwegs, die erst am 3. März in Dortmund abgestempelt wurde: „Meine Lieben. Bin gut gelandet, es geht gut. Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse euer Juller“ Seine beiden 22 und 17 Jahre alten Kinder wurden dennoch später in das KZ Theresienstadt deportiert. Beide wurden jedoch am 7. Mai 1945 durch die Rote Armee befreit. Seine Frau nahm nach dem Krieg den Namen Hirsch wieder an, sprach aber bis zu ihrem Tod nicht über das tragische Schicksal. Seine Tochter schreibt im Prolog: „Am 1. März 1943 habe ich meinen Vater Julius Hirsch zum Hauptbahnhof in Karlsruhe gebracht und von dort wurde er abtransportiert, in einem normalen Zugabteil Es war eines der schrecklichsten Erlebnisse meines Lebens. Es war ein strahlend schöner Tag. Noch heute kann ich nicht begreifen, dass an diesem Tag die Sonne scheinen konnte! Wir haben nicht geglaubt, dass wir ihn nie mehr wiedersehen werden. (...) Er hing an Deutschland, er war für Deutschland - wie auch seine Brüder im Ersten Weltkrieg. Nie dachte er, dass man ihn so behandeln würde. Hirsch wurde 1950 vom Amtsgericht Karlsruhe für tot erklärt. Gleichzeitig wurde eine „Entschädigung“ in Höhe von 3 450 DM ausgezahlt. Die meisten Täter, wie der für die Deportation verantwortliche Gestapochef, machte im Nachkriegsdeutschland Karriere. Dies und noch viel mehr schildern zwei Bücher aus dem Verlag Die Werkstatt. Darin wird nicht nur detaillierte Fußballgeschichte nahegebracht, sondern vor allem auch ein Stück Zeitgeschichte aus dem finstersten Kapitel der deutschen Historie und einige verfemte Fußballer geehrt. 1972 wollte der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger den letzten Überlebenden Gottfried Fuchs als Gast des DFB zu einem Länderspiel anlässlich der Eröffnung des Olympiastadions in München einladen. Das Präsidium des DFB, in dem einige ehemalige Nazis saßen, lehnte dies ab, um keinen „Präzedenzfall“ zu schaffen. Ernst Reuß Werner Skrentny, Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet, Biografie eines jüdischen Fußballers, 2., aktualisierte und überarbeitete Auflage, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2016, 352 Seiten, 24,90 € Henry Wahlig, Lorenz Peiffer, Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland, Eine Spurensuche, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2015, 576 Seiten, 44,90 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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