HISTORISCHES SACHBUCH
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Schuld, die nie vergeht.

19/10/2017

 
Der inzwischen im Ruhestand befindliche Staatsanwalt Kurt Schrimm war seit Ende September 2000 in Ludwigsburg Leiter der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ gewesen. Schrimm schreibt: „Ich war zwar von jeher an der Geschichte des 20. Jahrhunderts interessiert, hätte es mir jedoch nicht träumen lassen, dass ich einmal von Berufs wegen an der Erforschung und Aufklärung eines Teilabschnitts dieser Geschichte  mitwirken würde.“
Mit seinen Erinnerungen will er klarstellen, dass es auch noch über 70 Jahre nach dem Ende des NS-Staats notwendig ist, jeden einzelnen dieser Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Ohne KZ-Aufseher und sonstigen Helfer wäre das Vernichtungssystem nicht möglich gewesen. Schrimm berichtet etwas langatmig über mühsame Verfahren, philosophiert über den typischen NS-Verbrecher und gliedert das Buch in seine größten Erfolge und seine größten Misserfolge als Staatsanwalt. Ein Erfolg war es sicherlich, den NS-Verbrecher Josef Schwammberger vor Gericht gebracht zu haben Misserfolge gab es zur Genüge. Schrimm macht sich Gedanken darüber, inwieweit sein Tun dazu beigetragen hat, derartige Verbrechen in Zukunft zu verhindern und kommt zu einer eher negativen Prognose. Teilweise relativierend und rechtspositivistisch sind seine Erklärungsversuche, die er zum Teil mit nicht ganz so passenden Anekdoten verbindet, wie zum Beispiel der, dass bei einer Dienstfahrt im Zug die Heizung ausgefallen sei. Die Erinnerungen seiner Vorgänger im Amt Adalbert Rückerl und Alfred Streim sind viel ergiebiger, da sie sich auf die von ihnen aufzuklärenden Verbrechen konzentrieren.
Schrimm kommt zum Schluss: „Vielleicht trägt unsere Tätigkeit dazu bei, dass wir und unsere Nachfahren wachsamer sind als unsere Vorfahren und unser Bestreben auf zwei Dinge richten-. Vermeidung von Diktatur und Krieg. Dann wäre unsere Arbeit auch im Hinblick auf die Zukunft nicht ganz umsonst gewesen“
 
​
Ernst Reuß
 
Kurt Schrimm, Schuld, die nicht vergeht, Den letzten NS-Verbrechern auf der Spur, München 2017,  400 Seiten, 22,00 €
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Artikel im ND v. 05.01.2018

Die Juden in Franken

1/10/2017

 
„Franken war eine bedeutende Wiege jüdischer Geschichte und Kultur in Süddeutschland. Heute blicken wir auf eine fast tausendjährige jüdische Geschichte zurück, in der sich vielfältige und bedeutende kulturelle Traditionen entwickelten, mit großen Gelehrten, eigenen religiösen Riten, fränkisch-jüdischen Dialekten, besonderen kulinarischen Gebräuchen, erstaunlich vielen Synagogenbauten und über hundert jüdischen Friedhöfen.“
Dieses Zitat aus dem Buch „Die Juden in Franken“ sagt schon viel aus. Im Gegensatz zu anderen Territorien des „Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation“ wurden Juden nie dauerhaft aus ganz Franken vertrieben und lebten daher seit dem Ende des 11. Jahrhunderts kontinuierlich in diesem Gebiet. Als Kaufleute, Händler und Geldverleiher standen sie unter dem Schutz der jeweiligen Herrscher, die sie für ihre eigenen Geschäfte nutzten. Grund war das mittelalterliche Zinsverbot, das den gewerbsmäßigen Geldverleih als verdammenswert hinstellte und für Christen, aber nicht für Juden galt. Juden gehörten seit Jahrhunderten denselben Vereinen an wie Christen, saßen in denselben Wirtshäusern und waren seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im dörflichen Gemeinderat vertreten.
Allerdings gab es auch viel Misstrauen den Andersgläubigen gegenüber.
Im 13. und 14. Jahrhundert erlebten fränkische Juden eine Vielzahl von Vertreibungswellen und Pogromen. Die tiefgreifendsten waren die „Rintfleisch-Verfolgung“ von 1298, der Armleder-Pogrom zwischen 1336 und 1338, sowie die Vertreibungen zur Zeit der Pest um 1348.
Die „Rintfleisch-Verfolgung“ begann aufgrund eines angeblichen Hostienfrevels. Eine Gruppe von „Judenschlägern“ zog unter der Führung eines Mannes namens Rintfleisch durch Franken und den angrenzenden Gebieten. Am 20. April 1298 wurden 21 Juden in der Stadt Röttingen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Rintfleisch behauptete, er habe vom Himmel eine persönliche Botschaft erhalten und sei zum Vernichter aller Juden ernannt worden. Insgesamt wurden mindestens 4 000 bis 5 000 Juden ermordet. Es erwischte allerdings auch einige Christen, die ihre Nachbarn schützen wollten. Jüdische Gemeinden vieler Städte in Franken wurden ausgerottet. Große Opferzahlen hatten Neustadt an der Aisch, Iphofen, Ochsenfurt, Bad Mergentheim  Bad Windsheim, Rothenburg ob der Tauber, Nördlingen, Heilbronn Weißenburg, Neumarkt, Bamberg und Nürnberg zu beklagen. In Würzburg wurden am 24. Juli 1298 alleine mindestens 900 Juden ermordet.
Nur einige Jahrzehnte später von 1336 bis 1338 kam es zum „Armlederaufstand“ mit einer Reihe von Massakern an jüdischen Gemeinden im südwestdeutschen Raum und im Elsass.
Anführer des Aufstands war Ritter Arnold III. von Uissigheim, ein abgehalfterter Edelmann, der auch „König Armleder“ genannt wurde. Die marodierende Truppe konnten erst unter Mithilfe der Würzburger Stadtbevölkerung bei Ochsenfurt aufgehalten werden. Armleder wurde festgenommen und am 14. November 1336 in Kitzingen hingerichtet. Die Leiche brachte man in sein Dorf Uissigheim und begrub sie in der Kirche. Dort wurde er bis ins 18. Jahrhundert als Wundertätiger verehrt. Im „Arnolds-Kasten“ wurden von den Bauern Opfer dargebracht, um Seuchen und Krankheiten von ihrem Vieh abzuwenden. Später wurde die Geschichte umgeschrieben und Armleder wurde plötzlich zum Opfer von Juden umgedeutet, die eine Fronleichnamsprozession verspottet hatten. Fake-News gab es also auch schon zur damaligen Zeit, auch wenn sie noch nicht so genannt wurden. Die ehemalige Hauptstraße in Uissigheim heißt übrigens heute noch „Ritter-Arnold-Straße“.
Die Armledermassaker waren sozusagen ein Vorspiel zu den Judenverfolgungen zur Zeit der Pest, die zehn Jahre später in ganz Mitteleuropa ausbrachen. Neben den üblichen „Hostienfrevel“ und dem „Ritualmord“ wurden den Juden nun vor allem die „Brunnenvergiftung“ und die Einschleppung der Seuche vorgeworfen. Auch in Würzburg kam es am 21. April 1349 erneut zu einem Massaker. Papst Clemens VI. versuchte zwar das Schlimmste zu verhindern und argumentierte, dass auch die Juden selbst von der Pest heimgesucht worden und Orte, in denen keine Juden gewohnt hätten, auch nicht von der Seuche verschont geblieben seien. Er verbot daher, Juden ohne Gerichtsverfahren hinzurichten, hatte allerdings wenig Chancen bei dem wütenden und aufgehetzten Christenmob.
Gründe fand man also immer, um Juden zu massakrieren. Allerdings lässt sich im Nachhinein sagen, dass vor allem ökonomische Faktoren das wesentliche Motiv der „Judenschläger“ war. Man wollte schlicht und einfach seine Schulden loswerden. Vor allem in den weitgehend monokulturellen Weinbauregionen Unterfrankens, des Mittelrheins und des Elsass gab es Missernten und man hatte daher einen erheblichen Kreditbedarf, den man nur beim Juden decken konnte; Christen waren ja Geldgeschäfte verboten. Auch die Verteilung des jüdischen Besitzes und Außenstände wurden meist bereits im Vorfeld geregelt. Das sollte sich später im „Dritten Reich“ wiederholen.
Einige Jahrhunderte später, nach der Eingliederung Frankens in das bayerische Königreich, griff das sogenannte bayerische Judenedikt von 1813, das die rechtlichen Verhältnisse der dortigen jüdischen Bevölkerung neu regelte. Von den 53 208 Juden in Bayern im Jahr 1818 lebten über 65 Prozent in Franken. Die dichteste jüdische Bevölkerungsansiedelung bestand in Unterfranken, dessen 16 337 Juden 3,38 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten.
Das Edikt eröffnete den Juden zwar neue wirtschaftliche Perspektiven, erstrebte aber gleichsam eine Begrenzung der jüdischen Bevölkerung. Die Einführung einer „Obergrenze“ ist also keine ganz neue Idee. Bis 1819 wuchs die neue jüdische Gemeinde Würzburgs auf etwa 400 Personen an. Im selben Jahr kam es zu den sogenannten „Hepp Hepp Krawallen“. Auf  verteilten Flugblättern stand: „Hepp, hepp, der Jude muß inn Dreck“ oder „Hepp, hepp, Jude verreck“. Jüdische Bürger wurden beschimpft, bedroht, misshandelt und ihre Synagogen, Geschäfte oder Wohnungen angriffen und teilweise zerstört, was stark an die sogenannte „Reichskristallnacht“ erinnert.
Obwohl die jüdische Bevölkerungszahl in Franken bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark zurückgegangen war, war insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg ein deutlicher Anstieg antisemitischer Bewegungen zu verzeichnen. Viele Antisemiten wie Julius Streicher fanden früh in Franken ein Betätigungsfeld. Im Zuge der „Arisierung" stach Franken besonders hervor.
In Bayern lebten zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme 41 939 Juden. Die meisten von ihnen - etwa 22 000 Menschen, weit über 60 Prozent - waren in Franken beheimatet, insbesondere in Mittelfranken und Unterfranken. Lediglich fünf bayerisch-jüdische Gemeinden hatten mehr als tausend Mitglieder, nämlich München (9005), Nürnberg (7502), Würzburg (2145), Fürth (1990) und Augsburg (1030). In neun Orten - Bamberg, Aschaffenburg, Bad Kissingen, Regensburg, Kitzingen, Schweinfurt, Ichenhausen, Coburg und Bayreuth – zählte die jüdische Gemeinde zwischen 300 und 1000 Mitglieder. Eigentlich nicht viele Andersgläubige, aber für die nun Herrschenden anscheinend doch noch zu viel. Der Ausgang der neuerlichen Pogrome ist bekannt. Am Ende des „1000-jährigen Reiches“ gab es kaum noch Juden in Franken und Bayern.
Eigentlich sollte so etwas im aufgeklärten Zeitalter nicht mehr passieren können, doch sicher kann man sich leider nicht sein, wenn man sieht, wie leicht sich auch heute noch Massen aufhetzen und manipulieren lassen, wenn es um Minderheiten oder Schwächere geht und Sündenböcke gesucht werden.
 
Ernst Reuß

Weitergehende Informationen:
v. Brenner, Michael / Eisenstein, Daniela F. (Hrsg.), Die Juden in Franken, Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern VI, 295 Seiten, Gebunden, € 34.95
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de


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Historisches Lexikon Bayerns

    Autor

    ​Ernst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt.
    ​Lebt als Autor in Berlin.

    Publikationsauswahl:
    Berliner Justizgeschichte / Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern / Gefangen! Zwei Großväter im Zweiten Weltkrieg / Mord? Totschlag? Oder was? / Sirius, Katzenkönig und Co. / Mord und Totschlag in Berlin.



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