Hört man Griechenland, Saloniki oder Rhodos denkt man an an Sonne, Urlaub und Tavernen, aber ganz sicher nicht an Auschwitz und an den Holocaust. Doch auch auf dieser Insel haben unsere Vorfahren und deren Helfershelfer gemordet, gemeuchelt und deportiert.
„Von Rhodos nach Auschwitz“ heißen die im Metropol Verlag erschienenen Erinnerungen des Auschwitzüberlebenden Sami Modiano. Mit den Deportationen am 23. Juli 1944 endete auf Rhodos jüdisches Leben, das sich seit dem 12. Jahrhundert dort entwickelt hatte und sich während der Reconquista 1452 durch Zuzug weiterentwickelte, als die ersten Familien der aus Spanien vertriebenen Juden auf der Insel ankamen. Modianos Vater war nach Existenzgründungen in den USA und in Saloniki schließlich auf Rhodos gelandet. Damals noch zum Osmanischen Reich gehörend. Auch in Saloniki hatte es vor ihrer Vernichtung durch die Deutschen eine große jüdische Gemeinde gegeben. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinden dort und auf Rhodos sprachen bis zum Schluss Ladino, wie ihre sephardischen Vorfahren. Nach 1912 wurde Rhodos italienisch. Modiano „war stolz, in die italienische Schule zu gehen und Italienisch zu sprechen. Ich fühlte mich als Italiener.“ Als er Jahre vor der Deportation als Jude von der Schule verwiesen wurde, merkte er, dass das andere anders sahen. Mussolinis Rassengesetz machte es möglich. Einige Zeit später wurde er zusammen mit seinem Vater und seiner Schwester deportiert. Die Wehrmacht hatte im September 1943 Rhodos besetzt, nachdem Mussolini gestürzt war und die Nachfolgeregierung einen Waffenstillstand ausgehandelt hatte. Die Mutter war zuvor bereits auf Rhodos gestorben. Modiano war bei der Deportation gerade mal 14 Jahre alt. Die wenigen jüdischen Mitbürger mit noch türkischem Pass hatten mehr Glück, sie wurden nicht deportiert. Sein Vater Jakob (45) und seine Schwester Lucia (17) wurden in Auschwitz ermordet. Modiani schildert wie sie starben und er mehrfach dem Tod ein Schnippchen schlug. Einmal half ihm ein unbekannter „Politischer“, der ihn in einer Latrine voller Exkremente versteckte. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee Auschwitz, die deutschen Wachsoldaten hatten das Lager bereits verlassen. Er wird nun von einer russischen Ärztin gut behandelt und gesund gepflegt, bevor er sich mit einem italienischen Freund zu Fuß auf den Weg nach Rom macht. Damit war seine Odysee, die ihn bis nach Belgisch-Kongo führte, allerdings noch nicht zu Ende. Wie so viele Überlebende der Shoah blieb auch Sami Modiano jahrzehntelang stumm. Erst im hohen Alter - im Jahre 2005 - brach er sein Schweigen, besuchte mit einem Leidensgenossen Auschwitz und begann zu reden. Für ihn eine große eindrücklich geschilderte Befreiung. Heute empfindet Sami Modiano die Tatsache, dass er überlebt hat, als Verpflichtung, Zeugnis abzulegen. Immer wieder besucht er Schulen, um von Auschwitz zu berichten, begleitet zahlreiche Reisen nach Auschwitz und betreut die Synagoge von Rhodos, um die Geschichte seiner Gemeinde zu bewahren. Ein Bremer Rechtshistoriker war bei einem Aufenthalt auf Rhodos zufällig in der 1575 erbauten altehrwürdigen Synagoge auf Sami Modianos Buch gestoßen. Seine Übersetzung für den immer wieder wichtige Bücher herausbringenden Metropol-Verlag ist es wert gelesen zu werden. Ein bemerkenswertes und sehr bewegendes Buch, auch wenn Modiano mit seinen Bemühungen daran scheitert etwas über die frühen Wurzeln seiner in alle Welt verstreuten Familie zu erfahren, die wahrscheinlich im 15. Jahrhundert bei der katholischen Reconquista aus Spanien vertrieben worden waren. Anders ist es bei der Stockholmerin Elisabeth Åsbrinks. Ihr Roman „Ich verzeihe nicht“ basiert auf ihrer Familiengeschichte, die sie aufgrund eines Stipendiums gründlich erforschen konnte. Ihr Großvater war glücklicherweise bereits Anfang des 20. Jahrhunderts bei den politischen Unruhen in Saloniki nach Großbritannien geflüchtet, denn die jüdische Bevölkerung in Saloniki wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig ausgelöscht. Ihr Vater hatte den Holocaust und die Schikanen in Ungarn überlebt als er während des Volksaufstand 1956 nach Schweden flüchtete, wo er seine zukünftige Frau und die Mutter der Autorin im britischen Konsulat kennenlernte. Elisabeth Åsbrink schreibt: „Am 29. April 1965 wurde ich geboren, wodurch zwei Linien von Menschen vereint wurde, die in ihrer Erbmasse Sprengungen der Welt trugen.“ Åsbrink wurde 2011 mit dem schwedischen August-Preis für das beste Sachbuch ausgezeichnet, das ebenfalls den Holocaust thematisierte. Ihr neuestes Buch ist eine autobiografische Familiengeschichte in Romanform und handelt von drei Frauenleben im 20. Jahrhundert in Thessaloniki, London und Stockholm. Die Erzählerin verfolgt die Spuren ihrer Mutter und Großmutter, bis dorthin, wo alles seinen Anfang nahm - die Vertreibung der Juden aus Spanien im 14. und 15. Jahrhundert. Herausgekommen ist ein Zeugnis jüdischen Lebens in Europa und ein faszinierendes persönliches Dokument. Ernst Reuß Sami Modiano, Von Rhodos nach Auschwitz. Aus dem Italienischen übersetzt von Christoph Schminck-Gustavus. Metropol Verlag. Berlin 2023, 168 Seiten, € 19.00 Elisabeth Åsbrink, Ich verzeihe nicht, Eine jüdische Familiengeschichte. Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder, btb, München 2023, 320 Seiten, € 16,00
Der vor 120 Jahren am 16. Juli 1903 in Stuttgart in einer liberalen jüdischen Familie geborene Fritz Bauer war im Gegensatz zu vielen Mitläufern im Dritten Reich KEIN furchtbarer Jurist. Er war für die Aufklärung von Naziverbrechen äußerst wichtig und ziemlich allein auf weiter Flur. Trotz erheblicher Widerstände, der auch zuvor unter den Nazis gut funktionierenden Juristen der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit, kämpfte er hartnäckig für seine Ideale und den Aufbau einer demokratischen Justiz, die ihm viel zu verdanken hat. Seine geheimen Recherchen führten auch zur Festnahme von Adolf Eichmann. Geheim deshalb, weil kein deutscher Jurist davon wissen durfte, sonst wäre Eichmann rechtzeitig gewarnt worden.
„Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.“, sagte Fritz Bauer, der ganz genau wusste wie einsam sein Kampf im Nachkriegsdeutschland war. Der promovierte Jurist Ronen Steinke, schrieb die Biographie über Bauer bereits 2013. Sie wurde preisgekrönt verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Anlässlich Bauers 120. Geburtstags erschien nun die siebte Auflage der Biographie als Taschenbuch. Nach seiner Promotion wurde der begabte Fritz Bauer im Jahre 1930 zum wahrscheinlich jüngsten Amtsrichter in der Weimarer Republik und zusammen mit seinem Freund und SPD-Genossen Kurt Schumacher zu einem glühenden Verteidiger der Weimarer Republik. Schon als Student war er politisch aktiv gewesen und bereits 1920 der SPD beigetreten. Im März 1933 wurde er festgenommen und acht Monate im KZ inhaftiert. Es gelingt ihm die Flucht nach Dänemark und später nach Schweden. Dort konnte der jüdisch-deutsche Jurist das „Tausendjährige Reich“ überleben. 1949 kehrte Bauer mit Hilfe Kurt Schumachers nach Deutschland zurück und wurde 1950 Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Braunschweig. 1952 war er der Ankläger im so genannten Remer-Prozess. Remer, der an der Niederschlagung des Stauffenbergschen Umsturzversuches beteiligt und inzwischen ein erfolgreicher Politiker und Publizist war, hatte die Widerstandskämpfer des Dritten Reichs als Verräter tituliert. Bauer erreichte, dass die Widerstandskämpfer des 20. Juli rehabilitiert und ihr Versuch, Hitler zu töten, legitimiert wurde. Das Gericht schloss sich Bauers Auffassung an, dass der NS-Staat „kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“ gewesen sei - was damals tatsächlich noch durchaus strittig war. 1956 wurde er dann auf Initiative des hessischen Ministerpräsidenten in das Amt des hessischen Generalstaatsanwalts mit Sitz in Frankfurt am Main berufen, das er bis zu seinem Tod 1968 innehatte. Dort setzte er den großen Frankfurter Auschwitz-Prozess durch und kooperierte heimlich mit dem israelischen Geheimdienst, um Adolf Eichmann vor Gericht zu bringen. Erst da begann in Deutschland die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Auch das höchst umstritten. Man argumentierte der Prozess und die Diskussionen darüber führe zu einem Wiedererstarken der Nazis. Man wollte einen „Schlussstrich“ ziehen. Parallelen zu heute. Er sah den Sinn dieser Prozesse, weniger in der Vergeltung begangener Verbrechen, sondern als „historisch, rechtlichen, moralischen Unterricht für das Volk“. Keine Abrechnung mit dem alten Deutschland also, weil es das verdient, sondern weil ein neues Deutschland den Unterricht dringend braucht. Steinke zeigt in seinem spannend geschriebenen Buch auch die private Seite Bauers, wobei seine möglicherweise unausgelebte damals noch strafbare vermeintliche Homosexualität des vielfach geschmäht und verleumdeten Bauer eine Rolle spielt. Man spürt auch wie viel Mut diplomatisches Geschick und Selbstverleugnung nötig war, um die Sache voranzubringen. Bauer versuchte immer dem Eindruck entgegentreten zu müssen, er sei als Jude von Rachsucht und Hass getrieben. Es ist ein Lebenslauf, der Respekt einflößt: Bauer, der im Nachkriegsdeutschland nahezu im Alleingang ehemalige NS-Schergen vor Gericht brachte. Er lebte schließlich in einer Gesellschaft, die noch immer von Altnazis und braunem Gedankengut durchdrungen war. Dadurch machte er sich weit über die deutschen Grenzen hinaus einen Namen. Vieles von dem was er tat, spielte sich aber im Verborgenen ab und gelangte erst nach seinem Tod an die Öffentlichkeit. Am 1. Juli 1968 wird Bauer tot in seiner Badewanne gefunden. Bei der Sektion wurden eine Herzvorschädigung festgestellt. Es ergaben sich keinerlei Hinweise auf ein Fremdverschulden, aber auch keine Hinweise auf einen möglichen Suizid. Nach seinem Tod wird die Verfolgung von Nazis, durch eine angeblich „ungewollte“ Gesetzesänderung nahezu unmöglich gemacht. Wegen des Fehlens eines Satzes in der Gesetzesvorlage, waren die Taten von Gehilfen beim Morden aus Rassenhass nun plötzlich rückwirkend, spätesten 15 Jahre nach Kriegsende, also am 9. Mai 1960, verjährt. Ob das ein perfider Plan eines Einzelnen oder ein Versehen war, konnte man nicht abschließend klären. Im Sinne des inzwischen SPD geführten Justizministeriums des Justizministers Gustav Heinemann war es jedenfalls nicht. Zehntausende von inzwischen eingeleiteten Strafverfahren gegen NS-Täter wurden daraufhin eingestellt. Viele Indizien deuten auf den Plan eines in Juristenkreisen wohlbekannten Mannes hin, der selbst von der Verjährung profitieren hätte können, da er im Dritten Reich selbst an Todesurteilen bei Bagatelldelikte beteiligt war. Noch beim Jurastudium des Autoren dieses Artikels war er Namensgeber und Mitverfasser des Standardwerkes im Strafrecht. Ernst Reuß Ronen Steinke: Fritz Bauer – oder Auschwitz vor Gericht, Piper Verlag, 7. Auflage München 2022, 352 Seiten, € 14,00
Kontraste und Motherland heißen momentan zwei Ausstellungen im Ephraim-Palais, dem denkmalgeschützten Rokokogebäude am Rande des Berliner Nikolaiviertels.
Veitel Heine Ephraim gehörte zu den privilegierten "Schutzjuden" des Königs und hatte sich als Finanzier für dessen Kriege das Wohlwollen des Königs gesichert. Auf Befehl des Königs verringerte er die Qualität der Silbermünzen und übernahm – auch auf königliche Anordnung – die gut alimentierte Verantwortung dafür. 1762 kaufte er das dortige Stadthaus einer Berliner Familie und ließ es als Repräsentanz vollständig umbauen. Auf dem Grundstück stand einst die älteste Apotheke Berlins. Im Jahr 1843 erwarb die Stadt Berlin das Haus und brachte hier Polizeioffiziere und das Einwohnermeldeamt unter. Als mit der 750-Jahr-Feier Berlins der Bau des Nikolaiviertels in Ost-Berlin begonnen wurde, wurde auch das Ephraim-Palais rekonstruiert. 1987 fertiggestellt wurde es nun zum Museum, das auf drei Etagen wechselnde Ausstellungen zeigt. Die Ausstellung „Kontraste“ zeigt Berliner Alltagsfotografien von Frank Silberbach aus dem Osten und von Nikolas von Safft aus dem Westen. Die Ausstellung beinhaltet aus entgegengesetzten Perspektiven Berliner Kontraste ab 2004, analog und in Schwarz-Weiß. Siberbach fotografiert Berliner Typen und Szenen eines Lebensgefühls im Panoramaformat, während von Safft an den Rändern Berlins die Stille, Weite und Leere, sowie den Verfall zeigt. Seine nicht untertitelten Bilder stammen aus der Serie „Rundgang, 2004-2008“. Die gesamte Ausstellung zeigt die Zeitgeschichte eines Jahrzehnts in Bildern, in der man sich durchaus wiedererkennen und mitunter schmunzeln kann. Die andere Ausstellung im Ephraim-Palais heißt „Motherland“. Dort stellen zehn junge ukrainische Künstler ihre Werke aus. Es geht um den Begriff Heimat und was der Krieg mit den Menschen macht. Zu Beginn sieht man das großformatige Gemälde „Schweigeminute“. Fünf Soldatenfiguren, die einen gefallenen Kameraden beweinen. Die Künstlerin verwendete als Vorlage ein Foto aus dem Messenger-Dienst Telegram. Posts in den sozialen Medien können jederzeit wegen der Lokalisierbarkeit tödlich sein. Auch Videos werden gezeigt, so das Videostück „Landschaft mit Welpen“ das ebenfalls auf ein Telegram-Video anspielt, in dem Welpen den Leichnam eines russischen Soldaten fressen. Die Szene wird durch eine wackelige 3D-Videoanimation verfremdet. In der Serie „Freiheit für alle“ stellt ein Künstler Archivfotos aus Ost- und West-Berlin der 1960er- und 1970er-Jahre vor; Slogans wie „Freiheit kennt keine Mauer“ und „Selbstbestimmung auch für uns“. Aus dem Kontext des Kalten Krieges gerissen wirken die Slogans wie eine historische Parallele zwischen Berlin und den ukrainischen Städten, die heute an den Folgen des russischen Angriffskrieges leiden. Das Ephraim-Palais ist immer einen Besuch wert. Ernst Reuß
Historisches gibt es in Berlin-Schöneweide zu sehen. Dort ist das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in einem vollständig erhaltenen Zwangsarbeiterlager. Laut Dokumentationszentrum wurden 26 Millionen Männer, Frauen und Kinder während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Rund 8,4 Millionen Menschen wurden als „zivile“ Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten Europas in das Deutsche Reich verschleppt. Die deutsche Wirtschaft wäre ohne das Millionenheer deportierter „Fremdarbeiter“ und Kriegsgefangener zusammengebrochen. Die Sterblichkeit unter ihnen war aufgrund der menschenunwürdigen Behandlung hoch. Gründe waren die hohe Arbeitsbelastung, die schlechten Versorgung, grassierende Krankheiten und Bombenangriffe, da Zwangsarbeiter normalerweise nicht in Luftschutzkeller durften. Rassistische Gesetze mit willkürlichen Todesstrafen taten ein übriges. Einige dieser Todesurteile sind in der Ausstellung dokumentiert. Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene wurden als „Volksschädling“ oder wegen „verbotenen Umgangs“ sehr schnell exekutiert. Insbesondere waren davon die als rassisch minderwertig verachteten „slawischen Untermenschen“ betroffen.
Alleine im Berliner Stadtgebiet befanden sich während des Zweiten Weltkriegs etwa 3 000 Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Dieses in Schöneweide für mehr als 2 000 ZwangsarbeiterInnen geplante Lager blieb erhalten. Zwei Baracken dienten in den letzten Kriegsmonaten 1945 als Unterkunft für weibliche KZ-Häftlinge, die in einer Batteriefabrik arbeiten mussten. Nach 1945 dienten zunächst einige Baracken als Papierlager für die Sowjetische Militäradministration, später zog dort das Impfstoff-Institut der DDR ein. Die übrigen Baracken werden bis heute genutzt. Nach 1989 wurde das Impfstoff-Institut abgewickelt, ab 1995 stand dieser Teil des historischen Lagergeländes über zehn Jahre leer. Neben der Dauerausstellung werden dort immer wieder Sonderausstellungen gezeigt. In einer der Baracken läuft daher bis zum 28. Januar 2024 die interessante Ausstellung „Luise. Archäologie eines Unrechts“. Es handelt sich um eine verdrängte Familiengeschichte aus der NS-Zeit, die die Familie des Fotografem Stefan Weger betrifft. Wahrend seiner Schulzeit in Bremen kreuzte im Unterricht die Geschichte von Walerian Wróbel seinen Weg. Wegert schreibt: „Was sich bei mir jedoch am meisten eingebrannt hat, war nicht der Inhalt des Unterrichts, sondern der Satz meiner Mutter: ,‘Du weißt, dass das Luise war?‘ Damals hatte dieser Satz für mich keine Bedeutung, ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt verstand, was sie meinte. Jahre, eigentlich sogar Jahrzehnte später, taucht dieser Satz in meinem Kopf wieder auf, ein altes Echo aus einer tiefen Höhle. Und dieses Mal verstehe ich.“ Kurz nach seinem 16. Geburtstag im April 1941 wird der junge geistig leicht zurückgebliebene Pole Walerian Wróbel zur Zwangsarbeit nach Bremen auf den Bauernhof der Vorfahren Wegers verschleppt. Bereits nach wenigen Tagen flüchtete er, wurde jedoch gefasst und zur Arbeitsstelle zurückgebracht, drei Tage später legt Walerian Feuer, ohne großen Schaden anzurichten, weil er hofft, dann nach Hause geschickt zu werden. Beim Löschen half er. Die Bäuerin Luise, lässt ihn von der Gestapo abholen und lieferte damals die entscheidende Zeugenaussage. Walerian wird zur oft tödlichen Zwangsarbeit ins KZ Neuengamme gebracht und am 25. August 1942 hingerichtet. Luise war die Urgroßmutter des in Berlin lebenden Portrait- und Dokumentarfotograf Stefan Weger. Im vorausgehenden Prozess wurde die noch nicht gültige Polenstrafrechtsverordnung angewandt. Das Jugendgerichtsgesetz, das die Verhängung der Todesstrafe gegenüber Jugendliche verbot, dagegen nicht. Der damalige Staatssekretär im Justizministerium Roland Freisler lehnte es ab, den Gnadengesuchen, das selbst der Oberstaatsanwalt als Leiter der Anklagebehörde unterstützte, nachzukommen. Auch das sollte Freislers Karriere sehr förderlich sein, wie man weiß. Am Morgen des 25. August 1942 wurde das Urteil in Hamburg mit der Guillotine vollstreckt. Walerian Wróbel ist ein Symbol für die NS-Unrechtsjustiz. Erst seit dem Jahr 1984 erinnert eine Gedenktafel vor dem Strafkammersaal des Landgerichts an ihn und die insgesamt 54 vom Sondergericht zum Tode Verurteilten. Mitte der 1980er Jahre ließ der 2023 verstorbene Rechtsanwalt Heinrich Hannover den Prozess neu aufrollen. Auf Antrag der Schwester Wróbels und der Staatsanwaltschaft Bremen hob das Landgericht Bremen das damalig Urteil auf. Die Geschichte Walerian Wróbels wurde 1990 verfilmt. Ernst Reuß |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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