Am 24. März wurde in der Topographie des Terrors in Berlin die Ausstellung „Was damals Recht war ... – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht“ eröffnet.
Bereits seit zehn Jahren „tourt“ die Wanderausstellung durch Deutschland und durch benachbarte Ländern. Die Topographie ist bereits der 42. Ort an dem die Ausstellung gezeigt wird. Richter aus der NS-Militärjustiz verurteilten - oft wegen Lappalien - wenigstens 30 000 Menschen zum Tode. Mehr als 22 000 Menschen wurden hingerichtet, viele andere starben in Lagern oder in Strafeinheiten. Dazu kamen die Opfer der Standgerichte in den letzten Kriegswochen, als die Nazis und ihre Helfershelfer im Angesicht der militärischen Niederlage wie die Berserker wüteten. Die bundesdeutsche Justiz führte lediglich 17 Verfahren wegen Tötungsdelikt durch Standgerichte in den letzten Kriegsmonaten durch. Nur sechs davon endeten mit Verurteilungen, die anderen mit Freisprüchen oder Einstellungen. Unrechtsbewusstsein hatten die Richter und deren Henker offensichtlich nicht. Der ehemalige Marinerichter und Ministerpräsident von Baden-Württemberg Hans Filbinger galt als Prototyp derartiger Juristen. Seine Rechtfertigung „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“, wurde zur Metapher für eine Generation, die keine Gewissensbisse kannte. Zur Verantwortung gezogen wurde kaum einer dieser „furchtbaren Richter“, dagegen wurden die Opfer der Wehrmachtjustiz jedoch in der Nachkriegszeit weiterhin als Drückeberger und als Feiglinge verfemt und verachtet. Erst 2002 wurden vom Deutschen Bundestag Urteile gegen Deserteure pauschal aufgehoben. Gegen sogenannte „Kriegsverräter“ gar erst 2009. Die Ausstellung läuft nur bis 17. April. Hingehen! Der informative, viele Einzelschicksale dokumentierende Katalog zur Ausstellung kostet nur 15 €. Ernst Reuß „Was damals Recht war...” – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht. Ein Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, hg. v. d. Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin 2017, 240 S., 15 €.
Andrea von Treuenfeld trieb die Frage um, wie die Nachfahren von überlebenden Holocaustopfern in zweiter oder dritter Generation mit den Traumata der Eltern umgegangen sind.
Dafür hat die Autorin prominente Söhne und Töchter befragt. Marcel Reif, Nina Ruge, Ilja Richter und andere berichten vom Aufwachsen im Schatten der Vergangenheit. Der Holocaust blieb auch für die, die ihn nicht persönlich erlebt hatten, ein wesentliches Element ihrer Biografie. So manchen beschäftigte schon früh die Frage, warum gerade sie so wenig Verwandte hatten. Im Gegensatz zu anderen deutschen Familien, waren Oma, Opa, Onkel oder Tante oft einfach nicht mehr existent. Eine berührende Episode erzählt Gert, der mit seinem Vater „Hänschen“ Rosenthal im Berliner Olympiastadion war. Da sein Vater damals Vereinspräsident des Erstligisten Tennis Borussia war, saßen sie auf der Ehrentribüne. Hans Rosenthal drehte sich zu seinem Sohn und erklärte ihm feierlich, warum es für ihn gerade ein ausgesprochen besonderer Moment der Genugtuung sei, denn hier auf der Ehrentribüne habe einst Hitler gestanden und unter anderem auch ihn töten wollen. Sein Vater habe damals resümiert: „Und jetzt stehe ich hier, und er ist tot.“ Tragischerweise hatte Hans Rosenthals jüngerer Bruder da weniger Glück. Er wurde deportiert und ermordet. Fast alle der für das Buch Interviewte sind nach dem Krieg im westlichen Teil Deutschlands aufgewachsen und es war wohl schwer für ihre Eltern mit dem Wissen zu leben, dass der Nachbar vor nicht allzu langer Zeit möglicherweise ein antisemitisch eifernder Nazi gewesen sein könnte. Wie auch in christlichen Familien wurde nach dem Krieg über das Erlebte zumeist trotzdem geschwiegen, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Während die einen ihre Beteiligung oder ihr Mitläufertum verdrängten, wollten die anderen vergessen, einfach endlich leben oder ihre eigenen Kinder mit den Schrecknissen des Holocaust nicht belasten. Marcel Reif kommt daher zum Schluss: „Ich habe eine glückliche Jugend gehabt. Eine nasebohrende Luxus-Jugend, für die meine Eltern gesorgt haben mit ihrer Hände Arbeit und mit ihrem Schweigen. Ich hatte eine unbeschwerte Kindheit und ich sag das wirklich mit großer Verantwortung und im Wortsinn: eine völlig unbeschwerte Kindheit. Und das vergesse ich ihnen nicht. Ich bin ihnen für vieles dankbar, aber ich bin ihnen, meinem Vater vor allem, für dieses Schweigen sehr dankbar. Sie fragen mich, warum hast Du nicht gefragt? Weil ich - und da mache ich es mir ganz schön jetzt, abschließend auch für mich, denn ich werde nie wieder darüber reden - sein Lebenswerk, das er noch hinterlassen wollte, beschädigt hätte.“ Auch in jüdischen Familien kam das Thema „Holocaust“ oft erst mit der gleichnamigen amerikanischen Fernsehserie auf, die im Januar 1979 in der BRD für Gesprächsstoff sorgte. Interessant wäre natürlich auch gewesen, zu erfahren, wie es sich der Alltag für Juden im östlichen Teil des geteilten Nachkriegsdeutschlands angefühlt hat, aber das kann auch Thema eines weiteren Buches sein. Auch die heutige Situation in Deutschland und Europa macht einigen der Interviewten Angst und sie warnen vor einem Wiederaufflammen des Hasses. Sandra, die Tochter von Georg Kreisler meint: „Es kann jederzeit wieder passieren, auch wieder den Juden. Es wird zuerst gegen andere gehen, Roma und Sinti, Muslime. Und dann gegen die Juden. Weil die immer dabei sind. Deswegen wissen alle Juden, dass es wichtig ist, so viele Pässe wie möglich zu haben. (…) Früher hatte ich tatsächlich immer einen gepackten Koffer rumstehen, weil ich dachte, es könnte mal sein, dass man wirklich schnell weg muss. Dieses Gefühl habe ich jetzt wieder, weil der Antisemitismus schon wieder enorm ansteigt, weil in deutschen Straßen wieder geschrien wird: ‚Juden ins Gas!‘ Nur der Koffer ist heute einem USB-Stick gewichen.“ Ernst Reuß Andrea von Treuenfeld: Erben des Holocaust, Leben zwischen Schweigen und Erinnerung, Gütersloh 2017, 19,99 €
„Mit den Worten: „Hunger, grausiger Hunger ist überall zu Gast“
begründete ein Richter sein hartes Urteil wegen Unterschlagung von Lebensmitteln. Insbesondere der Hungerwinter 1946/47, mit einer der schlimmsten Kältewellen des Jahrhunderts, war Auslöser für viele Vergehen. Es fehlten in Deutschland, wie überall in Europa, vor allem überlebensnotwendige Lebensmittel und Kohle zum Heizen. Allein zwischen Oktober 1946 und Februar 1947 wurden in Berlin offiziell 1.142 Hungertodesfälle registriert.“ (aus: Ernst Reuß, Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern, S. 87 ff.)
Originalbildunterschrift:
Berlin; um 1947 Trotzdem in diesem Winter schon etwas besser vom Magistrat für Heizmaterial gesorgt wurde, reicht der zugeteilte Brennstoff bei weitem nicht aus, um jedem Berliner eine warme Stube zu sichern. Täglich suchen Berliner in den Schlackenhalden der grossen Industriewerke nach brennbaren Koksresten.
Im Auftrag der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wurde 2016 ein Sammelband herausgegeben, der sich in 34 Beiträgen mit nationalsozialistischer Täterschaft und ihren Folgen auseinandersetzt.
Das 534-seitige Werk fasst eine mehrjährige intensive Auseinandersetzung der Gedenkstätte mit diesem Thema zusammen. Begleitend gab es während dieser Zeit Seminare, Workshops und Gesprächskreise mit Nachkommen von Tätern, die sich mit der eigenen Familie im „Dritten Reich“ auseinandersetzen wollten. In den ersten Kapiteln des Buches werden Podiumsdiskussionen und Interviews dokumentiert, sowie internationale Forschungsergebnisse vorgestellt. Danach präsentieren Kinder und Enkel von Tätern ihre Erfahrungen bei der Auseinandersetzung mit ihren Vorfahren. Nicht nur das ist äußerst interessant, sondern auch die Interviews mit Zeitgenossen, die es aufgrund der Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus und der eigenen Familiengeschichte zu einiger Bekanntheit gebracht haben. Einer davon ist Dietrich Kuhlbrodt, der als Jurist, Autor und Schauspieler bekannt wurde. Er berichtet insbesondere von seiner Zeit als Staatsanwalt in Hamburg und bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, wo er in den 60er Jahren jeweils für die Verfolgung von Verbrechen der nationalsozialistischen Zeit zuständig war. Der von ihm beschriebene damalige Zeitgeist lässt einen erschaudern. Interessante Interviews gibt es auch mit Niklas, dem Sohn von Hans Frank, der es als Generalgouverneur Polens während des „Dritten Reiches“ und sogenannter „Polenschlächter“ zu trauriger Berühmtheit gebracht hat, sowie mit der Enkelin und dem Sohn von Hanns Ludin, der als ranghöchster Vertreter des Naziregimes in der nur formell unabhängigen Slowakei das Sagen hatte. Beide Vorfahren wurden nach dem Krieg hingerichtet. Dem Buch beigelegt ist eine DVD mit dem Film „Nationalsozialistische Täterschaft in der eigenen Familie. Erinnerungsberichte der zweiten und dritten Generation“. Es handelt sich um zehn Porträts, in denen Nachkommen von NS-Täterinnen und Tätern über ihre Erkenntnisse und den Auswirkungen auf ihr eigenes Leben berichten. Ein interessantes Kompendium, das möglicherweise jemanden aus der Enkelgeneration inspirieren könnte, sich mal an die Geschichte der eigenen Großeltern zu wagen. Ernst Reuß Nationalsozialistische Täterschaften. Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie, Neuengammer Kolloquien, Band 6 . Hrsg. im Auftrag der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von Oliver von Wrochem unter Mitarbeit von Christine Eckel, € 16.80 |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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