Vor 85 Jahren starb Hans Litten. Am 5. Februar 1938 setzte er seinem Leben ein Ende. Ein Mann, der in der Weimarer Republik für die Gerechtigkeit eintrat und sich nicht nur unter den Nazis viele Feinde gemacht hatte. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in der Nacht des Reichstagsbrandes wurde Hans Litten in „Schutzhaft“ genommen. Als politischer Gefangener kam er ins KZ und musste den roten Winkel tragen. Später ordnete man ihn in Dachau dem „Judenblock“ zu. Als seine Mutter ihn dort das letzte Mal besuchen durfte, trug er nicht mehr den roten Winkel, sondern den gelben Stern. Zahlreiche Versuche, auch von ausländischen Juristen, seine Freilassung zu erreichen, waren vergeblich. Litten wurde physisch und psychisch gequält. Bereits im Sommer 1933 versuchte er vergeblich, sich den brutalen Misshandlungen durch Suizid zu entziehen. Erst nach langen Jahren der Demütigung konnte Litten auf tragische Weise endgültig der Barbarei entfliehen. Am 5. Februar 1938 erhängte er sich im Alter von nur 35 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war Litten schon fast zu Tode gemartert, hatte ein steifes Bein, eingeschlagene Zähne und war auf einem Auge blind. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof Pankow in Berlin. Der am 19. Juni 1903 Geborene war der Sohn eines zum Christentum konvertierten Juden. Seine Mutter entstammte einer schwäbischen Pastoren- und Professorenfamilie. Sein autoritärer Vater Fritz, ein erzkonservativer, bis zur Machtübernahme der Nazis einflussreicher Rechtsprofessor für römisches und bürgerliches Recht, Rektor der Albertus-Universität Königsberg, Berater der preußischen Regierung und Gegner der Weimarer Republik, drängte ihn zum Jura-Studium, das Hans Litten offenbar nur sehr unwillig begann. Seine politische Prägung ging anscheinend eher von der Mutter Irmgard aus, denn schon in seiner Jugend wandte er sich einer jüdischen Jugendgruppe mit sozialrevolutionären Ideen zu und suchte den gesellschaftspolitischen Diskurs. Dies tat er auch in seinem späteren Beruf als Rechtsanwalt. Nach Abschluss seiner mit glänzenden Noten bestandenen Examina lehnte Hans Litten Angebote renommierter Anwaltskanzleien sowie des Reichsjustizministeriums ab und ließ sich 1928 mit einem sozial engagierten, der KPD nahestehenden Rechtsanwalt in einer gemeinsamen Anwaltskanzlei in Berlin nieder. Durch seinen Partner bekam er Kontakt zu der von Wilhelm Pieck und Clara Zetkin gegründeten Roten Hilfe, die Rechtsschutz für Arbeiter organisierte. Bereits einer der ersten Prozesse des frisch zugelassenen Rechtsanwalts Litten erregte großes Aufsehen. Er vertrat Arbeiter, die Jahre zuvor im März 1921 wegen Widerstandes gegen den vom preußischen Innenminister befohlenen Polizeieinmarsch in mitteldeutsche Industrieorte zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt worden waren. Bei einigen seiner Mandanten gelang ihm eine Anerkennung als politische Täter. Sie fielen damit unter eine Amnestie und kamen umgehend frei. Litten ging es in seinen zahlreichen Verfahren um die Aufdeckung der Methoden der Polizei und der Verantwortlichkeit bis in die höchsten politischen Kreise. Er vertrat meist Opfer von Polizeiübergriffen und faschistischen Überfällen. Litten strebte grundsätzlich immer einen Freispruch oder gegebenenfalls eine tatangemessene Bestrafung an, was mitunter zu Konflikten mit der Roten Hilfe und der KPD führte, die es lieber gesehen hätte, wenn er mit seinen Prozessen politische Märtyrer geschaffen hätte. In der sozialen und politischen Umbruchzeit erwarb sich Litten als Nebenkläger und Verteidiger bald einen Ruf als hervorragender Verteidiger bei politischen Prozessen, da er diese Prozesse mit öffentlichkeitswirksamen Zeugenvernehmungen zu Tribunalen umfunktionierte. Das führte einmal dazu, dass er als Verteidiger und Nebenklägervertreter abgelehnt wurde, weil er laut Gericht eine „hemmungslose parteipolitische Propaganda im Prozess entfaltet“ und „den Gerichtssaal zum Tummelplatz politischer Leidenschaften“ gemacht haben soll. Es sollte bei diesem Prozess um einen Überfall von Schlägertrupps der SA auf eine Laubenkolonie in Berlin-Reinickendorf gehen, bei dem 1932 ein Mann ermordet wurde. Ein Mord, bei dem die Angeklagten zu Weihnachten amnestiert wurden. Nach dem Opfer Fritz Klemke ist heute vor Ort eine Straße und der Park benannt. In einem seiner bekanntesten Prozesse verteidigte Litten im Jahr 1929 Teilnehmer des sogenannten Blut-Mais, einer Erste-Mai-Kundgebung in Berlin, bei der mehr als 30 Demonstranten getötet und Hunderte verletzt wurden. Litten, der die Demonstration und das brutale Vorgehen der Polizei selbst beobachtet hatte und von Polizisten zusammengeschlagen worden war, als er die Namen von Zeugen und Opfern notierte, erstattete erfolglos Anzeige gegen den damaligen sozialdemokratischen Berliner Polizeipräsidenten Zörgiebel wegen Anstiftung zum Mord in 33 Fällen. Danach gründete er zusammen mit Alfred Döblin, Heinrich Mann und Carl von Ossietzky einen „Ausschuß zur Untersuchung der Berliner Maivorgänge“, um angeklagte Arbeiter zu unterstützen. Zur Katastrophe des sogenannten Blut-Mais mit seinen zahlreichen Opfern war es gekommen, weil öffentliche Demonstrationen unter freiem Himmel wegen vieler gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken verboten worden waren. Die KPD wollte sich den Kampftag der Arbeiterbewegung aber nicht nehmen lassen und hatte trotzdem zur Demonstration unter freiem Himmel aufgerufen. SPD und Gewerkschaften konnten sich nicht dazu entschließen, sie versammelten sich in Hallen, während die KPD am Vorabend des 1. Mai Flugblätter verteilte, auf denen wahrheitswidrig behauptet wurde, das Demonstrationsverbot sei aufgehoben worden. 8000 Menschen, hauptsächlich in den Berliner Arbeitervierteln Wedding und Neukölln, folgten dem Aufruf und demonstrierten in vielen kleinen Gruppen. Es waren deutlich weniger Teilnehmer, als die KPD erwartet und die Polizei befürchtet hatten. Trotzdem aber ging die Polizei schon morgens unter Einsatz von Schlagstöcken und Spritzenwagen gegen die Demonstrationsgrüppchen vor, vereinzelt wurden auch Warnschüsse abgegeben. Die Gewalt eskalierte, und die Polizei beschoss sogar Wohngebäude, an denen rote Fahnen aufgehängt waren. Nach seiner Rückkehr von der SPD-Kundgebung im Sportpalast wurde ein Mitglied der SPD von einem Polizisten erschossen, als er der Aufforderung, sein Wohnungsfenster zu schließen, nicht sofort nachkam. Am Tag danach rief die KPD zu Massenstreiks auf, was von etwa 25 000 Arbeitern befolgt wurde, doch die Übergriffe der Polizei gingen weiter. Polizisten durchkämmten die Arbeiterviertel, durchsuchten Wohnungen und nahmen zahlreiche Menschen fest. Es galt eine strenge Ausgangssperre, straßenseitige Fenster mussten geschlossen und die Räume durften nicht beleuchtet werden. Kurz vor Mitternacht des 3. Mai wurde ein neuseeländischer Journalist von der Polizei erschossen, weil er vermutlich die Aufforderung zum Verlassen der Straße nicht verstanden hatte. Er war der letzte Tote des sogenannten Blut-Mais. Eine amtliche Untersuchung der Polizeiübergriffe fand dennoch nicht statt, kein Polizist wurde angeklagt. Aber Litten machte die Vorfälle in Prozessen öffentlich und schuf sich weitere Feinde nicht nur am rechten Rand. Am gefährlichsten für ihn wurde jedoch der 1931 stattfindende Prozess um den SA-Überfall auf das Tanzlokal Eden in Berlin-Charlottenburg. Hans Litten vertrat einige der verletzten Arbeiter und wollte die Verantwortung der obersten Parteiführung der NSDAP beweisen. Er beantragte Adolf Hitlers Zeugenvernehmung, was auch geschah. Im Laufe der Vernehmung schaffte es Litten, Hitler in die Enge zu treiben, bis dieser sich unter Eid in seinen eigenen Lügen verstrickte, Litten wütend mit hochrotem Kopf anbrüllte und jegliche Fassung verlor. Hitler war blamiert. Ein Erfolg für Litten und für die Hitlergegner, aber auch ein tragischer Pyrrhussieg, denn das sollten ihm seine rachsüchtigen Gegner nie verzeihen. Am 10. Mai 1951 erhielt die Neue Friedrichstraße, an der sich das damalige Berliner Kammer-, Land- und Bezirksgericht der „östlichen Hemisphäre“ befanden, den Namen Littenstraße. Im ehemaligen Gebäude des späteren Obersten Gerichts der DDR ist heute das Landgericht Berlin und Amtsgericht Berlin-Mitte untergebracht. Dort wurde zusätzlich eine Gedenktafel für Hans Litten installiert und im Gerichtsgebäude eine Büste aufgestellt. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die Rechtsanwaltskammer Berlin haben heute ihren Hauptsitz in der Littenstraße 9, Hans-Litten-Haus genannt. Außerdem hat die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen ihren alle zwei Jahre verliehenen Preis für demokratisches Engagement nach Hans Litten benannt. Vor seinem ehemaligen Wohnort in Berlin-Mitte ist heute ein Stolperstein verlegt zbd auch eine Schule in Berlin - Charlottenburg wurde nach ihm benannt. Nicht zu vergessen spielt Hans Litten auch in der vielfach ausgezeichneten Erfolgsserie „Babylon Berlin“ eine entscheidende Rolle. Trotzdem ist er nicht nur unter Juristen immer noch weitgehend unbekannt und es lohnt sich seiner auch an seinem 85.Todestag zu erinnern. Ernst Reuß, in: Berliner Zeitung vom 03. Februar 2023 (Open Source) (vom Autor erschien 2022 das Buch „Endzeit und Neubeginn, Berliner Nachkriegsgeschichten“ im Metropol Verlag) Am 10. Mai 1951 erhielt die Neue Friedrichstraße, an der sich das Berliner Kammer-, Land- und Bezirksgericht der „östlichen Hemisphäre“ befanden, den Namen Littenstraße. Geehrt wurde mit dieser Umbenennung der 1938 im KZ gestorbene Jurist Hans Litten, der sich in der Weimarer Republik einen Namen als „Arbeiter-Anwalt“ gemacht hatte. Der 1903 Geborene war der Sohn eines zum Christentum konvertierten Juden. Seine Mutter entstammte einer schwäbischen Pastoren- und Professorenfamilie. Sein autoritärer Vater, ein erzkonservativer, einflussreicher Rechtsprofessor und Gegner der Weimarer Republik, drängte ihn zum Jura-Studium, das Hans Litten offenbar nur sehr unwillig begann. Seine politische Prägung ging anscheinend eher von der Mutter aus, denn schon in seiner Jugend wandte er sich einer jüdischen Jugendgruppe mit sozialrevolutionären Ideen zu und suchte die politische Auseinandersetzung. Dies tat er auch in seinem späteren Beruf als Rechtsanwalt. (...) Bereits einer der ersten Prozesse des Rechtsanwalts Litten erregte Aufsehen. Er vertrat Arbeiter, die wegen Widerstandes gegen den vom preußischen Innenminister befohlenen Polizeieinmarsch in mitteldeutsche Industrieorte zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt worden waren. (...) In einem seiner bekanntesten Prozesse verteidigte Litten im Jahr 1929 Teilnehmer des sogenannten Blut-Mais, einer Erste-Mai-Kundgebung in Berlin, bei der mehr als 30 Demonstranten getötet und Hunderte verletzt wurden. Litten, der die Demonstration und das brutale Vorgehen der Polizei selbst beobachtet hatte und von Polizisten zusammengeschlagen worden war, als er die Namen von Zeugen und Opfern notierte, erstattete erfolglos Anzeige gegen den damaligen Berliner Polizeipräsidenten wegen Anstiftung zum Mord in 33 Fällen. (...) Am gefährlichsten für ihn wurde jedoch der Prozess um den SA-Überfall auf das Tanzlokal Eden in Berlin-Charlottenburg. Hans Litten vertrat einige der verletzten Arbeiter und wollte die Verantwortung der obersten Parteiführung der NSDAP beweisen. Er beantragte Adolf Hitlers Zeugenvernehmung, was auch geschah. Im Laufe der Vernehmung schaffte es Litten, Hitler in die Enge zu treiben, bis dieser sich unter Eid in seinen eigenen Lügen verstrickte, Litten wütend mit hochrotem Kopf anbrüllte und jegliche Fassung verlor. Hitler war blamiert. Ein Erfolg für Litten und die Hitlergegner, aber auch ein tragischer Pyrrhussieg. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Hans Litten in „Schutzhaft“ genommen. Zahlreiche Versuche, auch von ausländischen Juristen, seine Freilassung zu erreichen, waren vergeblich. Litten wurde physisch und psychisch gequält. Im Sommer 1933 versuchte er vergeblich, sich den brutalen Misshandlungen durch Suizid zu entziehen. (...) Am 5. Februar 1938 erhängte er sich. Zu diesem Zeitpunkt war Litten schon fast zu Tode gemartert, hatte ein steifes Bein, eingeschlagene Zähne und war auf einem Auge blind. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof Pankow in Berlin." (zitiert aus: Ernst Reuß, Endzeit und Neubeginn. Berliner Nachkriegsgeschichten, Metropol Verlag, Berlin 2022, 282 Seiten, S. 187 ff.) Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Oktober 2024
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