Mala Zimetbaum wird 1918 in der Kleinstadt Brzesko in der Nähe von Krakau geboren. Ihre Eltern sind Juden aus einfachen Verhältnissen. In ihrem Elternhaus wird deutsch gesprochen. Aus wirtschaftlichen Gründen und weil es immer wieder antisemitische Anfeindungen gibt, wechselt die Familie den Wohnort: von Brzesko nach Mainz, dann nach Ludwigshafen, schließlich nach Antwerpen. Mala spricht neben Polnisch und Deutsch auch Jiddisch, Flämisch und Französisch. Ihr Leben endet mit nur 26 Jahren nahe ihres Geburtsortes: in Auschwitz.
Barbara Beuys, eine Historikerin, hat sehr gründlich recherchiert und legt mit viel Einfühlungsvermögen wichtige Informationen über das Judentum, den grassierenden Antisemitismus und die Nazibesatzung in Belgien dar. Die Entrechtung geht schleichend voran, immer mit der Hoffnung verbunden, dass es besser werden wird. Wird es nicht. Letztendlich kommt es auch in Belgien zu Deportationen. Am 15. September 1942 wurde Mala Zimetbaum nach Auschwitz deportiert. Wahrscheinlich genau zwei Jahre später starb sie dort. Sie überlebte nur solange, weil sie aufgrund ihrer Sprachkenntnisse als Dolmetscherin und „Läuferin“ Funktionshäftling war, was mit gewissen Privilegien einherging. Da sie für Botengänge innerhalb des Lagers eingesetzt wurde, konnte sie sich relativ frei zwischen verschiedenen Lagerblöcken bewegen und anderen Insassen helfen. Mala organisiert heimlich zusätzliches Essen, Kleidung oder Medikamente für die gefangenen Frauen und informiert über den Fortgang des Krieges. Auch Todgeweihte sollen auf ihre Intervention hin von der Selektionsliste gestrichen worden sein. Ihre Geschichte lässt sich weitgehend nur aus den Erinnerungen von Mithäftlingen rekonstruieren. Es gibt zahlreiche Auschwitz-Überlebende, die ihr mutiges Handeln im Todeslager dokumentierten. Sie soll eine kluge, energische und politische junge Frau gewesen sein, die von einem freien Staat Israel träumte, wo sie als Sprachlehrerin in einem Kibbuz arbeiten wollte. Im Lager verliebt sich Mala Zimetbaum in einen jungen katholischen Polen, der als politischer Häftling nach Auschwitz deportiert worden war. Im Juni 1944 begibt sich das verliebte junge Paar auf die Flucht. Die Flucht gelingt, aber bereits am 6. Juli 1944 werden die beiden gefasst. Ihr Freund wird hingerichtet. Sie soll vor den Augen ihrer Mithäftlinge gehängt werden, versucht der SS aber zuvorzukommen, schneidet sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern auf, schlägt einem SS-Mann vor den versammelten Lagerinsassen mit der blutigen Hand ins Gesicht und wird ermordet. Möglicherweise lebendig im Krematorium verbrannt. Mala Zimetbaum symbolisiert jüdischen Widerstand in Auschwitz. Barbara Beuys erinnert an eine außergewöhnliche, fast vergessene Frau. Nicht lange nach ihrem Tod brach am 7. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz eine Revolte aus. Mehrere Dutzend Häftlinge gingen mit Waffen und Steinen auf die SS-Offiziere los. Andere versuchten, das Krematorium in Brand zu setzen. Nach ein paar Stunden war alles vorbei: Schwer bewaffnete SS-Einheiten schlugen den Aufstand nieder, 451 Häftlinge wurden sofort hingerichtet. Es war der einzig bewaffnete Aufstand in dem Vernichtungslager. Mala soll darüber schon vorher informiert gewesen sein. Sowohl das, als auch Mala Zimetbaum sind weitgehend unbekannt. Das sollte anders werden. Ernst Reuß Barbara Beuys: Die Heldin von Auschwitz. Leben und Widerstand der Mala Zimetbaum. Insel Verlag, Berlin 2023. 333 S., 26,00 Euro Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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