Tausende Deutsche aus allen Regionen des „Dritten Reiches“ wurden in den Osten deportiert und unmittelbar nach Ankunft in einem Wäldchen namens Biķernieki in der Nähe Rigas erschossen und in 55 Massengräbern verscharrt.
In Biķernieki existiert seit 2001 ein Mahnmal. Stelen aus Granit in unterschiedlicher Größe und Farbe erinnern nun an die vielen Opfer und benennen die Orte aus denen die Transporte kamen. Auf einem Gedenkstein steht auf Hebräisch, Russisch, Lettisch und Deutsch: „ACH ERDE, BEDECKE MEIN BLUT NICHT, UND MEIN SCHREIEN FINDE KEINE RUHESTATT!“ Nicht nur in Biķernieki kam es zu Massenerschießungen, auch im nicht weit entfernten Wald von Rumbula geschah dies. Bei den Opfern dort handelte sich meist um lettische Juden aus dem Ghetto Riga, aber auch um deutsche Juden, die am 27. November 1941 von Berlin aus deportiert worden waren. Das wunderbar zu lesende Buch von Valentina Freimane erzählt davon: „Allerdings erfuhren wir das alles erst in den folgenden Tagen. Damals, Ende November, Wussten wir noch nichts Genaues — bis auf die Tatsache, dass niemand mehr ins Ghetto zurückgekehrt war. Am 8. Dezember fand die zweite ‘Aktion’ statt, bei der diejenigen Ghettobewohner, die den 29. und 30. November überlebt hatten, ebenfalls erschossen wurden. Übrig blieben die Arbeitskräfte im Kleinen Ghetto — die Männer, deren Familien soeben ausgelöscht worden waren. Beide Male wurden die Kolonnen vollkommen offen für jeden sichtbar durch die Straßen der Moskauer Vorstadt nach Süden getrieben. Schon bald verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, die Ghettoinsassen seien nicht in ein anderes Lager gebracht worden, sondern man habe sie vor den Toren der Stadt erschossen, wahrscheinlich im Wald von Rumbula. Es kam mir bezeichnend vor, dass die Behörden nicht einmal versuchten, solche Gerüchte zu dementieren. Alle einigten sich quasi stillschweigend darauf, über das Geschehene kein Wort zu verlieren. Mit der Zeit begannen wahrscheinlich viele selber zu glauben, dass sie von nichts wussten. Es war, als hätte es diese Tausende von Menschen nie gegeben. Unterdessen blieb das Ghetto nicht leer, sondern begann sich mit Juden zu füllen, die aus Mitteleuropa hierher ‘evakuiert’ wurden. Auch das wussten alle, die es wissen wollten. Bereits am 30. November traf der erste Zug aus Berlin ein. Da das Ghetto noch nicht vollständig geräumt war, wurden die mehr als tausend Berliner Juden als erste in Rumbula erschossen. Dann trafen nach und nach Transporte mit Juden aus Deutschland und Österreich ein. Anfang 1942 war ihre Anzahl so weit angestiegen, dass man begann, die älteren von ihnen direkt bei der Ankunft der Züge auf dem Bahnhof Skirotava zu erschießen. Heute ist die Zahl der Menschen, die getötet oder in andere Konzentrationslager weitertransportiert wurden, bekannt. Insgesamt sollen aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei um die 25 000 Menschen nach Riga verschleppt worden sein. 11 000 von ihnen wurden ermordet; einige weitere tausend kamen aus Ungarn und Litauen. Mehrere Transporte gingen auch nach Estland. Die letzten, die ins nunmehr leere Rigaer Ghetto deportiert wurden, sollen Juden aus Köln gewesen sein. Dima und Emilija überbrachten erschütternde Berichte von Augenzeugen. Das Gepäck, das die Ghettobewohner mitgebracht hatten, wurde ihnen abgenommen, und am Rand der Grube zwang man sie, sich völlig zu entkleiden. Nach der den ganzen Tag andauernden Erschießung von Kindern, Frauen und Greisen warfen die betrunkenen Todesschützen die Kleidungsstücke auf Lastwagen und brachten sie in die Stadt zurück, wo sie verteilt oder verkauft wurden. In einigen europäischen Staaten versuchten die Bürger, ihre Juden auf organisierte Weise zu verteidigen, was in Dänemark und Bulgarien auch gelang; auch die Juden selbst leisteten bewaffneten Widerstand, obgleich sie wussten, dass ihr Kampf aussichtslos war. Das berühmteste Beispiel hierfür ist der Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. Bei uns geschah weder das eine noch das andere. Die Mehrheit unserer Juden ergab sich wie gelähmt in ihr Schicksal. In den beiden »Aktionen« am 30. November und 8. Dezember 1941 kamen fast alle meine Angehörigen ums Leben -meine Mama und ihre Eltern, meine Großmutter väterlicherseits, Onkel Max, die Familien meiner Tanten mit den kleinen Cousins - insgesamt siebzehn meiner nächsten Verwandten. Offenbar wurden sie bereits mit der ersten Marschkolonne aus dem Ghetto gebracht, doch wirklich wissen werde ich es nie.“ (aus: Valentina Freimane, Adieu Atlantis, S. 248 f.) Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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