Der preisgekrönte Sachbuchautor Harald Jähner beschreibt in seinem neuen, wunderbar illustrierten Buch die Zeit zwischen den Kriegen von 1918 bis zu Hitlers Machtübernahme, also Aufstieg und Niedergang der Weimarer Republik.
Es geht um Revolution, Inflation, Wirtschaftsaufschwung, sexuelle Befreiung und um die „Goldenen Zwanziger“. Es geht um das Bauhaus, um Emanzipation, um Schmeling und den „Bubikopf“, um Billy Wilder als Eintänzer im Eden Hotel, Babylon Berlin mit Moka Efti und Haus Vaterland sowie sonstige Episoden aus der Zwischenzeit. Es geht um Stummfilm versus Tonfilm und um Marlene Dietrich versus Leni Riefenstahl, es geht um Josephine Baker und um die schillernd queere Community, die damals schon den Unmut von konservativen Bevölkerungsteilen hervorrief. Das Buch beginnt aber mit dem erfolglosen Kapp Putsch. Jähner berichtet: „Die Mehrheit der Deutschen zeigte Wolfgang Kapp jedoch, dass er nicht die geringste Gefolgschaft zu erwarten hatte. Der größte Generalstreik der deutschen Geschichte ließ das öffentliche Leben vollständig erlahmen. Nichts funktionierte mehr. Keine Post wurde ausgeliefert, der Strom blieb aus, das Telefon streikte, die Warenhäuser blieben zu. Nach fünf Tagen gaben Kapp und Lüttwitz auf - wie Reiter eines Pferdes, das sich einfach in den Morast legt, statt weiterzutraben. Verbittert zog die Brigade Erhardt wieder aus Berlin ab, nicht ohne am Brandenburger Tor noch auf die schaulustige Menge zu schießen, die sich mit höhnischen Rufen von ihr verabschiedeten. Zwölf Menschen starben, dreißig wurden verletzt.“ Das Buch endet mit Hitlers Machtübernahme, bei der vom Widerstand des Volkes nichts mehr zu spüren war. Ganz im Gegenteil. Populisten von links und von rechts hatten zuvor die Demokratie sturmreif geschossen, die sich zuvor auch nicht als sonderlich wehrhaft erwies. Es gab viele politische Anschläge und Morde, die Justiz war auf dem rechten Auge weitgehend blind. Jähner erinnert an eher unbekannte Opfer rechter Militärs wie Hans Paasche über den der Diplomat und Publizist Harry Graf Kessler 1920 in sein Tagebuch schrieb: „Man erfährt, daß in den Pfingsttagen der Pazifist Paasche von Reichswehrsoldaten auf seinem Gute ermordet worden ist. Natürlich ›auf der Flucht‹ (…) Die Sicherheit für politisch Mißliebige ist gegenwärtig in Deutschland geringer als in den verrufensten südamerikanischen Republiken oder im Rom der Borgia.“ Wenn Rechte und Linke sich mit Kulturpessimismus und Elitenbashing hetzend annähern fühlt man sich manchmal in die Jetztzeit versetzt, was sicherlich vom Autoren beabsichtigt ist. Die Gesellschaft wurde dadurch gespalten. Das behauptet man auch heute. „Alles schon mal dagewesen“ könnte man meinen, wenn man das Buch liest und kann nur hoffen, dass es in der Jetztzeit nicht genauso endet. Jähner drückt es folgendermaßen aus: „Das Vertrauen in die junge Republik, die nun schon die zweite heftige Wirtschaftskrise durchlebte, schwand von Monat zu Monat. Wie sollte man den wachsenden Unruhen begegnen? Ratlos sah man die Ängste und Hysterien, Hass und Gewaltlust wachsen.“ „Höhenrausch“ heißt das Buch, welches er dem Buch „Wolfzeit“ folgen lässt, in dem er das erste Nachkriegsjahrzehnt ab 1945 beschrieben hat. Flott und vergnüglich geschrieben. Sehr lesenswert! Ernst Reuß Harald Jähner, „Höhenrausch“. Das kurze Leben zwischen den Kriegen. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2022. 560 S., 50 Abb., geb., 28 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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