„Dieses Buch geht zurück auf eine mehrjährige Recherche für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) und das Handelsblatt. Was mit einem Fall von illegaler Polizeigewalt begann, auf den wir 2017 aufmerksam gemacht wurden, weitete sich schnell aus zu einer vertieften Langzeitbeobachtung. Denn recht bald wurde uns klar, dass hinter Polizeigewalt und anderem polizeilichem Fehlverhalten ein Systemversagen steckt.“ So beginnt das Buch „Tatort Polizei“ von zwei renommierten Journalisten vom Handelsblatt, beziehungsweise vom WDR.
Es ginge nicht darum die Polizei unter Generalverdacht zu stellen, sondern man wolle lieber dafür „streiten, das das Wirken der Polizei durch unabhängige Kontrolle gegen Zweifel und Vertrauensverlust schützt.“ schreiben die Autoren Jan Keuchel und Christina Zühlke in ihrem Vorwort. Es geht also darum Vertrauen zu generieren. Das Buch ist ein Plädoyer für unabhängige Ermittlungsbehörde auch gegen homophobe, rassistische und rechtsradikale Umtriebe. Es sind keine absolut spektakulären Fälle über die berichtet wird, sondern die eher unspektakulären, wie den einer gewaltsamen Festnahme am Christopher Street Day in Köln, der sich durch das ganze Buch zieht. Spektakulär wird der Fall erst mit der Vehemenz der Staatsanwaltschaft, die das Opfer und nicht die vermeintlichen Täter verfolgt. Erst nach Jahren und mehreren Prozessen, wird von einem nicht der Kumpanei verdächtigen Richter Recht gesprochen. Der Angeklagte wird freigesprochen, Polizei und Staatsanwaltschaft stehen am Pranger. Der Polizei wird ein schwerer Job, aber auch rechtswidriges Handeln attestiert. Die Staatsanwaltschaft gibt trotzdem nicht klein bei und erwirkt ein weiteres Verfahren - ebenfalls erfolglos. Die Ermittlungen gegen die Polizei gehen nur sehr, sehr langsam voran und enden nach Jahren mit einer Einstellung des Verfahrens gegen eine geringe Geldbuße. Ermittelt hatte dieselbe Staatsanwältin, die das Verfahren gegen das Opfer mit aller Vehemenz vorantrieb. Wenn Polizisten das Gesetz brechen, werden sie in den meisten Fällen nicht angezeigt, denn die Opfer fürchten zurecht die Ausweglosigkeit dieses Unterfangens. Bei Ermittlungen errichten Polizisten aufgrund des „Korpsgeistes“ oftmals eine „Mauer des Schweigens“. Aussagen werden verweigert und man deckt sich gegenseitig. Ein anderer Fall: eine Hinweisgeberin von rechtsradikalen Chats, wurde erst vom zuständigen Innenminister gelobt, dann vom Polizeipräsidium suspendiert. Die Verfasser der rechtsradikalen Chats erst mal nicht. Wer bei der deutschen Polizei intern aufbegehrt oder gar Kollegen anzeigt, büßt oft mit Schikane und Mobbing. Wenn wie im Ausgangsfall Polizisten beleidigen, drohen und schlagen, werden sie so gut wie nie bestraft. Nur selten kommt es zu einer Anklage. Zumindest nicht gegen die Polizeibeamten. Geht ein Verfahren gegen Polizisten doch einmal vor Gericht, dann sprechen Polizisten ihre Aussagen offenbar ab. In diesem Fall hatte eine Polizeischülerin nicht mitgemacht. Schnell wurde trotzdem auch hier ein „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ konstruiert und mit einer Gegenanzeige gekontert. Solche Fälle sind vielfach belegt. Die Staatsanwaltschaft hat eigentlich die Aufgabe nicht nur die belastenden, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände objektiv zu ermitteln und wird daher häufig auch als „objektivste Behörde der Welt“ bezeichnet. Mit der Wirklichkeit hat das nur zum Teil zu tun, denn Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten eng zusammen. Das „Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei“ ist ein Dauerthema der justiz- und kriminalpolitischen Diskussion in Deutschland. Offiziell gelten Polizisten als „Hilfsbeamte“ der Staatsanwaltschaft, auch wenn es oft umgekehrt scheint. Objektiv wirkt die Staatsanwaltschaft, wie in den im Buch beschriebenen Fällen, oftmals nicht. In anderen Ländern funktionieren Ermittlungen gegen Polizisten anders: Sie sind ausgelagert und unabhängig. Neutrale Ermittlungsbehörden helfen auch gerade der Polizei selbst, denn die stünde dann nicht mehr im Geruch des Korpsgeistes. Das würde ihnen in ihrem - gerade in der heutigen Zeit - äußerst schwierigen Job, letztendlich viel mehr nutzen, als Taten von schwarzen Schafen innerhalb der Behörde zu verschleiern. In Deutschland wehrt sich nicht nur die Polizeigewerkschaft gegen solche Pläne. Ernst Reuß Keuchel, Jan / Zühlke, Christina, Tatort Polizei, Gewalt, Rassismus und mangelnde Kontrolle, ein Report, München 2021, 219 S., 16 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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