Ende März 1946 wurde in der Nähe des Strandbads Wannsees in einem Schützenloch die weitgehend verweste Leiche einer Unbekannten gefunden.
Aus diesem Grund lag die Vermutung nahe, dass es sich um ein Opfer aus der Endphase des Krieges handeln könnte. Die Polizei war sich jedenfalls vollkommen sicher. Im Kriminaltagebuch wurde der Fall unter der Überschrift „Tod durch Feindeinwirkung“ beschrieben. Die Ermittlungsbeamten sollten sich jedoch gewaltig irren, denn bei der Toten handelte es sich um die 28-jährige Liesbeth Hobeck, die ein halbes Jahr zuvor am 3. Oktober 1945 von zwei Männern erschlagen worden war. Ihr Mörder war der im Sudetenland geborene Walter Rampfel, Mittäter ein Österreicher namens Manfred Lentner. Nach Kriegsende hatten sich Rampfel und Lentner im Kriegsgefangenenlager Sagan in Niederschlesien kennengelernt, am 30. August 1945 waren sie gemeinsam entlassen worden. Rampfel folgte seinem Kumpel nach Berlin, wo Lentner seine Ehefrau suchte, die er während der Kriegsjahre geheiratet hatte. Aber er fand sie in den Nachkriegswirren in einem zerstörten Land voller Flüchtlinge und Heimatlosen nicht. Lentner, der schon immer gerne mehrgleisig gefahren war, suchte daher eine frühere Geliebte in derselben Stadt auf. Rampfel wurde im gleichen Haus bei Liesbeth Hobeck untergebracht, mit der er sogleich ein Verhältnis begann. Sie wollte heiraten, er nicht. Lentner wollte in diesem Konflikt vermitteln und ihm soll sie laut dessen späteren Aussage gesagt haben: „lieber sterben als von ihm lassen.“ Hobeck hielt ihren Liebhaber jedenfalls finanziell aus und verkaufte dafür ihre gesamten Habseligkeiten. Schließlich ging Rampfel zum Schein auf Hobecks Heiratswunsch ein und erklärte, er wolle mit ihr in ihren Heimatort Datteln in Westfalen ziehen, um sie dort zu ehelichen. In Datteln wohnte ihre Mutter, und Hobeck hatte auch ihre vier Kinder dort untergebracht. Sie träumte wohl von einem trauten Familienleben in der Kleinstadt. In Wahrheit planten Rampfel und sein Kumpel Lentner etwas ganz anderes: Rampfel sagte aus: „Liesbeth ließ in ihrem Wahnsinn, mich zum Gatten zu haben, nicht nach, und so wurden wir uns einig, sie im Zug sitzen zu lassen, nachdem wir sie nicht überzeugen konnten. Ihr Geld, am Tag der Abfahrt noch gut RM 2000 zählend gab sie mir schon die letzten 14 Tage vorher. Auch ihren Schmuck, aus Ring und Ohrgehänge bestehend, gab sie mir, da sie Angst hatte, die Russen nähmen es ihr ab.“ Als sie am Bahnhof Wannsee angekommen waren, mussten sie mehrere Stunden auf den Anschlusszug warten und machten es sich in der Nähe im Wald gemütlich, um ein wenig auszuruhen. Das nutzte Lentner aus, um Liesbeth mit einem Winkeleisen zu erschlagen, während Rampfel ihr den Mund zuhielt. So zumindest Rampfels schriftliches Geständnis, das natürlich stark beschönigend war: „Sie wollte lieber sterben, als Dich zu lassen, und den Gefallen habe ich ihr getan“, soll Lentner nach der Tat gesagt haben. Danach fuhren beide wieder zurück nach Berlin, wo bereits zwei neue Frauen auf sie warteten. Männer waren schließlich Mangelware in der Nachkriegszeit. Weil die zwei Halunken aber befürchteten, Hobeck sei gefunden worden, erfasste sie nach wenigen Tagen die Panik, und sie flüchteten nach Großröhrsdorf in der Nähe von Dresden, wo Rampfels Mutter und seine Schwester inzwischen wohnten. Im Dezember 1945 meldete Hobecks Mutter ihre Tochter als vermisst. Schon bald waren die letzten Reisebegleiter von Liesbeth Hobeck ausfindig gemacht. In Großröhrsdorf wurde Rampfel festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Der verheiratete Lentner, der dort inzwischen eine Frau aus der Gegend geehelicht hatte, nachdem er bei Rampfels Schwester nicht weitergekommen war, hatte sich rechtzeitig aus dem Staub machen können. Später widerrief Rampfel sein Geständnis und behauptete, Lentner habe die Tat alleine verübt, und er selbst sei so dumm gewesen, einen heiligen Eid zu schwören, ihn nicht zu verraten. Dieses erneute mehrseitige schriftliche Geständnis, mit dem er sich vollkommen reinwaschen wollte, war ziemlich durchsichtig, und so glaubte ihm niemand. Mit Urteil vom 20. Februar 1947 wurde Rampfel zum Tod verurteilt und am 6. April 1948 hingerichtet. Doch ist die Geschichte hiermit nicht zu Ende, denn Lentner war ja immer noch auf der Flucht. Er wurde zwar in Österreich festgenommen, konnte aber 1947 aus dem Kreisgefängnis Korneuburg fliehen und tauchte danach, zuletzt mit dem Namen Walter Praxmarer, unter. Von seiner erneuten Festnahme in Rabat in Marokko erfuhr die Berliner Generalstaatsanwaltschaft erst Jahre später von einem Redakteur der Zeitung „Tagesspiegel“, der Auslandsnachrichten, darunter auch spektakuläre und glamouröse Geschichten aus dem Jetset, verfolgte. Der Spiegel berichtete 1951: „Als die schlanke 80-Tonnen-Zweimast-Jacht ‚Kangaroa‘ (deutsch: ‚Känguruh‘) des australischen Riviera-Nichtstuers Freddie McEvoy an einem Abend der vorletzten Woche in einem Sturm (Windgeschwindigkeit 110 Stundenkilometer) auf der Höhe der Stadt Mazagan (Marokko) auf ein Riff lief und sank, blieb eine Menge offener Fragen zurück.“ Der Eigentümer der Jacht war ein bekannter Mann. Frederick Joseph McEvoy, wegen seines riskanten Lebensstils Suicide Freddie genannt, hatte als Bobfahrer 1937 und 1938 bei Weltmeisterschaften drei Gold- und zwei Silbermedaillen gewonnen. Außerdem war er der britische Fahnenträger bei den Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen und der erste Australier, der eine Medaille – Bronze – bei den Olympischen Winterspielen gewann. Nebenbei fuhr er Autorennen, lebte später in Hollywood und brachte es neben seinem guten Freund Errol Flynn, dessen Trauzeuge er war, zu Kurzauftritten in zwei Filmen. Als Playboy heiratete er drei wohlhabende Erbinnen, die entweder doppelt oder halb so alt wie er selbst waren. Es wurde allerdings auch gemunkelt, dass er als Waffen- und Alkoholschmuggler mit seiner Jacht eine Menge Geld verdiente. Marokko galt als Schmuggelumschlagplatz, vor allem für den Ostblock. Die Umstände seines Todes am 7. November 1951 waren mysteriös. Der Spiegel berichtete: „Wie kam es, daß die ‚Kangaroa‘, ein vollkommen seetüchtiges Fahrzeug, bei so schlechtem Wetter so dicht unter der Küste gekreuzt hatte? Der französische Stewart, der spanische Koch (beide vorbestraft) und die Zofe Cécile Bruneau waren ertrunken. Freddie McEvoy hatte seine hübsche, blonde Frau Claude, 27, an einen Mast gebunden und war über Bord gesprungen, um Hilfe zu holen. Er ertrank, obwohl er ein ausgezeichneter Schwimmer und Amateur-Unterwasserjäger war. Wie kam es, daß sich die drei restlichen Mitglieder der Mannschaft, der Deutsche Willi Gehring, Maat, der Österreicher Franz Krotil, Matrose, und der Österreicher Walter Praxmarer, alle drei sehr mittelmäßige Schwimmer, an die Küste retten konnten?“ Angeblich hatte Suicide Freddie von Walter Praxmarers alias Manfred Lentners Tat in Berlin gewusst. Aber die Polizisten vor Ort konnten nicht feststellen, inwieweit Lentner in den vermeintlichen Schmuggel seines Chefs involviert war – und ob er auch McEvoy getötet hatte. Lentner wurde daher nach einem Jahr Ermittlungen und Untersuchungshaft von Marokko an Österreich ausgeliefert und dort am 7. Mai 1954 wegen des Mordes an Liesbeth Hobeck und wegen Bigamie zu 15 Jahren schweren Kerkers verurteilt, „verschärft durch [...] einsame Absperrung in dunkler Zelle an jedem 3. Oktober (dem Tag des Mordes) jeden Jahres der Strafhaft.“ Danach verliert sich seine Spur. (aus: Ernst Reuß, Endzeit und Neubeginn. Berliner Nachkriegsgeschichten, Metropol Verlag, Berlin 2022, 282 Seiten, S. 85 ff.) Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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