Isabel Schayani kennt man von ihren Moderationen im Weltspiegel, aber auch von ihren Reportagen, die immer etwas anders sind als andere Reportagen. Unaufgeregt, aber sehr empathisch.
Ihr Buch „Nach Deutschland“ enthält fünf Reportagen von Flüchtlingen mit dem Ziel Deutschland. Nicht alle kommen dort an. Schayani, hat die Menschen über Jahre auf ihrem Weg begleitet und kann sich aufgrund ihres persischen Vaters und ihrer Religion gut in die Menschen hineinfühlen und deren Gefühle artikulieren. Vier davon sprechen persisch. Das hilft beim gegenseitigen Verstehen, denn Schayani spricht auch persisch, mit deutschem Akzent, wie sie schreibt. Die Migration nach Deutschland und Europa ist seit Jahren ihr wichtigstes Thema. Für ihre Berichte und Reportagen wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Nur selten sieht man ihr bei den Reportagen die Erschütterung an, die sie empfindet bei dem was sie da sieht. Auch die fünf Fälle, die sie beschreibt sind erschütternd und enden keinesfalls als Erfolgsgeschichten, sondern berichten meist von zutiefst traumatisierten Menschen. Sicherlich keine „Asyltouristen“, wie sie von so manchen saturierten populistischen Politikern bezeichnet werden. Es geht um reale Verfolgungsschicksale und um Menschen, die ein besseres Leben suchen. „Game“ nennen sie ihren Versuch, unbemerkt in ein EU-Land zu gelangen. Mit „The Hunger Games“ gibt es ein literarisch verfilmtes Vorbild. Viele ertrinken bei dem Versuch mit einem Schlauchboot anzukommen. Die Gefahr ist ihnen klar, der Leidensdruck aber offensichtlich zu hoch. Safi schleppt sich im Winter zu Fuß über die Balkanroute und wird von Grenzpolizisten mißhandelt. Ruhi fliegt von Teheran zunächst nach Italien, bevor das in Teheran begonnene Martyrium mit bürokratischen und sehr belastenden Hemmnissen weitergeht. Beide verkraften die ganzen Strapazen nicht. Omid will nach Deutschland und landet mit seiner dreijährigen Tochter Nika dann doch in Calais. Mit dem Schlauchboot geht es über den Ärmelkanal nach England. Am selben Tag ertrinken auf dieser Route 27 Menschen, darunter ein Kind. Der Rezensent blättert nach vorne um zu sehen ob es Nika war. Sie war es nicht, andernfalls hätte er wohl nicht weiterlesen können. Man weiß zwar, dass das immer wieder passiert, aber es ist unterträglich. Das Bild des dreijährigen Alan Kurdi hat sich tief in die Seele gebrannt. Schayani berichtet auch über Moria, wo die 9-jährige Melika mit ihren Eltern feststeckt. Wer ihre Reportagen aus Moria gesehen hat, weiß wie angefasst Schayani das vor Ort erlebte und mitfühlte. Dort herrschen Zustände, die allen europäischen Werten widersprechen. Melika und ihre Familie kamen, wahrscheinlich auch durch den Druck von Schayanis Reportagen, schließlich raus aus der „Hölle von Moria“. Sie landen in Luxemburg. Die Reportagen kann man im Netz abrufen. Last, but not least berichtet sie über Olena, die nach dem Krieg in der Ukraine von dort flüchten musste. Sie hatte es leichter nach Europa zu kommen, ein Notfallplan griff. Schayani reflektiert klug die unterschiedliche Behandlung von ukrainischen und sonstigen Flüchtlingen und geht in die Ukraine um zu erleben, was die Menschen zur Flucht antreibt. Sie schreibt: „Krieg ist, wenn alle Fenster verdunkelt sind mit Spanholz oder Latten, kein Licht dringt raus. (...) Krieg sind Raketen, die ziemlich akkurat nur eine Schule treffen. (...) Krieg sind alte Menschen, die nicht weg können (...) Krieg ist, wenn du als Journalistin besser geschützt bist als der Soldat. (...) Krieg ist eine Clusterbombe, und hinterher sieht es so aus, als seien die Menschen von einem Auftragskiller gezielt erschossen worden. Krieg (...) tötet die Nachbarin, die eben noch mit Gehhilfe etwas langsam in Richtung Kreuzung ging. (...) Krieg ist kein Schiff im Meer, keine Badenden, alles vermint. Krieg ist der Blick eines Soldaten, der die Angst, der nächste zu sein, den es erwischt, nicht mehr los wird. (...) Krieg ist, dein Leben riskieren, um anderen was zu essen zu bringen. Krieg ist ein Geruch, der dich nicht mehr schlafen lässt. (...) Krieg ist, die Sonne scheint und du schaust panisch gen Himmel, denn jetzt schicken sie die Drohnen los und keine Wolke schützt dich.“ Als über die Grenzen bekannte Journalistin, hat sie auch viele Telefonnummern von wichtigen Leuten wie Jean Asselborn, die sie am Schluss des Buches interviewt. Beim ungarischen Außenminister folgt ein offensichtlich notwendiger Faktencheck. Sehr lesenswert, auch wenn diejenigen, die es lesen sollten das nicht tun werden. Könnte ja das xenophobe Weltbild zerstören. Ernst Reuß Isabel Schayani, Nach Deutschland, FÜNF MENSCHEN. FÜNF WEGE. EIN ZIEL, Beck Verlag, München 2023, 319 Seiten, 26 € Comments are closed.
|
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
|