Zehn Jahre nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Adolf Hitler fand am 20. Juli 1954 im Berliner Bendlerblock, dem Ort vieler Hinrichtungen, erstmals eine öffentliche Gedenkfeier der Bundesregierung für die Mitglieder des Widerstandskreises statt. Teilgenommen hatte auch Otto John, inzwischen erster Verfassungsschutzpräsident der Bundesrepublik Deutschland und damals im Widerstandskreis involviert. Sein Bruder wurde von den Nazis nach dem Attentat hingerichtet. Ihm selbst gelang die Flucht.
Am Abend nach der Gedenkfeier fuhr John nach Ostberlin, möglicherweise im guten aber naiven Glauben dort ein vernünftiges Gespräch führen zu können. Es war die Hochzeit des Kalten Krieges. Er selbst behauptete später betäubt und entführt worden zu sein, was damals in Berlin nicht ungewöhnlich war. Sein Auftauchen in der DDR im Juli 1954 wurde zu einem der größten politischen Skandale in der frühen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, vor allem weil er dort in Pressekonferenzen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dessen Politik der Remilitarisierung kritisierte. Fast eineinhalb Jahre blieb er hinter dem Eisernen Vorhang, bevor er am 12. Dezember 1955 mit Hilfe eines dänischen Journalisten zurück nach West-Berlin floh. Dort wurde er wegen Landesverrats zu einer vierjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Zeit seines Lebens kämpfte John vergeblich um seine Rehabilitierung. Um diese Fakten herum konstruiert der Autor Ralf Langroth einen zeithistorischen Krimi in dem es um pralle Nachkriegsgeschichte geht. Bundeskanzler Adenauer, sowie der dubiose Altnazi und spätere BND Chef Reinhard Gehlen spielen dabei ebenfalls eine entscheidende Rolle. Es geht auch um einen fiktiven „Peter-Plan“ aus dem Zweiten Weltkrieg. „Ein Präsident verschwindet“ ist nach der „Akte Adenauer“ die zweite Folge der Krimireihe um den BKA Kriminalhauptkommissar Philipp Gerber, der nach dem Verschwinden Johns auf Wunsch Adenauers die Ermittlungen übernimmt. „Entführt oder übergelaufen?“ war die Frage, die es zu klären galt. Auch Gerbers Geliebte, die Journalistin Eva Herden, ist plötzlich verschwunden und im Fall involviert. Sie steht unter dringendem Tatverdacht eine Mörderin und kommunistische Agentin zu sein. Auf der Suche nach Eva und John gerät Gerber zwischen die Fronten der Geheimdienste. Langroth schafft es das Nachkriegsdeutschland plastisch und nachvollziehbar zu beschreiben. So oder so ähnlich wird es gewesen sein. Ein dritter Teil ist angekündigt und darin auch ein Wiedersehen mit Hauptkommissar Gerber und Eva Herden. Man darf gespannt sein. Ernst Reuß Ralf Langroth, Ein Präsident verschwindet, Rowohlt Hamburg 2022, 384 Seiten, 16 €: Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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