Der 1977 in Moskau geborene Arkadi Babtschenko, der als russischer Soldat gleich an zwei Tschetschenienkriegen teilgenommen hat, gehört zu den deutlichsten Kritikern des Putin-Regimes der letzten Jahre. Seine Erfahrungen im Krieg beschrieb er im Buch „Die Farbe des Krieges“.
Später war er unter anderem im Kaukasus-Krieg als Kriegskorrespondent unterwegs und musste nach Morddrohungen aus seinem eigenen Land fliehen. Er sagt, dass das Geld für den Killer, der auf ihn angesetzt wurde, zwar bezahlt, die Arbeit aber noch nicht erledigt sei, weswegen er immer mit einem Mordanschlag rechnen muss - wie Salman Rushdie. In seinem neuen Buch „Im Rausch: Russlands Krieg“ beschreibt er in kurzen Texten immer verzweifelter und wütender seinen Gemütszustand und den Zustand seines Landes unter Diktator Putin. Für jeden Putinversteher sollte es Pflichtlektüre sein. Es ist eine Art Tagebuch und beginnt 2012. Im ersten Teil enthält es längere Blog-Einträge und Facebook-Kommentare. Es endet mit einem zweiten Teil, der am 23. Februar 2022 um Mitternacht beginnt und bis zum Mai desselben Jahres geht. Der zweite Teil ist ein beinahe atemloser Furor, in dem er seinen Hass auf seine ehemalige Heimat und ihre Verbrechen mit kurzen Sätzen herausbrüllt. Er kommentiert das Kriegsgeschehen, mitunter mehrmals am Tag. Er kennt als ehemaliger Soldat die russische Armee genau und hat als russischer Staatsbürger den Wandel zur Dikatur am eigenen Leibe gespürt. Er schreibt: „Russlands furchtbarste Waffe ist die Glotze, die die Menschen in Zombies verwandelt.“ Seine Mutter betrachtet ihn genau deswegen inzwischen als einen Verräter und glaubt dem russischen TV Narrativ, dass in der Ukraine die Faschisten sind, die ihre Heimat bedrohen. Wie auf ukrainischen Facebookposts üblich, bezeichnet Babtschenko Russland als „Mordor“ und seine Soldaten als „Orks“. Er fühlt sich seit seiner Flucht dorthin nicht mehr als Russe, sondern als Ukrainer. Er schreibt am 10. Januar 2022: „Und ich will, dass Mordor nicht existiert. Genauso wie die vierzig Millionen Menschen in dem Land, das einmal am engsten mit euch liiert war. Noch vor zehn Jahren fast vollständig integriert. Und auch die neun Millionen in dem heute am engsten mit euch integrierten Land, sie werden allmählich wach. Und werden euch ebenfalls hassen. So wie Millionen und Abermillionen Menschen vom Baltikum bis nach Kasachstan. So wie die vierzig Millionen Polen, die auch einmal von eurem Imperium erobert wurden. Heute jagt dort ein Wlassow den anderen. Wie die neun Millionen Tschechen. Die fünf Millionen Finnen. Ihr habt‘s drauf, das muss man euch lassen. Alles, was ihr wirklich perfekt könnt, ist: eure Nachbarn zu Feinden zu machen.“ Der jetzige Krieg scheint für Putin verloren zu sein, aber Babtschenko befürchtet, dass der ganz große Krieg noch bevorsteht - in einigen Jahren. Das Problem sei nicht nur Putin, sondern auch das, was nachher kommt. Europa müsse endlich verstehen, dass sich an seiner Ostgrenze ein faschistischer Staat gebildet hat. Keine erfreuliche Prognose, aber ein beeindruckendes Buch! Ernst Reuß Arkadi Babtschenko, Im Rausch: Russlands Krieg, übersetzt von Olaf Kühl, Rowohlt Berlin 2022, 320 Seiten, 22 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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