Der vor 120 Jahren am 16. Juli 1903 in Stuttgart in einer liberalen jüdischen Familie geborene Fritz Bauer war im Gegensatz zu vielen Mitläufern im Dritten Reich KEIN furchtbarer Jurist. Er war für die Aufklärung von Naziverbrechen äußerst wichtig und ziemlich allein auf weiter Flur. Trotz erheblicher Widerstände, der auch zuvor unter den Nazis gut funktionierenden Juristen der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit, kämpfte er hartnäckig für seine Ideale und den Aufbau einer demokratischen Justiz, die ihm viel zu verdanken hat. Seine geheimen Recherchen führten auch zur Festnahme von Adolf Eichmann. Geheim deshalb, weil kein deutscher Jurist davon wissen durfte, sonst wäre Eichmann rechtzeitig gewarnt worden.
„Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.“, sagte Fritz Bauer, der ganz genau wusste wie einsam sein Kampf im Nachkriegsdeutschland war. Der promovierte Jurist Ronen Steinke, schrieb die Biographie über Bauer bereits 2013. Sie wurde preisgekrönt verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Anlässlich Bauers 120. Geburtstags erschien nun die siebte Auflage der Biographie als Taschenbuch. Nach seiner Promotion wurde der begabte Fritz Bauer im Jahre 1930 zum wahrscheinlich jüngsten Amtsrichter in der Weimarer Republik und zusammen mit seinem Freund und SPD-Genossen Kurt Schumacher zu einem glühenden Verteidiger der Weimarer Republik. Schon als Student war er politisch aktiv gewesen und bereits 1920 der SPD beigetreten. Im März 1933 wurde er festgenommen und acht Monate im KZ inhaftiert. Es gelingt ihm die Flucht nach Dänemark und später nach Schweden. Dort konnte der jüdisch-deutsche Jurist das „Tausendjährige Reich“ überleben. 1949 kehrte Bauer mit Hilfe Kurt Schumachers nach Deutschland zurück und wurde 1950 Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Braunschweig. 1952 war er der Ankläger im so genannten Remer-Prozess. Remer, der an der Niederschlagung des Stauffenbergschen Umsturzversuches beteiligt und inzwischen ein erfolgreicher Politiker und Publizist war, hatte die Widerstandskämpfer des Dritten Reichs als Verräter tituliert. Bauer erreichte, dass die Widerstandskämpfer des 20. Juli rehabilitiert und ihr Versuch, Hitler zu töten, legitimiert wurde. Das Gericht schloss sich Bauers Auffassung an, dass der NS-Staat „kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“ gewesen sei - was damals tatsächlich noch durchaus strittig war. 1956 wurde er dann auf Initiative des hessischen Ministerpräsidenten in das Amt des hessischen Generalstaatsanwalts mit Sitz in Frankfurt am Main berufen, das er bis zu seinem Tod 1968 innehatte. Dort setzte er den großen Frankfurter Auschwitz-Prozess durch und kooperierte heimlich mit dem israelischen Geheimdienst, um Adolf Eichmann vor Gericht zu bringen. Erst da begann in Deutschland die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Auch das höchst umstritten. Man argumentierte der Prozess und die Diskussionen darüber führe zu einem Wiedererstarken der Nazis. Man wollte einen „Schlussstrich“ ziehen. Parallelen zu heute. Er sah den Sinn dieser Prozesse, weniger in der Vergeltung begangener Verbrechen, sondern als „historisch, rechtlichen, moralischen Unterricht für das Volk“. Keine Abrechnung mit dem alten Deutschland also, weil es das verdient, sondern weil ein neues Deutschland den Unterricht dringend braucht. Steinke zeigt in seinem spannend geschriebenen Buch auch die private Seite Bauers, wobei seine möglicherweise unausgelebte damals noch strafbare vermeintliche Homosexualität des vielfach geschmäht und verleumdeten Bauer eine Rolle spielt. Man spürt auch wie viel Mut diplomatisches Geschick und Selbstverleugnung nötig war, um die Sache voranzubringen. Bauer versuchte immer dem Eindruck entgegentreten zu müssen, er sei als Jude von Rachsucht und Hass getrieben. Es ist ein Lebenslauf, der Respekt einflößt: Bauer, der im Nachkriegsdeutschland nahezu im Alleingang ehemalige NS-Schergen vor Gericht brachte. Er lebte schließlich in einer Gesellschaft, die noch immer von Altnazis und braunem Gedankengut durchdrungen war. Dadurch machte er sich weit über die deutschen Grenzen hinaus einen Namen. Vieles von dem was er tat, spielte sich aber im Verborgenen ab und gelangte erst nach seinem Tod an die Öffentlichkeit. Am 1. Juli 1968 wird Bauer tot in seiner Badewanne gefunden. Bei der Sektion wurden eine Herzvorschädigung festgestellt. Es ergaben sich keinerlei Hinweise auf ein Fremdverschulden, aber auch keine Hinweise auf einen möglichen Suizid. Nach seinem Tod wird die Verfolgung von Nazis, durch eine angeblich „ungewollte“ Gesetzesänderung nahezu unmöglich gemacht. Wegen des Fehlens eines Satzes in der Gesetzesvorlage, waren die Taten von Gehilfen beim Morden aus Rassenhass nun plötzlich rückwirkend, spätesten 15 Jahre nach Kriegsende, also am 9. Mai 1960, verjährt. Ob das ein perfider Plan eines Einzelnen oder ein Versehen war, konnte man nicht abschließend klären. Im Sinne des inzwischen SPD geführten Justizministeriums des Justizministers Gustav Heinemann war es jedenfalls nicht. Zehntausende von inzwischen eingeleiteten Strafverfahren gegen NS-Täter wurden daraufhin eingestellt. Viele Indizien deuten auf den Plan eines in Juristenkreisen wohlbekannten Mannes hin, der selbst von der Verjährung profitieren hätte können, da er im Dritten Reich selbst an Todesurteilen bei Bagatelldelikte beteiligt war. Noch beim Jurastudium des Autoren dieses Artikels war er Namensgeber und Mitverfasser des Standardwerkes im Strafrecht. Ernst Reuß Ronen Steinke: Fritz Bauer – oder Auschwitz vor Gericht, Piper Verlag, 7. Auflage München 2022, 352 Seiten, € 14,00 Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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