Seit 90 Jahre streiten Wissenschaftler, Zeitzeugen und Journalisten darüber, ob der Reichstag am Abend des 27. Februar 1933 von einem Alleintäter angezündet worden ist oder ob es die Nazis selbst waren. Hitler kam der Brand jedenfalls sehr gelegen und er übernahm die Macht. Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 wurde die Gewaltenteilung aufgehoben und alle staatliche Gewalt auf Hitler übertragen.
Unbestritten wurde der 23-jährige Niederländer Marinus van der Lubbe am Abend des Brandes im Reichstag mit Kohleanzündern festgenommen wurde. Unbestritten ist auch, dass er zugab der Täter zu sein. Doch weiterhin gibt es begründete Zweifel, ihn für den alleinigen Urheber des Reichstagsbrandes zu halten, der eine bis dahin beispiellose Terrorwelle gegen die Linke auslöste. Uwe Soukup, ein Journalist, versucht in seinem Buch über den „Mythos Reichstagsbrand“ Tatsachen von Fiktionen zu unterschieden und kommt zu dem Ergebnis, dass van der Lubbe „Helfer“ hatte. Ein Einzelner könne kaum den Reichstag unbemerkt an mehreren Stellen so wirkungsvoll anzünden. Van der Lubbe, halb erblindet und gehbehindert, soll an der Hauptfassade acht Meter hochgeklettert sein und ein doppeltes Sicherheitsglas mit seinen Stiefeln eingetreten haben. Belastbare Zeugen dafür gab es nicht. Es sind im Wesentlichen van der Lubbes Aussagen, die für die Alleintätertheorie sprechen. Der Niederländer Marinus van der Lubbe war 1931 aus der moskautreuen KP Hollands ausgetreten, die ihm nicht radikal genug war. Im Februar 33 war er nach Berlin gekommen. Nach eigenen Angaben hatte er danach schon vergeblich versucht am Wohlfahrtsamt Neukölln, am Berliner Rathaus und am Berliner Schloss Brände zu legen. Den Nazis reichte es nicht, die Schuld für den Brand allein dem geständigen van der Lubbe anzulasten. Die Verhandlung vor dem Reichsgericht von Leipzig sollte zum Schauprozess gegen die Kommunisten werden und wurde zum propagandistischen Desaster. Eine Tatbeteiligung konnte den vier angeklagten kommunistischen Kadern nicht nachgewiesen werden. Van der Lubbe selbst machte während der Prozesstage auf Beobachter einen desolaten Eindruck. Er schien wie weggetreten zu sein und war kaum ansprechbar, was für die Vermutung sprechen könnte, dass er unter Drogen gesetzt worden war. Am 10. Januar 1934 starb Marinus van der Lubbe unter dem Fallbeil. Eine lückenlos überzeugende Beweisführung wird sich heutzutage wohl kaum noch erarbeiten lassen. Das Buch liefert sie auch nicht. Ernst Reuß Uwe Soukup, Die Brandstiftung. Mythos Reichstagsbrand – was in der Nacht geschah, in der die Demokratie unterging, Heyne Verlag, München 2023, 208 Seiten, 22,00 Euro. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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