Ein Foto geht um die Welt. Von Madrid über Berlin, München, Oslo und Den Haag nach Syracuse/New York.
Es ist ein Foto aus Schweinfurt, das schon mal um die Welt ging. Das Foto stammt von der 1971 im Alter von 67 Jahren gestorbenen Life-Fotografin und Korrespondentin Margaret Bourke-White, die immer wieder in Ausstellungen gehuldigt wird. Fotografiert wurde das Bild am 12. April 1945, kurz nach der Einnahme Schweinfurts durch die Amerikaner. Es zeigt den erweiterten Suizid einer vermeintlich fanatischen Nationalsozialistin. Fotografiert von Margaret Bourke-White, nachdem sie mit den Soldaten der 42. US-Infanterie-Division „Rainbow“ in Schweinfurt einmarschiert war. Bourke-White war die erste Kriegsberichterstatterin der US-Armee und in der männlich dominierten Fotografenszene war sie ein Medienstar. Eines ihrer Bilder, The Living Dead of Buchenwald - Die lebenden Toten von Buchenwald -, hat schon jeder gesehen und zählt – laut Wikipedia - zu den berühmtesten Fotos des 20. Jahrhunderts. 1946 erschien ihr Buch „Deutschland, April 1945“, worin sie ihre Erlebnisse in den letzten Kriegstagen schilderte. Der US-Chefankläger verwendete das Werk mit dem Originaltitel „Dear Fatherland, Rest Quietly“ in den Nürnberger Prozessen als Beweismittel. Eines der darin abgebildeten Fotos wurde in Schweinfurt gemacht. Es handelt sich um das hier abgedruckte Bild, zu dem Bourke-White im Untertitel schrieb: „The bodies of two children in a Schweinfurt apartment house; after hearing that her husband had died in the fighting on the outskirts of the city after its liberation by Allied forces, she killed her children and committed suicide.” Auf deutsch also: „Der Körper zweier kleinen Kinder in einem Schweinfurter Appartement; nachdem sie gehört hatte, dass ihr Ehemann außerhalb der Stadt bei der Befreiung durch alliierte Kräfte getötet wurde, brachte sie ihre Kinder um und beging Selbstmord.“ Damit lag Bourke-White allerdings nicht ganz richtig. Anhand von Unterlagen des Stadtarchivs Schweinfurt kann nachvollzogen werden, um wen es sich bei den Toten handelte. Es war die 1908 in Schweinfurt, als Tochter des Malermeisters Karl Fischer und seiner Ehefrau Lisette, geborene Kontoristin Margareta Raithel und ihre beiden 3 und 6 Jahre alten Töchter Ursula und Barbara. Im Sterberegister wird als Todesursache der Mutter „Selbstmord durch Erschießen.“ angegeben. Bei den Töchtern heißt es lapidar: „Durch die Mutter erschossen.“ Ein gemeinsamer Sohn der Raithels war bereits 1942 gestorben. Es kann nur vermutet werden, dass für Margareta Raithel mit dem Untergang des Dritten Reiches eine Welt unterging. Margareta Raithel war die Witwe des gebürtigen Waigolshäusers Dr. Konrad Raithel, der bereits zwei Monate vorher im Alter von 59 Jahren an einem Schlaganfall gestorben war. Dr. Raithel war als Rechtsanwalt Syndikus beim Industrie- und Handelsverband in Schweinfurt, von 1925 bis 1929 war er - als Mitglied der Deutschen Volkspartei - Stadtrat, 1930 bis 1938 war er Bürgermeister und danach wieder Stadtrat. Nach der Reichstagswahl von 1933 hatte die Nazis willkürlich die Zahl ihrer Stadträte von zwei auf neun erhöht. Fünf der damals dreizehn SPD-Stadträte wurden aus dem Rat ausgeschlossen und vom Rest war die Hälfte bereits in „Schutzhaft“ genommen worden. Raithel war das einzige Nicht-NSDAP-Mitglied, das auch unter den Nazis Bürgermeister blieb. Am 1. Mai 1933 hatte er aber vorsichtshalber schnell seine Partei, noch vor deren Selbstauflösung, gewechselt und war ordentliches Mitglied der NSDAP geworden. Vom nationalsozialistischen Oberbürgermeister Ludwig Pösl wurde er später besonders gewürdigt, da er sich stets persönlich dafür einsetzte „marxistische Tendenzen“ im Stadtrat zu verhindern. Pösl meinte damit wohl die vormalige Mehrheitsfraktion der Sozialdemokraten, denn Kommunisten waren seit 1932 nicht mehr im Schweinfurter Stadtrat. Der 1903 geborene Oberbürgermeister Pösl war nicht nur diesbezüglich mit Raithel verbunden, sondern er war - neben Raithels Witwe - der zweite Schweinfurter Suizid am 12. April 1945, dem Tag nach der Befreiung Schweinfurts von den Nazis. Er sprang aus dem Fenster der Goetheschule, wo alle männlichen Bewohner Schweinfurts von den Amerikanern überprüft worden waren. Das Goldene Parteiabzeichen soll er– offenbar stolz - noch in seiner Brusttasche getragen haben. Angeblich hatte man Pösl die Nachricht überbracht, dass seine Ehefrau sich und die gemeinsamen Kinder umgebracht habe. Oberbürgermeister Pösl soll seiner Frau vor Beginn der Kämpfe eine Waffe gegeben haben, damit sie sich und die Kinder bei Bedarf selbst umbringen könne. Es war jedoch nicht seine Frau, die das getan hatte sondern Margareta Raithel. Möglicherweise war dieser tragische Irrtum das eigentliche Motiv für seinen Selbstmord. Im Sterberegister hieß es: „(…) Oberbürgermeister Ludwig Pösl (…) ist am 12. April 1945 zwischen 6 und 7 Uhr in Schweinfurt, im Hofe der Goetheschule, Goethestraße 5 verstorben (…) Todesursache: Selbstmord.“ Der gebürtige Scheinfelder Pösl, der in Schweinfurt auf das humanistische Gymnasium gegangen ist, war bereits am 1. Januar 1929 in die NSDAP eingetreten und wurde bereits 1932 als Abgeordneter für die NSDAP in den Bayerischen Landtag gewählt. Am 27. April 1933 wurde er Oberbürgermeister der Stadt Schweinfurt und war damit der jüngste Oberbürgermeister im gesamten Deutschen Reich. Ein Vorzeigenazi also. Von März 1933 bis zum Ende der NS-Herrschaft im Frühjahr 1945 gehörte Pösl dem gleichgeschalteten Reichstag als Abgeordneter für Franken an. Raithel und Pösl waren laut Sterberegister die einzigen Selbstmorde in Schweinfurt, die unmittelbar nach der Befreiung durch die Amerikaner stattgefunden haben. Die weitaus meisten Einwohner Schweinfurts waren offensichtlich klug genug den Untergang des Dritten Reiches nicht mit ihrem persönlichen Schicksal zu verknüpfen. Ernst Reuß Margaret Bourke-White. Moments in History Erschienen bei La Fábrica, Madrid 2013, Autoren: Oliva María Rubio, Sean Quimby, Festeinband 26,7 x 22,6 cm, 191 Seiten, ca. 150 Abbildungen, englisch ISBN 978-84-15303-96-1 Museumsausgabe 35 Euro (Der Autor ist gebürtiger Schweinfurter und lebt in Berlin. Zuletzt erschien von ihm das Buch: Mord und Totschlag in Berlin: Neue spektakuläre Kriminalfälle, Verlag für Berlin-Brandenburg 2018) Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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