Paul Kohl, der vor vielen Jahren ein bemerkenswertes Buch zum Überfall auf die Sowjetunion anhand von Erzählungen überlebender Zeitzeugen schrieb, hat sich mit dem Buch „111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazizeit“ in eher seichtere Gefilde begeben.
Interessant ist es mitunter trotzdem was er zu erzählen hat, denn wer wusste schon, dass Adolf Hitlers Halbbruder Alois, ein verurteilter Betrüger, Hochstapler und Bigamist, als Kellner im Weinhaus Huth arbeitete. Später besaß Alois eine NS-Szenekneipe am Wittenbergplatz und denunzierte Widerstandskämpfer. Kurz vor Kriegsende floh er nach Hamburg, ließ seinen Namen in Hiller ändern und starb dort unbehelligt und friedlich elf Jahre nach dem Krieg. Auch vom Großmufti von Jerusalem, dessen Aufenthalt im Hotel Adlon in Berlin mit monatlich 75 000 Reichsmark finanziert wurde, hat wohl kaum jemand gewusst. Er forderte die Ausrottung aller Juden und hintertrieb die Auswanderung von 5 000 jüdisch-bulgarischen Kindern nach Palästina, was deren Tod bedeutete. Kohl und seine Fotografin zeigen 111 Naziorte in Berlin, darunter allgemein bekannte wie beispielsweise die Gestapo- und Euthanasiezentrale, die Reichskanzlei und die Deutsche Reichsbank. Es werden aber auch unbekannte Orte vorgestellt. Die „Reichsbräutschule“ beispielsweise, außerdem Orte an denen mutige Berliner jüdische Mitbürger versteckt hatten, eine Erschießungsstätte für Pazifisten hinter der Walbühne, die Fabrik die die gelben Davidssterne herstellte, die jeder Jude ab 6 Jahren für 10 Pfennig kaufen musste und viele andere Orte. Jeweils auf einer Seite wird der Ort kurz anekdotisch erläutert, während auf der gegenüberliegenden Seite Bilder dieser Orte von früher und heute zu sehen sind. Ein Lageplan und Anfahrtsmöglichkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln runden die Darstellung ab. Das Buch ist ein nettes Sammelsurium von kleinen Anekdoten und als kurzes Nachschlagewerk oder als kleines Geschenk geeignet. Es ist aber wohl eher für den Touristiksektor gedacht. Ernst Reuß Nadia Boegli, Paul Kohl, 111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazi-Zeit. Mit zahlreichen Fotografien von Nadia Boegli, 240 Seiten, emons Verlag, 16,95 Euro Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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