In seiner SS-Personalakte wurde er als »Alter Kämpfer« geführt. Der 1906 geborene Walther Rauff diente seit 1924 in der Marine, zuletzt als Kommandant eines Minensuchbootes, bis er 1937 wegen Ehebruchs entlassen wurde. Daraufhin nahm sich die SS und das Reichssicherheitshauptamt seiner an. Nach der Okkupation Polens und dem Überfall auf die Sowjetunion war er einer der zentral Verantwortlichen für die Massenmorde an Juden, sogenannten Zigeunern und politischen Gegnern. Als die Massenerschießungen zu einer psychischen Belastung für die Exekutionskommandos wurden, entwickelte Rauff eine teuflische Methode: die systematische Tötung in Gaswagen. Dabei handelte es sich um Lastwagen mit einem luftdichten Aufbau, in den Auspuffgase eingeleitet wurden, damit die darin eingepferchten Menschen erstickten. Anfang November 1941 wurden zur »Erprobung« des ersten Gaswagens 30 Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen angefordert. Bis Juni 1942 waren bereits 97 000 Menschen auf diese Weise ermordet worden, »ohne dass Mängel an den Fahrzeugen auftraten«, wie es in einem Vermerk hieß.
Heinz Schneppen hat sich auf die blutige Fährte des Massenmörders gemacht, die auch nach Tunesien und schließlich Italien führte, wo Rauff mit harter Hand Partisanen bekämpfte und Geiselerschießungen vornahm. Nach dem Krieg kam er in ein amerikanisches Internierungslager in Rimini, aus dem er jedoch fliehen konnte. Über Syrien gelangte er – vermutlich über die sogenannte Rattenlinie mit Hilfe des Vatikans – nach Südamerika, wo er sich 1949 mit seiner Familie in Ecuador niederließ. Er fand Arbeit als Vertreter der Bayer AG und eines US-amerikanischen Pharmazieunternehmens. 1958 zog er nach Chile. Um den Bezug seiner Pension als Marineoffizier sicherzustellen, teilte Rauff seine neue Anschrift dem bundesdeutschen Finanzministerium mit. Ungehindert und unbehelligt konnte er in die Bundesrepublik reisen – bis 1961 Rauffs Name beim Eichmann-Prozess in Israel fiel. Es kam es zu einem Auslieferungsantrag der Bundesrepublik. Der oberste chilenische Gerichtshof lehnte diesen jedoch ab, da nach chilenischem Recht Mord nach 15 Jahren verjährt war. Rauff gründete eine Fischfabrik und lebte bis zu seinem Tod 1984 in Santiago de Chile in erklecklichem Wohlstand. Erst nachdem 2011 eine BND-interne Forschungs- und Arbeitsgruppe die 900 Seiten umfassende Personalakte Rauffs freigab, wurde bekannt, dass dieser als freier Mitarbeiter in Südamerika angeworben und ordentlich honoriert worden ist – obwohl der Nachrichtendienst von seinen Verbrechen zur NS-Zeit wusste. Auf die Spur eines weiteren Massenmörders, der nicht seine gerechte Strafe erhielt, hat sich Hans-Christian Jasch, Regierungsdirektor im Bundesinnenministerium, begeben. Der 1902 geborene Jurist und SS-Obergruppenführer Wilhelm Stuckart ist als Autor und Kommentator des Nürnberger Rassengesetzes bekannt. Stuckart gehörte zudem zu jenen Personen, die auf der Wannseekonferenz im Januar 1942 in Berlin die technischen Details der »Endlösung«, des Völkermordes an den Juden, besprachen. Er war der eigentliche »Macher« im Reichsministerium des Inneren, da sein Chef, Minister Wilhelm Fricke, am liebsten auf seinem Gut weilte. Stuckart selbst bezeichnete sich nach dem Krieg als »bestgehassten Mann der Verwaltung« und stilisierte sich im Entnazifizierungsverfahren als Widerstandsheld mit angeblichen Kontakten zu den Attentätern des 20. Juli. Dies stimmte mitnichten, wie Jasch in seiner akribischen Studie feststellt. »Seine juristischen Fähigkeiten und seine Schaffenskraft stellte er im Innenministerium in den Dienst zahlreicher NS-Politikfelder, darunter auch der im Massenmord gipfelnden Judenpolitik.« Stuckart war als Jurist zwar bemüht, den Schein von Legalität zu wahren, weshalb ihn Eichmann einen »heiklen Gesetzesonkel« nannte. Dennoch war er im Sinne des NS-Regimes sehr »effizient«. Schon während seiner Tätigkeit im Kultusministerium hat er »erfolgreich« an der »Säuberung« der Universitäten und Schulen mitgewirkt. Jasch räumt mit der Legende einer sauberen Verwaltung auf: »Eine berufliche Karriere, ohne der NS-Ideologie in der täglichen Arbeit Tribut zu zollen, war für die Beamten, insbesondere in leitender Stellung, im ›Dritten Reich‹ in aller Regel nicht möglich.« Nach Fricks Entlassung im August 1943 hatte sich Stuckart Hoffnungen auf den Ministerposten gemacht. Doch der ging an SS-Reichsführer Heinrich Himmler. Nach Hitlers Tod kam Stuckart dann doch noch zu dem erstrebten Amt. Er wurde von Admiral Dönitz als Innen- und Erziehungsminister in die neue »Reichsregierung« berufen, kurz darauf jedoch von den Briten verhaftet. Im sogenannten Wilhelmstraßenprozess wurde Stuckart zu drei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt, wobei die bereits verbüßte Haft angerechnet wurde, so dass er mit der Urteilsverkündung wieder frei war. In der Folge engagierte er sich im Bund der Heimatvertriebenen und »Entrechteten«, der es bei der Bundestagswahl 1953 mit 5,9 Prozent Stimmen in den Bundestag schaffte. Eine neue politische Karriere war Stuckart nur deshalb nicht mehr vergönnt, weil er in eben jenem Jahr bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte. Ernst Reuß Heinz Schneppen: Walther Rauff – Organisator der Gaswagenmorde. Metropol Verlag. 232 S., br., 19 €. Hans-Christian Jasch: Staatssekretär Wilhelm Stuckart und die Judenpolitik. Der Mythos von der sauberen Verwaltung. Oldenbourg Wissenschaftsverlag. 534 S., geb., 74,80 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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