Nördlich von Berlin wurde von Häftlingen 1936 das Konzentrationslager Sachsenhausen errichtet. Benannt wurde es nach einem heutigen Stadtteil von Oranienburg, der damals noch eine selbständige Gemeinde war. Ungefähr 200 000 Menschen aus etwa 40 Nationen wurden in Laufe der Jahre dort inhaftiert. Zunächst waren es die politischen Gegner des NS-Regimes, dann „Minderwertige“, so wurden damals Juden, Homosexuelle, „Zigeuner“, „Asoziale“ oder Zeugen Jehovas bezeichnet. Nach Kriegsbeginn kamen Bürger der überfallenen Staaten dazu.
Zehntausende kamen in Sachsenhausen durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit, Misshandlungen oder medizinischer Experimente um, mindestens 13 000 sowjetische Kriegsgefangene wurden systematisch ermordet. Ende April 1945 erreichte die Rote Armee das Konzentrationslager und befreite dort rund 3 000 von der SS zurückgelassene, überlebende Häftlinge. 16 Täter wurden 1947 von einem Sowjetischen Militärtribunal zu meist lebenslänglicher Zwangsarbeit in Workuta verurteilt. Als 1955 die letzten deutschen Kriegsgefangenen heimkehren dürfen, durften auch sie als nicht amnestierten Kriegsverbrecher nach Hause, soweit sie im Gulag überlebt hatten. Nach dem Krieg wurden in der Bundesrepublik nur wenige der Täter juristisch belangt. Eine große Zahl der 1 000 in Sachsenhausen beschäftigten SS-Männer führte nach dem Krieg unbehelligt ein geruhsames Leben. Die BRD zeigte wenig Interesse daran, die Täter vor Gericht zu stellen. Zwischen 1945 und 2005 gab es 257 Ermittlungsverfahren, überwiegend wurden sie aus Mangel an Beweisen eingestellt. Viele bundesdeutsche Juristen hatten selbst eine Nazivergangenheit und bevorzugten es einen „Schlussstrich“ zu ziehen. Diese „Schlussstrichmentalität“ war auch in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft tief verankert. Kein Wunder, denn viele Bürger waren selbst in NS-Verbrechen involviert. Verständnis gab es eher für die Täter, als für die Opfer des „Dritten Reiches“. Die wenigen Verurteilungen bezogen sich vor allem auf besonders sadistische Täter, wodurch der Rest sich erst Recht exkulpieren konnte. Stephanie Bohra hat nun eine Dissertation über die Strafverfolgung der im KZ Sachsenhausen verübten Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland geschrieben. Eine umfangreiche Studie, die alle ans Gericht gelangten Fälle akribisch analysiert. Unter dem Titel „Tatort Sachsenhausen“ erschien die Dissertation jetzt als Buch im Metropol-Verlag. Ernst Reuß Stephanie Bohra: »Tatort Sachsenhausen«, Metropol Verlag, Berlin 2019, 661 Seiten, 29,90 Euro Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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