Reiswerder ist eine kleine Insel im Tegeler See in Berlin-Reinickendorf, gerade mal 330 Meter lang und 180 Meter breit. 180 Meter Wasser liegt auch zwischen der Insel und dem Berliner „Festland“. Ein idyllisches Naturschutzgebiet, das zu Mauerzeiten in den Ferien brechend voll war.
Viele Berliner haben trotzdem noch nie von dieser Insel gehört und doch ist sie ein geschichtsträchtiger Ort voller harmloseren Anekdoten, aber auch mit einer tragischer Geschichte. Als harmlose Anekdote kann man die Zwangsübersiedlung der Bewohner von Baumwerder, der etwas größeren Nachbarinsel, bewerten. Sie wurde von den bisherigen Pächtern der Insel skeptisch betrachtet und führte quasi zu einer Nord-Süd-Spaltung von Reiswerder. Familie Bonus, die die Insel schon seit vielen Jahren als ihren Besitz betrachtete, musste nun teilen. 1943 war das der Fall. Baumwerder, auf der sich ein Verein von Naturliebhabern aus dem Wedding breitgemacht hatte, musste geräumt werden, weil die Insel von den Wasserbetrieben zur Förderung von Trinkwasser gebraucht wurde. Tragisch dagegen ist die Geschichte der auf der Insel untergetauchten Verfolgten, die am 23. August 1944 nach einer Denunziation, von der Gestapo abgeholt wurden. Es war eine kleine Gruppe von Jüdinnen und Juden, die sich monatelang auf der Insel versteckt hatten. Untergetaucht haben bis zu 2000 Berliner Juden den antisemitischen Irrsinn überlebt. „Stille Helden“ wie beispielsweise Wilhelm Daene und seine Ehefrau Margarete haben das ermöglicht. Als Abteilungsleiter eines Betriebes, dem jüdische Zwangsarbeiterinnen unterstellt waren, versuchte er zu helfen. Drei Jüdinnen wurden von dem Ehepaar versteckt. Zwei überlebten. Nur Gerda Lesser, die er auf Reiswerder unterbrachte und deren Eltern schon vorher deportiert worden waren, wurde im Alter von gerade einmal 18 Jahren in Auschwitz ermordet. Von den vier anderen von Reiswerder in die Konzentrationslager Deportierten überlebten drei. Während Gerhart Fleck in Auschwitz starb, kam seine am 8. Mai aus dem KZ befreite Ehefrau Erna gesundheitlich ruiniert nach Berlin zurück und eröffnete gegenüber der Insel Reiswerder einen kleinen Kiosk namens „Fleck´sche Erfrischungsquelle“. Hermann Dietz, ebenfalls aus dem KZ befreit, wohnte danach in einer Laube auf Reiswerder. Lotte Basch, die nur noch 42 Kilo wog als sie befreit wurde, emigrierte in die USA. Alle drei Überlebenden hatten große Schwierigkeiten, ihren jahrzehntelangen Kampf um Wiedergutmachung zu bestehen. Der Metropol Verlag hat nun einen schmalen Erinnerungsband herausgegeben, der die Geschichte erzählt und mit vielen historischen Fotos illustriert. Recherchiert wurden die Geschichten von der Schauspielerin Christiane Carstens, die sich nach ihren eigenen Worten in die Insel verliebt hat. Ernst Reuß Christiane Carstens, Untergetaucht auf Reiswerder, Spurensuche auf einer Insel im Norden Berlins, Metropol Verlag Berlin 2019, 92 S. € 12.00 Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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