Monika Sznajderman, eine liberale polnische Verlegerin, erzählt die Geschichte ihrer Vorfahren. Es ist eine traurige Geschichte, die sie aufgeschrieben hat.
Einige ihrer jüdischen Verwandten waren bereits in den 20er Jahren ins Ausland emigriert. Diejenigen die blieben, wurden fast alle ermordet. Ihr jüdischer Vater hatte Auschwitz überlebt, ohne viel davon zu erzählen. Monika wusste nichts vom väterlichen Zweig ihrer Familie, bis zu dem Zeitpunkt als die exilierten Verwandten eine Sammlung von alten Familienfotos schickte. Nun begann sie zu recherchieren und stellte fest, dass die Vorfahren ihres Vaters assimilierte Juden und die Vorfahren ihrer Mutter wohlhabende Gutsbesitzer waren. Zur etwa selben Zeit, als ein bekannter Künstler ihre elegante Großmutter aus der Oberschicht auf einem Gemälde verewigte, wurde ihre jüdische Großmutter, eine emanzipierte und aufgeklärte junge Frau, zweihundertfünfzig Kilometer weiter östlich, während eines Pogroms in der ukrainischen Stadt Zloczow am 3. Juli 1941, von Einheimischen erschlagen. Sie war zuvor mit ihrem Mann und den zwei Kindern vor den deutschen Truppen nach Osten geflohen. Ihr Gatte - Monikas Großvater, ein gutbürgerlicher Arzt, gab sich daraufhin auf, ging zurück ins Warschauer Ghetto und wurde mit seinem jüngsten Sohn deportiert. Beide wurden in einem Vernichtungslager ermordet. Seinen 15 Jahre alten Sohn, den Vater der Autorin, hatte er zuvor bei einem jüdischen Arbeitskommando gelassen. Er überlebte mehrere Vernichtungslager und wurde schließlich aus Auschwitz befreit. Einheimische Polen und ihre jüdischen Nachbarn lebten in Parallelwelten. Sznajdermans Vorfahren mütterlicherseits waren polnische Gutsherren, die sich zwar um ihre Zukunft, nicht aber um ihre jüdischen Nachbarn sorgten. Den Genozid an die Juden nahm man eher beiläufig zur Kenntnis. Die Bevölkerung plünderte und übernahm leer stehende jüdische Besitztümer. Nach dem Krieg versuchten man genau deswegen die jüdischen Rückkehrer zu vertreiben, was erneut zu Pogromen führte. Ein angeheirateter Verwandter Sznajdermans wird dabei umgebracht. Die polnischen Vorfahren der Mutter waren national und antisemitisch eingestellte Angehörige der Oberschicht. Man hatte zwar nichts gegen Juden, die man persönlich kannte, aber das Gift des Antisemitismus saß tief. Ihr Großonkel war ein hohes Mitglied von Polens Nationalisten, die selbst nach dem Holocaust noch antisemitische Propaganda verbreiteten und von einem judenfreien Polen träumten. Das Buch erzählt ausgesprochen unterhaltsam die wechselvolle Geschichte Polens, aus der familiären Perspektive Sznajdermans. Seit Kurzem will die polnische Regierung per Gesetz dafür sorgen, dass Polen nicht mehr in Zusammenhang mit der Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg gebracht werden darf. Jedermann, der behauptet, der polnische Staat oder die Nation hätten eine Verantwortung für den Holocaust, droht bis zu drei Jahren Haft. Auch dagegen wendet sich Sznajderman und wird deswegen heutzutage von auch antisemitischen Nationalisten angefeindet. Ernst Reuß Monika Sznajderman: Die Pfefferfälscher. Geschichte einer Familie. Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Martin Pollack. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 277 Seiten, 28 Euro. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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