Inwieweit instrumentalisierte das Deutsche Reich den Islam vor allem im Zweiten Weltkrieg und welche Auswirkungen hat das bis heute?
Damit beschäftigte sich der in Deutschland geborene und in Cambridge promovierte David Motadel, der als Professor für Internationale Geschichte an der London School of Economics lehrt. In seinem Buch „Für Prophet und Führer“ schildert er die Geschichte der Millionen Muslime unter deutscher Herrschaft, die den Islam für politische Zwecke zu vereinnahmen versuchte. Das hochgelobte Werk ist die erste umfassende Untersuchung der deutschen Islampolitik jener Zeit. „Der Zweite Weltkrieg erfasste weite Teile der islamischen Welt. Rund 150 Millionen Muslime zwischen Nordafrika und Südostasien lebten unter britischer und französischer Herrschaft, und mehr als 20 Millionen wurden von Moskau beherrscht.“, schreibt er in seiner Einleitung. Kein Wunder also, dass auf dem Höhepunkt des Krieges auch die Achsenmächte Muslime als Verbündete umwarben. Hitlerdeutschland präsentierte sich nach dem Scheitern der Blitzkriegstrategie plötzlich als Freund und Verteidiger des „Mohammedanertums“, wie der Islam im damaligen Bürokratendeutsch genannt wurde. Deutschland richtete dem „Großmufti von Jerusalem“ sogar eine „Residenz“ in einem arisierten Haus in Berlin ein. Zehntausende Muslime wurden in der Wehrmacht und in der SS rekrutiert. Rassistische Bedenken wurden laut Motadel dabei mit erstaunlichem Pragmatismus beiseite gewischt. Schon im Ersten Weltkrieg wurde vom Deutschen Reich erfolgreich versucht, Muslime für sich einzunehmen: im Osmanischen Reich wurde der Dschihad gegen die Kriegsgegner Deutschlands ausgerufen. In Wünsdorf bei Berlin gab es schon in jener Zeit ein Kriegsgefangenenlager für muslimische Kriegsgefangene, in dem sie zuvorkommend behandelt worden sein sollen. Man wollt die „Mohammedaner“ schließlich für sich gewinnen. Das war im Zweiten Weltkrieg nicht anders. Himmler war ein „Fan“ des Islam und für Hitler war der Islam ein starker, praktischer Glauben, während er das Christentum für eine verweichlichte Ideologie hielt. Man suchte sogar – ohne durchschlagenden Erfolg - nach passenden Passagen im Koran, um Hitler als religiösen Führer im Sinne des Propheten aufzuzeigen. Als die Wehrmacht in den Krieg in Nordafrika eingriff, wurden muslimische Soldaten mit Flugblättern zur Desertation aufgerufen. In einem Flugblatt für die „tapferen Krieger Nordafrikas“ hieß es: „Warum kämpft Ihr gegen Eure Brüder, die Deutschen, mit denen Euch nur Freundschaft und Liebe verbindet“. Insgesamt zeigte die deutsche Propaganda aber nicht die erwünschte Wirkung, denn in der Praxis klappte es mit der behaupteten guten Behandlung von vor allem schwarzen Kriegsgefangenen nicht. Rassismus war lange Jahre Staatsdoktrin und tief in den Köpfen der Soldaten verankert. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion begannen die Deutschen, auch die dort lebenden Muslime zu umwerben. Schon zuvor beim Einmarsch in Bosnien Herzegowina waren die dort lebenden Muslime zu den „rassisch wertvollen Völkern Europas“ erklärt und einige davon in der SS aufgenommen worden. Es entstanden die kroatische SS-Division namens „Handschar“ und später die albanische SS-Division „Skanderbeg“ sowie ein „ostmuselmansiches SS-Regiment. Die SS versuchte die religiöse und rassistische Diskriminierung für Muslime zu verhindern, doch bei vielen deutschen Soldaten galten ihre muslimischen Mitstreiter weiterhin nur als „Viehzeug“. Im Kaukasus und auf der Krim wurde ihnen Religionsfreiheit zugestanden, man wusste schließlich, dass das in der Sowjetunion zuvor nicht der Fall gewesen war. Die Grundzüge und Bräuche dieser Religion kannten die meisten Besatzer jedoch nicht. Viele Muslime wurden trotzdem umgebracht, weil man sie wegen der Beschneidung für Juden hielt. Die muslimischen Krimtataren hatte man sich als Verbündete ausgesucht, die muslimische Roma der Krim sollten dagegen als rassisch minderwertig umgebracht werden. Viele überlebten, weil man sich nicht von muslimischen Tataren unterscheiden konnte, die ja wiederum als höherwertige Rasse galten. Wenn es einen weiteren Beweis für die Unsinnigkeit der Rassenideologie bedarf, dann ist das einer. Die SS, die mordend und brandschatzend eine blutige Spur durch das Land zog, kümmerte sich um die Ausbildung der Imane in der „SS-Mullah-Schule in Dresden“ und organisierte sogar - man kann es kaum glauben - Halāl-Kochkurse, damit die Muslime ihre Speisen gemäß ihrer Religion zubereitet wurde. Selbst das rituelle „Schächten“, das zuvor den Juden im Reichstierschutzgesetz verboten wurde, hob man für muslimischen Soldaten auf, was in der Provinz zu Irritationen führte. So beantragten die Angehörigen eines muslimischen Arbeitskommandos im oberschwäbischen Laupheim bürokratisch korrekt einen Schlachtschein, den die Kreisbauernschaft verwehrte. Die Muslime verwiesen auf ihr Recht und gingen zum Landrat, der ebenfalls ratlos war. Daraufhin wurde der Innenminister von Württemberg konsultierte, der auch nicht weiter wusste. Schließlich musste das Reichsinnenministerium in Berlin anordnen, den Schlachtschein zum Schächten zu erteilen. Hitler bedauerte in den letzten Kriegsmonaten, dass die Mobilisierung der muslimischen Welt nicht besser gelungen sei. Er habe zu lange auf die Italiener Rücksicht genommen, die als Kolonialherren noch unbeliebter als die Engländer oder Franzosen gewesen sein sollen. Es fehlte auch deswegen an Glaubwürdigkeit und Authentizität, so der Autor. „Es war allzu offensichtlich, dass Berlin die Muslime nicht einer religiösen Sache wegen umwarb, sondern sie für ihre eigenen Interessen instrumentalisieren wollte.“ Durch Hitlers Politik gab es nach dem Krieg mehr Muslime in Deutschland als je zuvor. Ehemalige SS- und Wehrmachtsangehörige gründeten ausgerechnet in München die erste islamische Organisation in der Bundesrepublik, die auch im Kalten Krieg bei den Geheimdiensten von Bedeutung war. Motadels abschließendes Kapitel beschäftigt sich deswegen folgerichtig mit der „Instrumentalisierung des Islams für Großmachtinteressen“ nach dem Krieg, bei der vor allem die USA eine gewichtige Rolle spielt¸ die Folgen sind noch heute täglich in den Fernsehnachrichten zu bestaunen. Ernst Reuß David Motadel: „Für Prophet und Führer“. Die Islamische Welt und das Dritte Reich. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2017. 568 S., Abb., geb., 30 Euro. Comments are closed.
|
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
|