Zwei Bücher des Elsengold Verlages zeigen Berlins dunkle Seite. In „Morde im preußischen Berlin“ von Udo Bürger werden 59 mit einer Hinrichtung endete Fälle aus Berlin und Umgebung kurz beschrieben. Im Zeitraum von 1815 bis 1918 handelte es sich dabei meist um Raubmorde, aber es gab auch Attentate. Für die Hinrichtungen war das Beil vorgesehen, einige der Täter wurden allerdings auch gerädert und zum Richtplatz geschleift. Wollte man gnädig sein, begann das Rädern oben, damit der Tod schneller eintrat. Hatte der Täter nach Ansicht der Richter einen besonders grausamen Tod verdient, fing man zuerst damit an die unteren Extremitäten mit dem Wagenrad zu malträtieren. Das heißt ihnen wurde noch vor dem Tod mit einem großen Wagenrad die Knochen gebrochen. Der Scheiterhaufen war nach der letzten Verbrennung 1813 abgeschafft worden. Einer der zuständigen Scharfrichter ritzte in sein Richtbeil die Namen der Exekutierten. 55 Namen waren es, bevor er offenbar in Notwehr einen seiner Gehilfen erschlug und die Justizbehörden von nun an lieber auf seine Dienste verzichtete.
Erschreckend dabei, dass das sensationslüsterne Volk mitunter schon Tage zuvor am Hinrichtungsplatz kampierte, um besonders nahe am Geschehen zu sein. 1839 brach eine extra dafür gebaute Zuschauertribüne durch den Ansturm der Schaulustigen zusammen. Um diesen Volksfestcharakter zu vermeiden, gab es ab 1851 - mit Einführung des Preußischen Strafgesetzbuches - Hinrichtungen nur noch in Gefängnissen. Trotzdem lungerten viele Menschen am Gericht herum und warteten auf den Abtransport des Delinquenten zum Richtplatz im Gefängnisinnenhof von Moabit oder später Plötzensee. Dies geschah mit der grün gestrichenen Polizeikutsche, kurz Grüne Minna genannt. Für einige Zuschauer gab es dort als staatsanwaltschaftlich genehmigte Augenzeugen Platz. Trotzdem drängelten sich noch viele Schaulustige in den Innenhof, um ihrer Sensationslust zu frönen. Regina Stürickows Buch wiederum behandelt 20 derartiger Verbrechen zwischen 1933 und 1945. Zwar wurden während der Nazizeit politische Morde durch die Nazis selbst nicht mehr unbedingt verfolgt, aber es gab auch „normale Morde“. Die Fälle, von denen einige bis heute nicht gelöst sind, werden mit vielen Fotos illustriert und plastisch beschrieben. Gemordet wurde aus Gier, Hass, Wut oder Eifersucht. Eigentlich hätte es derartige Morde nicht geben dürfen, denn die Kriminalität war ja angeblich in der neuen „Volksgemeinschaft ohne Verbrechen“ ausgerottet, so dass eine öffentliche Fahndung erst nach Kontaktierung des Propagandaministeriums eingeleitet werden konnte und daher oft ausgeschlossen war. Angebliche „Berufsverbrecher“ und „Arbeitsscheue“ waren weggesperrt worden. Die Polizei wurde „gesäubert“. Der dafür zuständige neue Polizeipräsident hatte als vormaliger Leiter der Berliner Müllabfuhr von Polizeiarbeit zwar keine Ahnung, war aber ein strammer SS-Mann. Fortan zählte weniger die Kompetenz, als die Linientreue - auch bei der Kriminalpolizei. „Recht und Ordnung“ war nun vermeintlich wieder hergestellt, genau das was ein amerikanischer Präsident heutzutage täglich auf Twitter fordert. Stürickow erklärt neben den geschilderten Mordfällen auch fundiert die politischen Hintergründe dieser Jahre, die angeblich auf eine vermeintlich „verweichlichte“ und „verjudete“ Weimarer Republik folgten. An der immer noch vorhanden Kriminalität änderte sich indes wenig. Allerdings war es nun gefährlich nicht der „arischen Norm“ zu entsprechen. Das konnte tödlich sein. Während des Krieges stieg die Kriminalität, während sich das Personal bei der Polizei ausdünnte. Viele Beamte mussten in Polizeibataillons hinter der Ostfront „säubern“, sprich morden. Am Ende des Krieges herrschte Chaos. Gemordet wurde trotzdem, aber angesichts der vielen Toten werden wohl viele Morde unentdeckt geblieben sein. Ein drittes Buch des VBB Verlages zu aktuellen Mordfällen in Berlin darf da natürlich auch nicht fehlen. Mehr als eine halbe Million Straftaten wurden 2016 in Berlin angezeigt. Das Spektrum reicht von Taschendiebstahl über Drogenhandel und Schlägereien bis zu Mord. Der Autor, einer der besten Kenner der Berliner Justizgeschichte, hat spektakuläre Fälle aus den beiden letzten Jahrzehnten ausgewählt. Es handelt sich ausschließlich um Tötungsdelikte – darunter der Mord an Hatun S., die 2005 mitten auf der Straße erschossen wurde, ein „Ehrenmord“, der eine politische und gesellschaftliche Debatte auslöste, wie auch der Fall eines Dänen, der 2011 seine beiden minderjährigen Töchter bei lebendigem Leibe verbrannte, um sie nach verlorenem Sorgerechtsstreit nicht seiner Ex-Frau überlassen zu müssen. Zwei weitere Fälle haben die Öffentlichkeit 2012 monatelang beschäftigt: der von Jonny K., der am Alexanderplatz von einer Gruppe Jugendlicher zu Tode geprügelt wurde, und das Mordkomplott, dem die junge Pferdewirtin Christin R. aus Lübars zum Opfer fiel. Der Verfasser ruft Kriminalfälle ins Gedächtnis, die illustrieren, dass Berlin nicht nur im politischen Sinne Hauptstadt ist ........... Ernst Reuß Udo Bürger: Morde im preußischen Berlin 1815-1918. Elsengold Verlag, Berlin 2020. 232 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 20 Euro. Regina Stürikow: Morde im braunen Berlin. Eine Kriminalitätsgeschichte 1933 - 1945. Elsengold Verlag. Berlin 2019. 160 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24 Euro. Ernst Reuß: Mord und Totschlag in Berlin. Neue spektakuläre Kriminalfälle. vbb, Berlin 2018. 180 Seiten, 18 € oder als e-book 9,99 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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