Stefan Klemp, ein 1964 geborener Historiker und Journalist befasste sich in zwei neu erschienenen Veröffentlichungen intensiv mit der Ordnungspolizei in der Nazizeit, über die es nach dem Krieg hieß, dass sie von der Gestapo in „der gröbsten Weise missbraucht und dazu benutzt“ worden sei, um Aufgaben zu erfüllen, die „in keiner Weise zu ihren Obliegenheiten gehörten.“
Letzteres schrieb ein gewisser Paul Riege, ein anerkannter Chronist, der die „Kleinen Polizei-Geschichte“ verfasst hatte und 1952 zum Leiter des Fachausschusses Polizeigeschichte bestellt worden war. Vorher, von 1941 bis 1943, war Paul Riege Befehlshaber der Ordnungspolizei im Protektorat Böhmen und Mähren, die nach dem Heydrich Attentat für das Massaker im tschechischen Lidice verantwortlich war, wo am 10. Juni 1942 ein ganzes Dorf ausgerottet wurde. Riege hatte sich am Vorabend des Massakers krank gemeldet und somit eine vermeintlich „weiße Weste.“ „Es sind keine SS-Soldaten, die die Arbeiter von Lidice erschießen. Es sind Polizisten – in grüner Uniform, wie wir sie gut kennen.“, schrieb die Frankfurter Rundschau 20 Jahre später. Klemp schildert in „Rücksichtslos ausgemerzt“ dieses und weitere von der Ordnungspolizei begangene Massaker, die nach dem Krieg alle der SS zugeschrieben wurden. In seinem neuesten Buch „Vernichtung“ berichtet Klemp auf ähnlich anschauliche Weise, von den Verbrechen im Warschauer Ghetto, in dem alleine zwischen Januar 1941 und Juni 1942 70 000 Ghettobewohner - zumeist an Hunger - starben. Am 19. April 1943 marschierten Waffen-SS und Polizei ins Warschauer Ghetto und machte es in den nächsten Wochen dem Erdboden gleich. Eigentlich war für die Aktion drei Tagen eingeplant, aber die Ghetto-Bewohner waren nicht mehr dazu bereit, sich einfach abtransportieren zu lassen. Es entwickelten sich regelrechte Straßenkämpfe. Der Aufstand im Warschauer Ghetto im April/Mai 1943 ist die berühmteste jüdische Widerstandsaktion während des II. Weltkriegs und jährt sich in diesem Jahr zum 72ten mal. Nicht nur daran, sondern auch schon zuvor bei der Bewachung des Ghettos, bei denen viele Polizisten fürchterliche Verbrechen begingen, war die Ordnungspolizei ein wesentlicher Bestandteil der faschistischen Okkupationsmacht. Schon ihre Spitznamen charakterisieren die Täter aus Polizeibataillonen: „Duschek Judenschreck“, „Frankenstein“, „Der Töter“ oder „Totenkopfjäger“. Auch einzelne Polizeibataillone waren stolz auf ihre „Ehrenbezeichnungen“, wie „Mord-, Todes- oder Teufels- Bataillon“. Klemp stellt fest: „Im Osten haben Polizeibataillone das rückwärtige Heeresgebiet ‚befriedet‘. Befrieden hieß töten.“ Trotzdem gelang es ehemalige Offizieren, wie Paul Riege, nach dem Krieg die Legende von der sauberen Ordnungspolizei zu stricken. Die Realität sah dagegen anders aus. Schutzpolizisten erschossen beim Wachdienst am Ghetto häufig Juden, die Lebensmittel schmuggelten um nicht zu verhungern. Laut Klemp startete ein Bataillon dabei sogar einen Wettbewerb um die meisten Judenerschießungen. Er schreibt: „Der Wettkampf hatte Schützenfestcharakter, obwohl auf Menschen geschossen wurde, und das täglich. Der Spitzenreiter beim Schießwettbewerb des Polizeibataillons 61 wurde »Schützenkönig« genannt.“ Klemp schildert die Lebenswege einzelner Polizisten und fragt sich ob es wirklich „ganz normale Männer“ oder „Psychopathen“ waren, die dort wüteten. Chronologisch und systematisch werden die Polizeibataillone und ihre Verbrechen während des Warschauer Ghettos dargelegt und der Ghettoalltag beschrieben. Klemp, der sich schon mit „Nicht ermittelt“ einen Namen gemacht hat, hat sich auch mit diesen zwei Veröffentlichungen um die Aufklärung der Nazigeschichte, insbesondere die der Ordnungspolizei, verdient gemacht und stellt mit Bedauern fest, dass nach dem Krieg vor allem im Westen die Strafverfolgung der Täter verhindert wurde. Ernst Reuß Stefan Klemp, Rücksichtslos ausgemerzt, Die Ordnungspolizei und das Massaker von Lidice, 104 Seiten, Villa ten Hompel Aktuell 17, Münster 2012, ISBN: 978-3-935811-14-9, Schutzgebühr 7,50 € und Stefan Klemp, Vernichtung: Die deutsche Ordnungspolizei und der Judenmord im Warschauer Ghetto 1940-43, Münster, 300 Seiten, Prospero Verlag, ISBN: 978-3941688421, 19,00 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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