Als ein in der Bundesrepublik sozialisierter Mensch hörte und las man immer wieder über die Vergewaltigung deutscher Frauen und Mädchen durch Soldaten der Roten Armee. Zu Zeiten des Kalten Krieges galt »der Russe« prinzipiell als böse. Wer auf Gräueltaten deutscher Landser verwies, sah sich mit der Frage konfrontiert, was man wohl sagen würde, hätte »der Russe « die Freundin vergewaltigt. Miriam Gebhardt bricht ein jahrzehntelanges Tabu, berichtet über Vergewaltigungen zu Kriegsende, die es auch in den westlichen Besatzungszonen gegeben hat.
Im Vorwort schreibt sie »Nach meinen Berechnungen wurden mindestens 860 000 Frauen (und auch etliche Männer) im Nachkrieg vergewaltigt. Mindestens 190 000 davon, aber vielleicht auch mehr, erlebten die sexuelle Gewalttat durch einen amerikanischen Armeeangehörigen, andere durch britische, belgische oder französische Soldaten. Von diesen Opfern wurde nie gesprochen. Denn so wie die DDR die Untaten des ›Großen Bruders‹ im Osten unter den Teppich kehrte, so verschwieg die westdeutsche Gesellschaft die Übergriffe der demokratischen Befreier.« Im ersten Kapitel »Berlin und der Osten – Chronik eines angekündigten Unheils« berichtet Miriam Gebhardt von der in der deutschen Bevölkerung nachhaltig wirkenden Nazipropaganda und der daraus resultierenden weit verbreiteten Angst vor der »bolschewistischen Bestie«, die ganze deutsche Familien in den Selbstmord trieb. Die Übergriffe von Angehörigen der schließlich in Berlin einmarschierenden Roten Armee trugen nicht gerade dazu bei, Goebbelsche Schauermärchen zu entkräften. Für viele geschändete Frauen im Osten musste da das Wort »Befreiung « wie Hohn geklungen haben. Im folgenden Kapitel »Wer schützt uns vor den Amerikanern?« klagt die Autorin deren sexuelle Übergriffe an. Als erste waren bereits kurz nach der Landung in der Normandie Anfang Juni 1944 französische Frauen betroffen, also Angehörige einer im Kampf gegen Hitler verbündeten Nation. Die Verbrechen blieben nicht immer ungesühnt, wurden teils drakonisch bestraft. Miriam Gebhardt weiß von 45 US-amerikanischen Soldaten, die während des ersten Jahres nach dem D-Day in Frankreich gehängt wurden. Das Kapitel »Schwanger, krank, verfemt« beschreibt eindrücklich das Leid vergewaltigter Frauen, vielfach auch noch Jahre nach der Tat. Anträge auf Abtreibungen und Ausgleichszahlungen wurden von mitleidslosen männlichen Beamten akribisch ausgewertet. Die zeitweilig zuständige US-amerikanische Militärbehörde befand, dass die Vergewaltigung durch einen GI kein ausreichender Grund für eine Abtreibung sei. Für viele Frauen blieb daher nur der Gang zu einer »Engelmacherin « mit häufig katastrophalen Folgen. 1956 gab es in den westlichen Zonen offiziell 3200 »Vergewaltigungskinder «. Im Abschlusskapitel beschäftigt sich Miriam Gebhardt mit den psychischen Folgen für die Opfer. Sie versucht, sich auch in die Psyche der Täter hineinzudenken, die durch schreckliche Kriegserlebnisse verroht waren. Sodann analysiert sie das jahrzehntelange Schweigen über dieses Kapitel Nachkriegsgeschichte und spricht von einer kollektiven Traumatisierung, die noch heute in Familien nachwirkt. Anschaulich und interessant werden ergreifende Schicksale beschrieben und wissenschaftlich kundig eingeordnet. Trotz des traurigen Themas ein lesenswertes Buch. Ernst Reuß Miriam Gebhardt: Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Deutsche Verlags-Anstalt, München. 352 S., geb., 21,99 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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