Das jährlich stattfindende Weimarer Dichtertreffen hieß ab 1940 „Europäisches Dichtertreffen“ und war die wichtigste literarische Veranstaltung der Nazis. Teilnehmer waren die nicht ins Exil gezwungen wichtigsten deutschen Schriftsteller - sowie ausländische Kollaborateure. Die Reise französischer Schriftsteller im Oktober 1941 zum zweiten internationalen Dichtertreffen erregte durch die Teilnahme von sieben bekannten französischen Schriftstellern, die den Kotau vor Nazigrößen machten, internationale Aufmerksamkeit. In Wien traf die Reisegruppe Baldur von Schirach, in Berlin Joseph Goebbels.
Marcel Jouhandeau war einer von ihnen. Er veröffentlichte nach dem Krieg seine Sicht auf die Reise. Die französische Originalausgabe „Die geheime Reise“ wurde 1949 zuerst ohne den Namen des Autors veröffentlicht, später bekannte er sich dazu und signierte sein Werk. Gleich zu Anfang der Reise schreibt er in seinem Tagebuch: „Alles, nur kein jüdischer Sieg, alles, nur keine jüdische Herrschaft, und das würde eine deutsche Niederlage für uns bedeuten in diesem Krieg, der ein jüdischer Krieg ist.“ Unverständlich bleibt, warum dem Kollaborateur Jouhandeau - im Gegensatz zu einigen seiner Reisegefährten - nach dem Krieg so großmütig vergeben wurde. Er hatte offenbar prominente Fürsprecher. Die Tatsache, dass der Autor, der schon 1937 antisemitische Pamphlete schrieb, nach der Besetzung Frankreichs auf Einladung von Goebbels diese Rundreise machte und hinterher vor allem über seine homosexuelle Leidenschaft für einen deutschen Offizier schreibt, spricht eigentlich für sich. Es spricht auch gegen ein stark ausgeprägtes Schuldbewusstsein und für den Narzissmus des Autors. Die von Oliver Lubrich herausgegebene und im DVB-Verlag erstmals auf Deutsch veröffentlichte Ausgabe enthält auch das Reisetagebuch, welches die Grundlage für den Roman ist. Weiterhin enthält das schön editierte Buch einen Anhang mit Fotos und Faksimiles, sowie ein umfangreich einordnendes Nachwort der Herausgebers. Ernst Reuß Marcel Jouhandeau: Die geheime Reise. Reisetagebuch von 1941. Herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt von Oliver Lubrich. DVB, Wien 2022, 254 Seiten, 24 Euro. Comments are closed.
|
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
|