HISTORISCHES SACHBUCH
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Gabi

11/6/2020

 
Gabi war ein kleines deutsches Mädchen, das im Alter von nur fünf Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Ihre und zugleich die Geschichte ihrer Mutter, ihrer Tanten und Cousins erzählt Leo Hiemer in seinem Buch: „Gabi (1937–1943). Geboren im Allgäu – Ermordet in Auschwitz.“ Der Autor, ein bekannter Regisseur, dessen Mutter die kleine Gabriele noch selbst gekannt hatte, drehte bereits 1993 nach akribischer Recherche einen Film über Gabis Schicksal. Nun hat er noch viel mehr dokumentarisches Material zusammengetragen.
Gabis Mutter Lotte war eine von drei Töchtern des jüdischen Ehepaares Karl und Anna Schwarz, die in Augsburg ein Geschäft für Eisenwaren und Haushaltsartikel führten. Der Vater starb bereits 1926, die Mutter brachte sich kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs um. Ihnen blieb das erspart, was den meisten ihrer Kindern und Enkel geschah.
Die blonde und blauäugige Gabi war „unehelich“. Lotte deren Ehemann zuvor verstorben war, hatte sich wohl mit einem verheirateten Mann eingelassen, verriet aber nie dessen Identität. Denn da der Mann wahrscheinlich ein „Arier“ gewesen war, galt diese Beziehung seinerzeit als „Rassenschande“. Das hätte für die Mutter Lotte und ihre Tochter gefährlich werden können, obwohl beide katholisch getauft waren.
Gabi kam als Pflegekind auf den im Westallgäu gelegenen Einödhof des frommen Ehepaars Aichele, die es als fünftes Kind aufnahmen. Viele Fotos von dort belegen eine unbeschwerte Kindheit. Doch auch der Ortswechsel nutzte ihr letztendlich nicht. Ein „Judenbalg“ war zur damaligen Zeit immer in Gefahr und Lotte versuchte daher ihr Kind ins Ausland zu verschicken. Aber das glückte nicht, trotz eines prominenten Fürsprechers wie der Münchner Kardinal Faulhaber, der ein Bekannter von Lottes verstorbenem Ehemann war. Auch ihr selbst gelang die Emigration nicht mehr.
Im September 1941 wurde Lotte am Arbeitsplatz verhaftet, ins KZ Ravensbrück überstellt und 1942 zusammen mit andern Jüdinnen in der „Nervenheilanstalt“ Bernburg vergast. „Euthanasie“ nannte man das. Ihre Schwester Hansi und ihre Cousine waren bereits einige Tage zuvor ermordet worden. Die genauen Todesdaten sind nicht bekannt, da das Standesamt die Totenscheine fälschte, um den Massenmord zu verschleiern. Nur ihre Schwester Emmy konnte rechtzeitig in die USA emigrieren. Hansis Sohn René überlebte ebenfalls. Er wurde von Wehrmachtsangehörigen als Übersetzer in Kroatien gebraucht.
Nach der Ermordung der Mutter brachte ihre Bank den Stein ins Rollen. Die fragte beim Oberfinanzpräsidium an, ob nach Lottes Tod die regelmäßige Überweisung von monatlich 50 Reichsmark an Gabis Pflegeeltern weiterhin getätigt werden sollten. Die Anfrage landete ein halbes Jahr später beim Leiter des für Judenfragen zuständigen Angehörigen der Gestapo. Dieser verfügte: „Die Jüdin Charlotte Eckart, geborene Schwarz, deren Kind Gabriele sich bei Aicheles in Pflege befindet, ist in Ravensbrück verstorben. Da es jedoch nicht angeht, dass ein jüdisches Kind von katholischen Eltern erzogen wird, wir angeordnet, das Kind von dort abzuholen“. Die Tatsache, dass Gabi katholisch getauft war, nützte ihr nichts. Schon drei Tage danach wurde sie abgeholt, nach Auschwitz verschleppt und dort sofort nach ihrer Ankunft am 16. März 1943 ermordet. Ihr Erbe wurde „wegen Auswanderung“ an die Reichshauptkasse überwiesen.
Nach dem Krieg angestrengte Verfahren gegen den Gestapobeamten und andere, die an der Verschleppung und Ermordung Gabis beteiligt waren, enden ergebnislos.
Das auf vielen Briefen und Fotografien beruhende Buch berichtet nun umfassend über den kurzen Lebensweg des kleinen Kindes. Ein bewegendes Buch über eine schreckliche Zeit. Es bleibt unbegreiflich, dass Menschen so etwas tun können. Leider sind Rassismus und Antisemitismus auch heute noch existent. Geschichten wie die von Gabi, verdeutlichen, welche Aktualität manches hat, das für viele schon als Vergangenes abgetan wird.
 
 
Ernst Reuß
 
 
Leo Hiemer, Gabi (1937–1943), Geboren im Allgäu – Ermordet in Auschwitz, Metropol Verlag, Berlin 2019, 415 Seiten, 24 €
Artikel im Tagesspiegel vom 3. Juli 2019
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    Autor

    ​Ernst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt.
    ​Lebt als Autor in Berlin.

    Publikationsauswahl:
    Berliner Justizgeschichte / Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern / Gefangen! Zwei Großväter im Zweiten Weltkrieg / Mord? Totschlag? Oder was? / Sirius, Katzenkönig und Co. / Mord und Totschlag in Berlin / Endzeit und Neubeginn.


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