Dem Wiener Verlag „Das vergessene Buch“, dessen Name Programm ist, hat man es zu verdanken, dass diese vollkommen vergessene Preziose wieder ans Tageslicht gekommen ist. 1955 wurde „Ferien am Waldsee“ erstmals im Selbstverlag veröffentlicht. Das Echo auf das schmale Buch war vollkommen ernüchternd, auch bei zwei weiteren selbst finanzierten Versuchen des Autors. Niemand interessierte sich dafür. Diesmal scheint es zu gelingen das Buch dem Vergessen zu entreißen .
Es ist ein außergewöhnliches Buch, das sich von derartigen Erlebnisberichten sehr unterscheidet. Der Titel kann zu falschen Vorstellungen führen, denn er weist auf ein mehr als düsteres Kapitel der Geschichte hin. 1944 kamen zahlreiche Postkarten aus einem Ort namens Waldsee in Budapest an. Sie waren von Menschen geschrieben, die kurz davor von dort nach Auschwitz deportiert worden waren. SS-Männer diktierten ihnen mitunter nicht lange vor der Vergasung, die oft gleichlautenden Texte. Der Autor Carl Laszlo schreibt 1955 in seinem Vorwort: „Ich habe absichtlich zehn Jahre gewartet, um Abstand zu jenen Ereignissen zu gewinnen und von den unvermeidlichen Ressentiments so weit als möglich frei zu werden, heute glaube ich darüber sprechen zu können.“ Den Erinnerungen vorangestellt ist ein Nietzsche-Zitat: „Man soll nur reden, wo man nicht schweigen darf; und nur von dem reden, was man überwunden hat - alles andere ist Geschwätz, 'Literatur', Mangel an Zucht“. Der 2013 im Alter von 90 Jahren gestorbene Carl Laszlo wuchs als Sohn einer assimilierten großbürgerlich-jüdischen Familie im ungarischen Pécs auf, bevor der größte Teil seiner vielköpfigen Familie dem Holocaust zum Opfer fiel. Er selbst überlebte und führte nach dem Krieg ein schillernd-hedonistisches Leben als Kunsthändler und Psychoanalytiker in der Schweiz. Timothy Leary, Hans Arp, Christo, Heiner Müller, William S. Burroughs und Andy Warhol gehörten zu seinem illustren Freundeskreis. Laszlo beschreibt Episoden aus dem Auschwitzer Lageralltag mit Mord, Angst und der ständig drohenden Selektion. Er überlebt dies, genauso wie die Evakuierung des Lagers und den darauf folgenden Todesmarsch nach Sachsenhausen und Buchenwald, bevor er mehr tot als lebendig befreit wurde. Um das erlebte Grauen darstellen zu können, ohne die Rolle eines Leidenden einzunehmen, verfremdet Laszlo seine Texte und allen Kapiteln werden Zitate vorangestellt. Anders war es für ihn wohl nicht darstellbar. Die sachlichen Schilderungen und die philosophischen Erkenntnisse überlässt er zumeist seinem Alter Ego Allegio, der im Lager sterbend zurückbleibt und mit dem er Gespräche führt. „Nein, mein Lieber, wir haben in dieser Welt nichts mehr zu suchen; zwischen uns und den anderen hat sich eine Wand aufgerichtet und trennt uns von allen denen, die nicht hier waren“, sagte dieser in einem der fiktiven Gespräche und prophezeit, dass die SS-Männer sich nach dem Krieg schmiegsam in ihre alte Welt eingliedern werden, im Gegensatz zu ihnen selbst. Er wusste sicherlich wovon er sprach, denn der Text wurde ja erst 1955 veröffentlicht. Anscheinend plagten ihm in jener Zeit Selbstmordgedanken, wenn man den Text zugrunde legt. Das Buch ist ein erstaunliches zeithistorisches Zeugnis, von einem absolut beeindruckenden Mann - wie das Nachwort eindringlich zeigt. Gewidmet ist das Buch dem Berliner Arzt Benno Heller, der sich in Auschwitz wo er konnte für Mitgefangene einsetzte und dabei jedes mal sein eigenes Leben aufs Spiel setzte. Der Grund warum er in Auschwitz landete, war genau dieser. Er organisierte während der NS-Zeit in Berlin-Neukölln Verstecke für jüdische Mitbürger. Dort erinnert inzwischen eine Gedenktafel an ihn. Ernst Reuß Carl Laszlo: Ferien am Waldsee. Erinnerungen eines Überlebenden. Verlag Das vergessene Buch, Wien 2020. 160 Seiten, 22 Euro. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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