Geert Mak veröffentlichte 2005 sein Buch „In Europa“. Er tourte dafür durch das Europa des Jahres 1999 und beschrieb die Euphorie zu Beginn des neuen Millenniums. Viele seiner Interviewpartner von damals hat Mak nun erneut besucht, um herauszufinden, was inzwischen vom damaligen Enthusiasmus übrig geblieben ist.
Wo stehen wir heute, zwanzig Jahre später, heißt es daher nun in seinem neu erschienenen Buch: „Große Erwartungen. Auf den Spuren des europäischen Traums (1999-2019)“. Erneut eine Bestandsaufnahme Europas, in der Mak einen zum Zerreißen gespannten Kontinent beschreibt. In Kirkenes einer der nördlichsten Punkte Europas mit einem strategisch wichtigen Hafen an der Grenze zu Russland beginnt er und schreibt zu Beginn, dass man noch Ende des Jahrtausends geglaubt habe, die westliche Freiheit und Demokratie würden langsam den Osten und den Rest der Welt erobern. Leider gehe die Entwicklung jedoch inzwischen eher in die andere Richtung. Mak meint: „Europa ist desorientiert, gespalten und geschwächt. Russland ergreift jede Gelegenheit, neue Zwietracht zu säen, China nutzt die entstehenden Lücken (...) Weiter im Westen gibt es nun einen amerikanischen Präsidenten, der im Großen und Ganzen die gleiche Destabilisierungspolitik betreibt wie die Russen und der innerhalb kurzer Zeit die Regeln und Institutionen der Nachkriegsweltordnung aushebelt.“. Er fragt sich, wie das alles nach der großen Euphorie 1999 geschehen konnte. Mak legt dar, dass man in Westeuropa übersehen habe, welche Bedeutung Souveränität und nationale Identität für zahlreiche Osteuropäer hatten. Die sahen die Geschichte des 20. Jahrhunderts häufig anders als im Westen wahrgenommen wurde, da in Osteuropa das Jahr 1945 in erster Linie für den Wechsel von einer Diktatur zur anderen stand und 1989 das alles entscheidende Jahr gewesen sei. Mak versteht es Geschichten plastisch zu erzählen. Mit Protagonisten, die subjektiv vom Erlebten berichten, stürzt er von einer Katastrophe in die nächste. Es geht um Populismus, um die Griechenland- und die Bankenkrise, um den Ukrainekrieg, Klimawandel, Migrationsbewegungen und um den Brexit. Der Epilog behandelt schließlich die Coronapandemie. Mit einem pessimistischen Rück-, wie Ausblick beendet er seine Arbeit an dem Buch im Mai 2020. Ein alter Journalist und ehemaliger Widerstandskämpfer habe ihm einmal gesagt: „Ihr habt leicht reden, ihr seht alles im Licht von heute. Aber was konnten wir tun, in den dreißiger Jahren? Wir tappten im Dunkeln, eine Kerze in der Hand, tastend und stolpernd, in einem völlig fremden Haus.“ Nun gehe es ihm genauso, meint Mak. Er selbst taumle mit einer solchen Kerze in der Hand umher. All das ist schön zu lesen und ein hervorragender Bestandsaufnahme des Zustands des heutigen Europas, bringt aber keine neuen Erkenntnisse oder ernsthafte Lösungsansätze. Ernst Reuß Geert Mak: Große Erwartungen. Auf den Spuren des europäischen Traums (1999-2019). Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Siedler-Verlag, München 2020, 640 Seiten, 38 Euro. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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