Bereits in der vierten Auflag ist gerade das Buch „Erschossen in Moskau...“ im Metropol Verlag erschienen. Das Buch wurde angesichts neuer Erkenntnisse der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“ und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur komplett überarbeitet und aktualisiert.
Bis zu Stalins Tod am 5. März 1953 hatten sowjetische Militärtribunale etwa 1 000 Deutsche zum Tode verurteilt. Die Toten wurden im Krematorium des Moskauer Friedhofs Donskoje verbrannt und in einem Massengrab verscharrt. Die Hinrichtungen wurden lange geheimgehalten und die Angehörigen erfuhren nichts. Die schicksalshaften Biographien vieler dieser stalinistischen Opfer sind nun im Buch abgedruckt. Vergangenheitsbewältigung und eine Würdigung der vielen willkürlichen Opfer. Schon der Kontakt nach Westberlin konnte ausreichend sein, für einen Spionagevorwurf. Eines der Opfer war Walter Linse. 195 in Westberlin entführt und 1953 in Moskau erschossen. Am 8. Mai 1996 schließlich, ganze 43 Jahre später wurde Linse als politisches Opfer durch den russischen Generalstaatsanwalt rehabilitiert. Zitiert aus: Reuß, Ernst, Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern: Justizalltag im Nachkriegsberlin, Berlin 2017, S. 216 ff.: „Eines der bekanntesten Entführungsopfer der Stasi war der Berliner Rechtsanwalt Walter Linse, der am 8. Juli 1952 entführt und im Jahr darauf in Moskau hingerichtet wurde. Das Kidnapping geschah morgens kurz nach 7 Uhr, wenige Meter von seinem Wohnhaus entfernt. Tatort war die Gerichtsstraße in Berlin-Lichterfelde, die 1961 in Walter-Linse-Straße umbenannt wurde. Ein Mann hatte Linse um Feuer gebeten und während der in seiner Aktentasche danach wühlte, wurde er niedergeschlagen. Ein zweiter Mann packt Linse und zerrte ihn vor den Augen entsetzter Passanten in das bereitstehende, als Taxi getarnte Auto. Im Gerangel erlitt Linse eine Schussverletzung am Bein. Ein zufällig vorbeikommender Lieferwagen versuchte vergeblich das Entführerauto zu rammen. Der Wagen mit dem Entführungsopfer floh im Höllentempo über die nahe Sektorengrenze. Mit hoher Geschwindigkeit durchbrach das Fahrzeug der Entführer den Kontrollpunkt der Grenzpolizei in Teltow. Linse war nun in der Hand der Stasi, was ihm schlecht bekommen sollte. Ihm wurde Spionage vorgeworfen. Kurz darauf gingen in Westberlin vor dem Westberliner Rathaus Schöneberg 25.000 Menschen für ihn auf die Straße und forderten zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter und prominenten Vertretern der Westalliierten seine Freilassung. Auch das vergebene Liebesmüh. Als Reaktion auf die Entführung wurden die Straßenübergänge von West nach Ost bis auf wenige kontrollierte Übergänge für den Fahrzeugverkehr mit Barrieren versperrt. Die Gründe für die Entführung blieben weitgehend im Dunkeln. Der Verdacht der Spionage war wohl mehr als ausreichend. 1938 war der in Leipzig promovierte Jurist Linse zwar als Referent in die Industrie- und Handelskammer in Chemnitz eingetreten und hatte dort die „Bearbeitung von Entjudungsvorgängen“ übernommen, blieb aber nach der Besetzung durch sowjetische Truppen unangefochten im Amt und stieg sogar zum Hauptgeschäftsführer der IHK auf, wo er die Demontagen deutscher Firmen aus der Region für die sowjetische Besatzungsmacht organisierte. Während des Krieges soll er einer Widerstandsgruppe angehört haben. Im Juni 1949 war er dann nach Westberlin übergesiedelte. Er nahm eine Arbeitsstelle beim Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen an, wo Menschenrechtsverletzungen in der SBZ/DDR dokumentiert wurden, und wurde Leiter der Wirtschaftsabteilung. In dieser Funktion beriet er Gewerbetreibende aus der DDR in Enteignungsfragen. Die meisten Mitarbeiter des UFJ waren in der SBZ als Juristen tätig gewesen, dann aber in den Westen geflohen. Der von US-Geheimdiensten gesponserte UFJ war daher eines der großen Feindobjekte für die Stasi, denn er sammelte Informationen über die SBZ/DDR, die auch für westalliierte Nachrichtendienste von Interesse waren. Linse sammelt Daten über den Zustand der Wirtschaft in der SBZ und kurz vor seiner Entführung stellte er in Berlin eine Studie über die „Rüstungsindustrie des Sowjetischen Sektors“ vor. Das könnte auch der Grund für seine Entführung sein. Aber warum die Stasi gerade Linse entführt, lässt sich bis heute nicht eindeutig beantworten. Monatelang wurde Linse ohne großen Erfolg in Hohenschönhausen und im Gefängnis der sowjetischen Staatssicherheit in Berlin-Karlshorst verhört, wo er schließlich unter ungeklärten Umständen erschöpft gestand und gleichzeitig um gnädige Richter bat. Leider vergeblich. Einer seiner Verhörer dort war Erich Mielke Nach mehr als einem Jahr Untersuchungshaft verurteilte ihn ein sowjetisches Militärgericht am 23. September 1953 wegen Spionage, antisowjetischer Propaganda und Bildung einer antisowjetischen Organisation zum Tode. Er wurde mit dem Zug nach Moskau geschafft und dort am 15. Dezember 1953 hingerichtet. Die Hinrichtung wurde lange geheim gehalten. Erst Ende der 1950er-Jahre ließ der KGB über die deutsche Botschaft in Moskau den Angehörigen das Sterbedatum mitteilen. Die genauen Umstände des Todes blieben weiter geheim.“ Ernst Reuß Roginskij‚ Arsenij, Drauschke‚ Frank, Kaminsky‚ Anna (Hrsg.), „Erschossen in Moskau …“ - Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953, 4. Auflage, Berlin 2020 Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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