Am 18. Februar 1949, also rund drei Monate, bevor am 23. Mai 1949 mit dem Grundgesetz die Todesstrafe abgeschafft wurde, fand auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die letzte Hinrichtung aufgrund eines deutschen Gerichtsurteils statt. Die letzte Hinrichtung in West-Berlin wurde dagegen am 11. Mai 1949, zwölf Tage vor Verkündung des Grundgesetzes, vollzogen. Dies widersprach dem am 8. Mai für die drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands verabschiedeten Grundgesetz, aber in West-Berlin blieb man unerbittlich und beharrte auf dem Vollzug des Todesurteils. Das Grundgesetz wurde nämlich erst am 12. Mai von den Westalliierten genehmigt und trat dann am 23. Mai 1949 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt wurde in West-Berlin kein von einem deutschen Gericht zum Tode Verurteilter mehr hingerichtet.
Opfer einer eher engstirnigen Anwendung der Gesetze wurde der bei seinem Tod 24-jährige Raubmörder Berthold Wehmeyer. Angeblich soll es sich bei dem in diesem Fall eingesetzten Schafott um die Guillotine gehandelt haben, mit der schon Robespierre hingerichtet worden war und die als Kriegsbeute 1871 nach Berlin gekommen sein soll. Der Wahrheitsgehalt dieser Anekdote lässt sich jedoch nicht mehr ermitteln. Deutsche „Fallbeile“ gab es jedenfalls gleich nach dem Ende des Nationalsozialismus genügend. Derartige Tötungsinstrumente, mit denen viele Tausende Menschen enthauptet worden waren, fertigte die Gefängnisschlosserei Tegel. Hitler gab 1933 dort den Bau von mehr als 30 Guillotinen in Auftrag. Sie wurden – außer in Frankreich, wo es seit der Revolution eine ausreichende Anzahl dieser Tötungsmaschinen gab – vor allem in den besetzten Gebieten gebraucht, wo sie massenhaft zum Einsatz kamen. Der gelernte Schlosser Berthold Wehmeyer, der durch die Umstände seines Todes einen zweifelhaften Ruhm erlangte, hatte zusammen mit seinem vier Jahre älteren Bekannten Hans Wagner, der wegen Beihilfe zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, eine ältere Frau aus Berlin-Weißensee bei der gemeinsamen Hamsterfahrt im Umland vergewaltigt und erwürgt. Wehmeyer und sein Kumpel versteckten die Leiche der Frau in einem Heuhaufen auf einem Feld bei Wusterhausen an der Dosse, wo sie am 28. April 1947 von einem Bauern gefunden wurde. Alles deutete auf eine „Hamsterfahrerin“ aus Berlin hin, die in der Prignitz Nahrungsmittel eintauschen wollte. Der Kehlkopf der Frau war gebrochen, doch gestorben war die Frau an dem Knebel in ihrem Mund. Sie war erstickt. Mordfälle wie dieser gehörten damals zum Nachkriegsalltag. Da es Zeugen der Begegnung zwischen den beiden jungen Männern und der Toten gab, ermittelte die Kriminalpolizei recht schnell das Opfer und die mutmaßlichen Täter. Sie wurden umgehend festgenommen. Im Gegensatz zu ihnen, die erfolglos gehamstert hatten, konnte die 61-jährige Eva Kusserow 20 Kilogramm Kartoffeln ergattern, die Wehmeyer und Wagner nun erbeutet hatten. Ein aus heutiger Sicht recht armseliges Motiv, doch in jener Zeit herrschte Hunger. Kartoffeln bildeten den Hauptbestandteil der Nachkriegsernährung, und um die Kartoffel kreiste damals das Denken vieler Menschen. Wehmeyer sagte aus, dass er die Frau von hinten gepackt und gegen den Hals geschlagen habe. Angeblich sei er von seinem Mittäter Wagner dazu angestiftet worden. Danach habe er versucht, sie zu vergewaltigen. Das habe aber nicht so geklappt, weil er sich von seinem Mittäter gestört gefühlt habe, der schließlich statt seiner die röchelnde Frau vergewaltigt haben soll. Danach habe er ihr eine weißes Tuch in den Mund gesteckt, und sie hätten ihr die Nase zugehalten und sie geschlagen, bis kein Lebenszeichen mehr zu vernehmen war. Der 28-jährige ehemalige Bäcker Wagner, der inzwischen als „Hilfsdesinfektor“ beim Gesundheitsamt Steglitz arbeitete, war laut eigener Aussage angeblich nur untätig dabeigestanden, während Wehmeyer die Tat ausführte. Er habe dann geholfen, die Leiche fortzuschaffen, was er in einer späteren Aussage wiederum bestritt. Wehmeyers Tat habe ihn entsetzt, aber er habe Angst vor ihm gehabt. Zusammen mit seiner Gattin belastete er den verdächtigen Berthold Wehmeyer als Haupttäter schwer. Delikat war dabei, dass der ledige Wehmeyer mit Wagners Ehefrau eine Affäre eingegangen war. Sie hatte angeblich ihren Mann verlassen wollen und die beiden miteinander bekannt gemacht. Sie habe ihre Sachen packen wollen und angeblich deswegen die beiden Männer am Tattag zum „Hamstern“ geschickt. Nach der Tat überlegte sie es sich wohl anders und hielt wieder zu ihrem Mann. Die beiden Täter beschuldigten sich also gegenseitig der Tat. Die Kriminalpolizei war unschlüssig. Wehmeyer verwickelte sich, im Gegensatz zu Wagner, in keine Widersprüche. Ein psychiatrisches Gutachten sollte den wahren Mörder ermitteln. Wehmeyer habe ein stark ausgeprägtes Sexualverlangen, hieß es im Gutachten. Seinem Mittäter wurde dagegen eine normale Sexualität attestiert. Die Richter konnten sich nicht vorstellen, dass er das viel ältere und damit weniger attraktive Opfer missbraucht haben soll, wo er doch mit einer jungen Frau verheiratet war. Das Verhältnis zwischen Wehmeyer und der Frau seines Mittäters spielte bei diesen Überlegungen anscheinend keine Rolle. Wehmeyer, der schon einschlägig aktenkundig war, sei eine „primitive, triebhaft handelnde, psychopathisch, egoistisch veranlagte Persönlichkeit“. Als 16-Jähriger hatte er eine Frau in der S-Bahn beraubt und sie aus dem Wagen zu stoßen versucht. Dafür war er zu neun Jahren Haft verurteilt worden, aber bereits 1944 auf freien Fuß gekommen. Kurzzeitig war der mit seiner Mutter in Berlin-Wittenau lebende 24 -jährige Wehmeyer in den Wittenauer Heilstätten als Krankenpfleger tätig. Grund dafür, dass er nach nicht einmal einem Monat kündigte, waren auch seine Vorstrafen aus dem Jahr 1942, die er bei der Einstellung nicht erwähnt hatte. In seinem dortigen Personalbogen ist nachzulesen: „Das Bezirksamt Reinickendorf teilt telefonisch mit, dass der hier seit dem 17. 1. 47 beschäftigte Krankenpfleger Wehmeyer Berthold nach eingegangenem Strafregister-Auszug am 23. 4. 1942 vom Landgericht Berlin wegen schweren Raubes und versuchten Mordes als Volksschädling und Gewaltverbrecher verurteilt worden ist. Es ist W. anheim zu geben, selbst sofort zu kündigen, andernfalls muss er fristlos entlassen werden.“ Der Gerichtsgutachter gab später zu Protokoll: „Seine derzeitige Straftat ähnelt in jeder Weise derjenigen, durch welche er sich vor Jahren strafbar machte. Heute wie vordem war der Anlass zu seinem Vorgehen Egoismus und jetzt wie vor Jahren zeigt sich die alte Brutalität, dieselbe Gefühlskälte, die seinem Wesen eigen ist, welche seinem Vorgehen die Note gibt.“ Der Gutachter sah entgegen Wehmeyers Aussagen eher ihn selbst als Anstifter als den älteren aber „infantilen“ Wagner, der leicht zu beeinflussen gewesen sein soll. Damit war die Sache für Polizei und für das Gericht klar. Am 5. Juli 1948 wurde Wehmeyer wegen Mordes und sexuellen Missbrauchs zum Tode verurteilt. Im September 1948 kam er in Einzelhaft, da er einen Ausbruchversuch geplant hatte, aber von einem Zellengenossen verraten worden war. Der vom Vorwurf des Missbrauchs freigesprochene Wagner wurde, wie erwähnt, wegen Beihilfe zum Mord zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Laut Urteil sei Wehmeyer dem Wagner „körperlich und in seiner Entschlusskraft weit überlegen“ gewesen. Die Revision wurde zurückgewiesen, ein Gnadengesuch vom Vorsitzenden Richter mit den dürren Worten „zur Befürwortung einer Begnadigung sehe ich keinen Anlass“ abgelehnt. Wehmeyers Mutter hatte am 27. November 1948 geschrieben: „Berthold hat auch die ganzen Jahre seit dem Tod meines Mannes, seitdem er Ende Oktober 1945 aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt ist, mir helfend zur Seite gestanden. Er war mein Ernährer nach dem Tode meines Mannes, der am 9. November 1945 gestorben ist. So schlecht wie man ihn also macht, ist er auch als Mensch nicht. [...] Mein Sohn ist leicht beeinflussbar und ich bin überzeugt, dass er von Wagner beeinflusst worden ist und daß die schlechten Gedanken nicht von ihm herrühren. Andererseits ist mein Sohn sehr unbeholfen und es behindert ihn auch sein Sprachfehler, er stottert nämlich.“ Auch die Alliierte Kommandantur lehnte sodann eine Begnadigung in englischer, russischer und französischer Sprache ab. So kam es schließlich zur Hinrichtung im Gefängnis in der Lehrter Straße. Der Scharfrichter wurde informiert, beim Bezirksbürgermeister wurden Lebensmittelkarten für die Henkersmahlzeit und für die an der Vollstreckung beteiligten Personen bestellt sowie 300 rote Plakate gedruckt. Sie dienten dazu, die vollstreckte Hinrichtung an ausgesuchten Litfaßsäulen der Stadt der Allgemeinheit bekannt zu geben. Wehmeyer schrieb einen Abschiedsbrief an seine Mutter: „Ich werde dich [sic!] liebe Mutter heute den letzten Brief schreiben. Wenn du diesen erhältst, bin ich schon bei Pappa.“ In dem langen Brief schob er das Verbrechen auf seinen Mittäter. Vor allem das Sexualdelikt stritt er ab, gab aber zumindest zu, an dem Raubüberfall mit Todesfolge beteiligt gewesen zu sein. Am 11. Mai um 6.30 Uhr wurde er in den Hinrichtungsraum im Zellengefängnis Lehrter Straße geführt. Laut Protokoll dauerte die gesamte Prozedur nur drei Minuten und fünf Sekunden.Scharfrichter war ein gewisser Horst Schwenk. Angeblich trennte das Fallbeil den Kopf des Delinquenten nicht auf Anhieb vom Körper. Das war wohl auch ein sich wiederholendes Gerücht, das der Boulevardberichterstattung bei Hinrichtungen zu verdanken ist. Im offiziellen Bericht über die Hinrichtung steht jedenfalls davon nichts. Auch sein Mittäter hatte ein Gnadengesuch eingereicht, das wegen fehlender Einsicht in sein Verbrechen abgelehnt wurde. Nachdem er schließlich seine Haftstrafe abgesessen hatte, bedrohte er seine inzwischen von ihm geschiedene Frau und deren neuen Ehemann und musste wohl abermals einsitzen. Viele Jahre kämpfte er noch um seine Rehabilitation. 1986 erfolgte eine letzte Dienstaufsichtsbeschwerde, 1988 verlangte er noch mal Einsicht in seine Strafakte. Danach verliert sich seine Spur. Nach der Hinrichtung Wehmeyers wurde die letzte Berliner Guillotine demontiert und vier Jahrzehnte im Keller der Untersuchungshaftanstalt Moabit verwahrt. Danach ging die Guillotine in den Besitz des Deutschen Historischen Museums über. Von dort wurde sie als Dauerleihgabe an das Strafvollzugsmuseum in Ludwigsburg weitergereicht, wo sie noch heute zu besichtigen ist. Bis zur Abschaffung der Todesstrafe fanden zwischen 1947 und 1949 im Berliner Zellengefängnis Lehrter Straße insgesamt zwölf Exekutionen statt. Vier davon waren vom Britischen Militärgericht angeordnet, acht erfolgten auf Anordnung des Landgerichts Berlin. (aus: Ernst Reuß, Endzeit und Neubeginn. Berliner Nachkriegsgeschichten, Metropol Verlag, Berlin 2022, 282 Seiten, S. 32 ff.) Kommentare sind geschlossen.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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