Shulamit Volkov, die emeritierte Professorin für Vergleichende Europäische Geschichte der Universität Tel Aviv, beschreibt die deutsche Geschichte aus jüdischer Sicht und zeigt jüdische Perspektiven auf Revolutionen, Kriege, Ideologien und auf die sozialen Verhältnisse.
Dies allerdings nur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Sie zeigt die Aufklärung mit den Augen Moses Mendelssohns, den Wiener Kongress aus der Perspektive jüdischer Delegationen und die Revolution von 1848 aus Sicht von Opfern antijüdischer Ausschreitungen. Genauso handhabt sie es mit der Kaiserzeit, dem Ersten Weltkrieg, der Weimarer Zeit, dem Zweiten Weltkrieg und den Nachkriegsjahrzehnten, jeweils aus der Sicht jüdischer Protagonisten. Viel umfassender ist Michael Wolffsohns Werk „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“. Der deutsche Historiker und Publizist beginnt lange vor unserer Zeitrechnung und macht einen akribischen und flotten Parforceritt durch alle Länder, in denen Juden lebten und überall ähnliche antisemitische Erfahrungen machten. Ein schön und ironisch geschriebenes, viel Wissen voraussetzend Buch, das die jüdischen „Existenzen auf Widerruf“ in den einzelnen Ländern beschreibt, in denen es immer wieder die gleichen antisemitischen Muster gibt. So wie die Legenden vom Ritualmörder, über den Gottesmörder zum finsteren Weltverschwörer, denen oft Taten und Pogrome folgten. Meist ging es nur darum unliebsame Schuldner auszulöschen. Auch religiöse Dogmen nimmt Michael Wolffsohn unter die Lupe. So schreibt er, dass früher im Judentum durchaus Schwein gegessen wurde und die Beschneidung nicht immer ein Dogma war. Wolffsohn meint aber auch, dass „Religions- und Volksbegriff, Theologie und Ethnologie, Individuum und Kollektiv im jüdischen Religionsbegriff nicht wirklich voneinander zu trennen sind.“ denn „üblicherweise hat ein Volk ein Land, lebt jedenfalls auf einem Territorium. Das war bei den Juden in den Jahren 70 bis 1948 anders. Ihre geistig-geistliche Führung wollte dieses Volk ohne Land als Volk erhalten. Mangels eines jüdischen Territoriums machten die talmudischen Weisen Blut zum besonderen Saft, zum jüdischen Bindemittel.“ Ernst Reuß Shulamit Volkov: „Deutschland aus jüdischer Sicht. Eine andere Geschichte. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“. C.H. Beck, München 2022, 336 S., 28 € Michael Wolffsohn: „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“ Herder, Freiburg 2022, 368 S., 28 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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