Ein Historiker promoviert zu einer bekannten Mahn- und Gedenkstätte und stellt fest, dass die vor Ort weit verbreitete Legende so nicht ganz stimmt. Mark Homann stieß als Praktikant in der Gedenkstätte auf diesen Mythos. In der DDR nahmen dort tausende Menschen jährlich an den Kundgebungen zum Tag der Opfer des Faschismus teil und zahlreiche Schulklassen mussten die Geschichtsausstellung in den früheren Häftlingsbaracken besichtigen.
Im Jahr 1974 hatte die SED in der Harzer Kleinstadt Wernigerode ein über Jahrzehnte als Pflegeheim weitergenutztes Buchenwald-Außenkommando in eine Mahn- und Gedenkstätte umgewandelt und dabei die Geschichte ausgebreitet, dass eine Gruppe kommunistischer Häftlinge dort die Lebensbedingungen ihrer Mithäftlinge verbessert und den Widerstand gegen die SS organisiert hatten.. Das stellt ich nun als Mythos heraus, wie in der Dissertation eindringlich beschrieben wird. Die vor Ort tätigen kommunistischen Kapos waren privilegierte Häftlinge und mussten auch mit der SS zusammenarbeiten. Einer der Protagonisten war maßgeblich daran beteiligt seinen eigenen Heldenstatus zu zementieren. Hugo Launicke wurde dadurch zu einer Ikone des kommunistischen Widerstands und nach dem Ende des Krieges Bürgermeister einer Kleinstadt und bald darauf erster Landrat. Launicke, Mitglied der Geschichtskommission des Bezirks Magdeburg, war vor der Gedenkstättengründung in der SED nicht als Organisator des Widerstands im Außenkommando aufgefallen, vielmehr war nicht nur sein Verhalten als Kapo bis 1961 Gegenstand mehrerer Ermittlungsverfahren. Er wurde aus der SED ausgeschlossen, aber auch wieder rehabilitiert. Launicke konnte danach seine ziemlich dubiose Rolle erfolgreich verschleiern und wurde dabei von seinen ehemaligen Mitkapos gedeckt. Die SED und die DDR konnten schließlich Helden gebrauchen. 1973, zwei Jahre vor seinem Tod, erhielt er den Vaterländischen Verdienstorden der DDR in Gold. Nach seinem Tode wurde in Magdeburg eine Straße und in der Umgebung Schulen nach ihm benannt. In der im Metropol Verlag erschienenen Arbeit „Jenseits des Mythos - Die Geschichte(n) des Buchenwald-Außenkommandos Wernigerode und seiner ‘roten Kapos’“ wird die wahre Rolle der Kapos im Außenkommando des KZ´s Buchenwald dargestellt. Dabei werden Denunziations- und Tötungsvorwürfen untersucht, mit denen die kommunistischen Kapos des Außenkommandos in Verbindung standen. Launicke kann nachgewiesen werden, dass er mehrfach Mitgefangenen bei der SS denunzierte. Zusammen mit einer weiteren kommunistischen Widerstandsikone namens Kurt Wabbel, sorgte er auch für die einzige öffentliche Hinrichtung durch die SS im Außenkommando, bei der 1943 sechs Menschen ihr Leben verloren. Wabbels angeblicher Suizid im Lager und Launickes Rolle dabei bleiben allerdings auch nach dieser Untersuchung rätselhaft. Ein in mehrfacher Hinsicht interessanter Einblick in die deutsche Geschichte. Ernst Reuß Homann‚ Mark, Jenseits des Mythos - Die Geschichte(n) des Buchenwald-Außenkommandos Wernigerode und seiner „roten Kapos“, Metropol Verlag, Berlin 2020, 320 Seiten, 24 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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