Schon immer faszinierte True Crime die Massen. „Nachts, wenn der Teufel kam“ hieß der 1958 sogar für den Oscar nominierte Film, mit dem Mario Adorf berühmt wurde. Er handelte vom geistig behinderten Bruno Lüdke aus Berlin - Köpenick, der lange Zeit als schlimmster Serienmörder der Kriminalgeschichte galt. Als klar wurde, dass Lüdke nichts mit den Morden zu tun hatte war er schon längst tot. Ohne Prozess ermordet von den Nazis. Wie konnte es trotzdem geschehen, dass sich diese Geschichte des angeblichen Serienmörders so lange hielt und Lüdke noch heute im Internet als Massenmörder präsent ist?
Damit beschäftigen sich ein Historiker und eine Kulturwissenschaftlerin nun in dem jüngst erschienenen Buch: „Fabrikation eines Verbrechers, Der Kriminalfall Bruno Lüdke als Mediengeschichte“ (erschienen bei: spectorbooks Leipzig). Sie rekonstruieren, wie „der Fake im Nationalsozialismus entstand und warum er sich in der Bundesrepublik als True Crime etablieren konnte“. Das Buch beschäftigt sich mit allen Aspekten des Falles und soll eine Analyse stereotyper und rassistischer Ansichten sein sowie die Auseinandersetzung der deutschen Massenmedien mit der Nazi-Vergangenheit aufzeigen. Die außergewöhnliche visuelle Gestaltung des Buches mittels eines aufwändigen Layouts mit 386 Bildern auf 332 Seiten hatte ein Professor für Grafikdesign zu verantworten. 53 Menschen soll Lüdke brutal ermordet haben. Gestanden hatte er sogar an die 100 Morde in ganz Deutschland, obwohl er aus dem Berliner Ortsteil Köpenick kaum herauskam. Bruno Lüdke galt als harmlos und ängstlich. Niemand, der ihn kannte, konnte sich den als „doofen Bruno“ titulierten Lüdke als Mörder vorstellen. Die angeblichen Taten unterschieden sich erheblich voneinander und es gab außer seinen vielen Geständnissen keinerlei Indizien, die Lüdke belastet hätten. Wahrscheinlich hatte er nicht mal eine einzige der ihm angelasteten Taten begangen. Seine Schwester hatte bereits 1958 gegen die mediale Darstellung ihres Bruders als Massenmörder geklagt. Erfolglos. Lüdke war während der Nazizeit der perfekte Sündenbock für einen ehrgeizigen Kriminalbeamten und der „geborene Verbrecher“ für die nationalsozialistisch-rassistischen Naziideologen. Der „doofe Bruno“ war geistig zurückgeblieben und bereits vor seinen angeblichen Taten aufgrund eines Beschlusses des „Erbgesundheitsgerichts“ Charlottenburg zwangssterilisiert worden. Man hatte „angeborenen Schwachsinn“ diagnostiziert. Dem ermittelnden Kripobeamten erzählte Lüdke alles, was dieser hören wollte. Der hatte sein Vertrauen erschlichen und ihm versichert, dass ihm vor Gericht nichts passieren könne, weil er unzurechnungsfähig sei. Die Geständnisse folgten nun im Stundentakt. Lüdke wurde relativ gut behandelt. Er bekam nach jeder Vernehmung ordentlich zu essen und zu rauchen. Er war daher vollkommen gefügig, denn viel mehr erwartete er vom Leben nicht. Der Vernehmungsbeamte war ein SS-Mann, der die Rassenideologie und Erbgesundheitslehre der Nazis augenscheinlich uneingeschränkt teilte. Während der Nazizeit wurde der Fall nicht groß thematisiert, denn der „totale Krieg“ war ausgebrochen und man hatte ganz andere Sorgen. Nach dem Krieg musste Lüdke aber als Beweis dafür herhalten, dass es auch in jener Zeit Verbrechen gab. Dazu benutzte man das nun gefundene Archivmaterial, die medizinischen Gutachten, die Vernehmungsprotokolle, Fotoalben, Lebensläufe und Sterbeurkunde, jedoch ohne diese kritisch zu hinterfragen. Obwohl man schon an den Vernehmungsprotokollen hätte sehen können, wie konstruiert die Fälle waren: „Haben Sie sonst noch mehr Frauen tot gemacht?“ – „Nee, denn wüsste ick weiter nich.“ – „Na, denken Sie mal an Charlottenburg.“ – „Ach ja, in Charlottenburg och!“ –„Was war denn in Charlottenburg?“ – „Da habe ick och mal eene Frau kalt gemacht.“, ist eines der vielen Beispiele aus den im Buch als Faksimile abgedruckten dicken Akten der Kriminalpolizei. Lüdke wurde anschließend dem neu errichteten Kriminalmedizinischen Zentralinstitut der Sicherheitspolizei in Wien für erbbiologische und anthropologische Untersuchungen überstellt. Dort kam er bei Menschenversuchen im April 1944 grausam ums Leben. Lüdke galt als kriminalbiologisches Paradebeispiel eines „geborenen Verbrechers“. Der Abguss seines Kopfes befindet sich heute noch im „Museum für Gerichtsmedizin“ in Wien. Die Autoren des Buches stellen die These auf, dass er beim Test von „Giftmunition“ ermordet worden war – auch Streifschüsse sollten zukünftig unbedingt tödlich sein. Möglicherweise wollte man sich dadurch eine Blamage vor Gericht ersparen, wovor einige vernunftbegabte Kriminalpolizisten gewarnt hatten. Der Spiegel begann nach dem Krieg in der Bundesrepublik als eines der ersten Printmedien mit der medialen True Crime Berichterstattung und fragte sich, warum die deutsche Kriminalpolizei als einer der angeblich „besten Europas“ nicht verhindern konnte, dass „der schädlichste Massenmörder Deutschlands (…) bis kurz vor Kriegsende jahrelang seinen Trieben nachhing“ Augstein unternahm mit seiner Zeitschrift den Versuch, die Polizei für die Bundesrepublik zu rehabilitieren. Im Bonner Innenministerium wurde das als „planmäßige Stimmungsmache zugunsten alter Kader“ gedeutet. Er griff dabei auf einen Autor zurück, der selbst am Fall Lüdke beteiligt war: der „Polizeireporter“ des Spiegels war während der NS-Zeit Leiter der „Zentrale zur Bekämpfung von Kapitalverbrechen“ im Reichskriminalpolizeiamt gewesen und an der Vertuschung des Mordes an Lüdke beteiligt. Als „Tier in Menschengestalt“, als „Bestie“ oder eben als „Teufel“ wird Lüdke daraufhin auch von ihm in den Medien charakterisiert. Die Autoren des Buches sprechen von der „Medialisierung des Bösen“ mit Büsten, Handabdrücken, Filmen, Fotoalben und Schallplatten mit der Stimme des Mörders. Die These der Autoren lautet, dass, wenn die Kriminalpolizei ihr geplantes „Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“ durchgebracht hätte, was nicht gelang, weil der Krieg verloren ging, sie mit dem Material eine Propagandaausstellung organisiert hätte, um die „Überlegenheit von nationalsozialistischer Kriminalpolizei, Rassenlehre und Bevölkerungspolitik“ zu belegen. Mario Adorf plädiert inzwischen für eine Neuverfilmung des Stoffes. Ernst Reuß Axel Doßmann, Susanne Regener, Fabrikation eines Verbrechers, Der Kriminalfall Bruno Lüdke als Mediengeschichte, spectorbooks Leipzig 2018, 332 Seiten, 386 Bilder, 38 Euro Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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